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Filmszene aus "Unknown Identity" mit Liam Neeson (links), Diane Kruger und Bruno Ganz: Die Museumsinsel ist echt - aber für die Flughafenszene ging es nach Leipzig.

© dpa

Berlin als Filmstadt: Das Kreuz mit dem Dreh-Kreuz

Berlin ist längst eine gern gesehene Filmkulisse, selbst internationale Stars drehen hier. Nur an einem hapert es: einem richtigen Hauptstadt-Airport. Aber findige Regisseure haben einen Ersatz gefunden.

Sonnenaufgang über den Wolken. So schön kann Fliegen sein. „Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän. Wir beginnen jetzt mit dem Landeanflug auf Berlin-Tegel.“ Noch sind Dr. Martin Harris und seine Frau guter Dinge, eine Ankunft wie unzählige andere an diesem Wintertag: der Weg durch die Terminalgänge zum Einreiseschalter, die kurze Kontrolle durch eine Beamtin der Bundespolizei, das Abstempeln der Pässe – „20. November 2011 Berlin (Tegel)“ –, das Verlassen des Flughafengebäudes, und auch das Taxi hat das richtige Kennzeichen: B-ED 306.

Alles Tegeler Routine in der Eingangsszene des vor zwei Jahren auf der Berlinale gezeigten Thrillers „Unknown Identity“ mit Liam Neeson. Und doch weist sie einen für die Stadt schmerzlichen Makel auf: Bis auf ein paar nebensächliche Bildschnipsel, gedreht von der sogenannten „Splinter Unit“ des Teams um Regisseur Jaume Collet-Serra, entstand die Tegel-Szene auf dem Flughafen Leipzig/Halle in Schkeuditz.

Ein erprobtes Verfahren: Schon in „Flightplan“ (2005) mit Jodie Foster musste Leipzig/Halle als Berliner Airport herhalten, während für Tegel wieder nur Brosamen blieben. Keinem der drei Berliner Flughäfen – damals war Tempelhof noch in Betrieb – traute man in Hollywood zu, überzeugend einen Hauptstadtflughafen zu mimen.

In Berlin sieht man das offenbar ähnlich: Mehr als 1300 Motive listet die Datenbank der zum Medienboard gehörigen Berlin Brandenburg Film Commission auf. Neben dem Flughafen Tempelhof – geeignet nur noch für historische Filme – werden auch die Flugplätze Strausberg und sogar Schönhagen empfohlen, Tegel und Schönefeld dagegen nicht.

Daran wird sich bekanntlich so schnell nichts ändern, ein Nebeneffekt des für die Region so peinlichen Airportdebakels. Gerade in internationalen Großproduktionen mit großem Werbeeffekt für die jeweiligen Drehorte aber sind Flughafenszenen regelmäßige Fixpunkte des Scripts, so in „Bullitt“ (1968) mit Steve McQueen, gedreht auf dem San Francisco International Airport. Davon profitieren die Städte selbst dann noch, zumindest finanziell, wenn ihre Flughäfen nicht sie selbst sein dürfen, sondern ganz andere Airports darstellen. So donnerte Daniel Craig in „Casino Royale“ (2006) im Tanklaster nicht übers Rollfeld in Miami, sondern in Prag.

All dies ist in Berlin nicht möglich, ja sogar eine simple Ankunfts- oder Abflugszene muss ausgelagert werden. Und das, obwohl Berlins Airports eine lange Tradition als Drehorte haben und selbst der stillgelegte Flughafen Tempelhof noch 2011/12 knapp 40 Drehs zu verzeichnen hatte, für Kino, TV und Werbung. Nicht immer geht es dabei ums Fliegen, für „Cloud Atlas“ etwa entstanden Szenen in dem mysteriösen, bei Kriegsende ausgebrannten Filmbunker und im Heizkraftwerk. Und ein Nebengebäude diente unlängst für eine Büroszene im ZDF-Dreiteiler „Adlon“. Seine eigentliche Bestimmung durfte der Flughafen dagegen in einer polnischen Produktion über die Entführung einer LOT-Maschine („Landet ooch Tempelhof“) zeigen. Auch schauten Til Schweiger für „Schutzengel“, Leander Haußmann für „Hotel Lux“ und das „Russendisko“-Team vorbei, 2008 war es sogar Tom Cruise mit „Operation Walküre“.

