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Da kannste lange warten. Berliner stehen vor dem Bürgeramt in der Sonnenallee in Berlin-Neukölln Schlange.

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Behördenchaos in Berlin: Der Terminhandel für Bürgerämter in Berlin floriert

Weil Berlins Bürgerämter überfüllt sind, blüht der Handel mit Terminen. Drei Berliner haben den Mangel zum Geschäft gemacht. Der Senat ist irritiert.

Nach Berlin ziehen ist nicht schwer, Berliner werden dagegen sehr. Bei den Bürgerämtern der Hauptstadt wartet man teilweise monatelang auf einen Termin.

Wer vorher an die Reihe kommt, hat entweder Glück - oder Geld. Denn drei junge Männer haben aus der Not ein Geschäft gemacht und einen Internethandel mit Terminen ins Leben gerufen. Nutzer können dort eine Wohnung anmelden oder ihren Personalausweis und Reisepass beantragen. Anders als beim Amt ist die Terminvergabe allerdings nicht kostenlos: Wer fünf Tage wartet, zahlt 25 Euro. 45 Euro sind es, wenn der Termin schon zwei Tage später sein soll.

„Die Idee ist entstanden, weil wir alle die gleichen Probleme mit der Buchung eines Termins hatten“, sagt Mitgründer Jörn Kamphuis (27) und meint die langen Wartezeiten. Die Lösung: Eine Software, die aus den Kalendern sämtlicher Ämter verfügbare Termine zieht - und zahlenden Kunden vermittelt.

Schon 90 Bürger haben sich so ihren Termin besorgt

Seit dem Start Mitte Juni gab es demnach 150 Anfragen. Vermittelt wurden bis zu 90 Besuche auf dem Amt. Den Behörden gefällt das nicht: „Der Senat prüft derzeit die möglichen technischen und rechtlichen Konsequenzen“, schreibt die Senatsverwaltung für Inneres auf eine schriftliche Anfrage der Piraten. Demnach ist die Terminbörse nicht der einzige Versuch, das klassische System zu umgehen. In einem Bürgeramt wurden demnach schon einzelne Termine von Privatleuten vor Ort zum Kauf angeboten.

Die Gründer der Internetplattform für die Vermittlung von Terminen beim Bürgeramt, Jörn Kamphuis, Martin Becker und Mateus Kratz (von links) machen ein gutes Geschäft.
Die Gründer der Internetplattform für die Vermittlung von Terminen beim Bürgeramt, Jörn Kamphuis, Martin Becker und Mateus Kratz (von links) machen ein gutes Geschäft.

© dpa

Eigentlich können Berliner verfügbare Termine auch selbst einsehen und buchen - und sogar 40 verschiedene Bürgeramter in der Hauptstadt ansteuern. Das Problem: Schaut man ins Netz, sind zum Teil monatelang keine freien Zeitfenster verfügbar. Spontan freigewordene Termine erscheinen naturgemäß erst kurzfristig online - Nutzer müssten die Seiten also laufend aktualisieren.

Spontan kommen? Fehlanzeige. Das Bürgeramt im Stadtteil Prenzlauer Berg verweist etwa im Internet darauf, dass Besucher zu den Öffnungszeiten „nur mit Termin“ erscheinen sollen. Zu bekommen ist so schnell aber keiner: Wer für den Sommerurlaub noch einen Reisepass beantragen muss, findet dort in der Auflistung bis Oktober keine Optionen. Weiter reicht die Zeitleiste nicht.

Bald soll es mehr Stellen im Bürgeramt geben - befristet

Dass die Schlangen in den Berliner Bürgerämtern länger sind als im Sommer auf der Autobahn, hat verschiedene Gründe: Einer ist der Zustrom von Menschen aus aller Welt. Die Zahl der Zuzüge steigt nach Erhebungen des zuständigen Amts für Statistik seit Jahren. Nach jüngsten Daten aus dem Jahr 2013 zogen fast 170.000 Menschen neu in die Stadt. Rechnet man die Fortzüge hinaus, sind das immer noch knapp 42.000 Neu-Berliner. Eigentlich müssen sie sich innerhalb von zwei Wochen anmelden - sonst droht ein Bußgeld.

Am Personal wird aber gespart - und so droht der tägliche Wahnsinn im Bürgeramt zur Normalität zu werden. Bis 2017 soll die gesamte Berliner Verwaltung um Tausende Stellen schrumpfen. Die Zahl der Vollzeitstellen in den Bürgerämtern ging bereits in den vergangenen Jahren in nahezu allen Bezirken zurück, wie aus einer Antwort der Senatsverwaltung auf eine SPD-Anfrage hervorgeht. Im vergangenen Jahr wurden wegen der langen Wartezeiten 31 zusätzliche Vollzeitstellen bewilligt - zunächst aber auf zwei Jahre befristet.

Wird es also höchste Zeit für eine neue Technik zur Terminvergabe? Gemeldet habe sich der Berliner Senat wegen einer Zusammenarbeit noch nicht, sagt Kamphuis. „Im Gegenteil.“ Ebenso wie seine Mitstreiter arbeitet er hauptberuflich in einem Start-up. Haupteinnahmequelle sei die Terminbörse daher mitnichten. „Das ist ein Spaßprojekt.“

Dass dadurch vor allem Menschen zum Zuge kommen, die es sich leisten können, sehen die Macher nicht so kritisch. „Wir verkaufen keine Termine“, betont Kamphuis. „Wir verkaufen die Service-Leistung.“ Wenn es ums Geld geht, können sich die Nutzer ohnehin plötzlich gedulden: Nur einer von vier wählt die teurere und schnellere Variante.

I survived Bürgeramt - einen persönlichen Leidensbericht aus dem Wedding lesen Sie hier.

Antonia Lange, dpa

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