Sternstunden der Tempelhofer Filmgeschichte

Tempelhofs glorreiche Zeit als Filmort hatte gleich nach der Blockade begonnen. Die Motoren der Rosinenbomber waren noch nicht abgekühlt, da drehte George Seaton 1949 dort den Luftbrückenfilm „The Big Lift“ mit Montgomery Clift. Was das Fliegerische betrifft, ein Werk von besonderer Authentizität: Nur die Stars waren Schauspieler, die Statisten aber überwiegend Soldaten der US Air Force. Auch Dror Zahavi setzte 2007 für den Sat-1-Zweiteiler „Die Luftbrücke“ auf den Reiz des Originalen und drehte in den zum Studio umfunktionierten Hangars, wie schon vor ihm Mark Robson in dem Thriller „Kennwort: Berlin-Tempelhof“ (1955) mit Richard Widmark als US-Sergeant Lawrence. Für die Schlussszene in „Eins, zwei, drei“ (1961), in der James Cagney aus einem Tempelhofer Coca- Cola-Automaten ausgerechnet eine Pepsi-Flasche zieht, ließ Billy Wilder die Flughafenhalle allerdings in München nachbauen. Die Tempelhof-Szenen in „Eine auswärtige Affäre“ (1948) hatte er sogar in den USA gedreht. So hielt es auch Steven Soderbergh 2007 im Berlinale- Film „The Good German“.

Weitere Sternstunden der Tempelhofer Filmgeschichte waren 1997 eine Abreiseszene in Joseph Vilsmaiers „Comedian Harmonists“, mit einer echten „Tante Ju“, sodann die an „Casablanca“ erinnernde Abschiedsszene in „… und der Himmel stand still“ (1993) von John Schlesinger, der den Drehort später als „such a perfect location“ pries. 2009 drehte hier Olivier Assayas für den Terroristenfilm „Carlos – Der Schakal“. Der definitive Tempelhof-Film aber bleibt „Die endlose Nacht“ (1963), in dem Will Tremper Passagiere in dem wegen Nebels geschlossenen Flughafen stranden ließ, ein Panorama der Schicksale, sich fremd, nun zufällig miteinander verwoben.

Auch eine Jazzcombo aus Polen war unter den Wartenden, von Schönefeld zum Weiterflug herübergekommen – ein winziger, nur angedeuteter Gastauftritt des Ost-Berliner Flughafens in dem West-Berliner Film. Bei der Defa dagegen kam Schönefeld mehrfach groß raus. In „Die Liebe und der Co-Pilot“ von Richard Groschopp (1960) dreht sich alles um das Lotterleben eines zuletzt doch zur Treue bekehrten Fliegers. 1975 drehte Heiner Carow in Schönefeld Szenen für „Ikarus“, die Geschichte eines Jungen, der unbedingt Pilot werden will und dem Rundflug entgegenfiebert, der ihm zum Geburtstag versprochen wurde, den sein Vater aber längst vergessen hat. In „Der April hat 30 Tage“ (1978) von Gunther Scholz bleibt Schönefeld ebenfalls ein Ort der Enttäuschung und des Abschieds, den die alleinerziehende Maria hier von ihrem kommunistischen, aus Uruguay stammenden Freund nimmt: Der Auftrag der Partei ist ihm wichtiger.

Auch in West-Produktionen durfte Schönefeld dabei sein, so in Alfred Hitchcocks „Der zerrissene Vorhang“ (1966), in dem Paul Newman alias Professor Armstrong sich als vermeintlicher Überläufer in die DDR absetzt. Gedreht wurde die Ankunft allerdings in den USA. Am realen Ort entstand dagegen eine Szene in „Obsession“ (1997), mit Daniel Craig als John MacHale aus Simbabwe, der in Berlin ein Familiengeheimnis aufzuklären versuchte und über Schönefeld abgeschoben werden soll.

Der aktuellste Schönefeld-Dreh ist während dieser Berlinale zu sehen, in dem deutschen Panorama-Beitrag „Lose Your Head“ von Patrick Schuckmann und Stefan Westerwelle. In der ersten Szene kommt der spanische Partytourist Luis aus Madrid in Schönefeld an, sieht sich etwas ratlos in der Empfangshalle um und läuft am Flughafengebäude entlang Richtung S-Bahn. Dauer der Szene: Keine 20 Sekunden. „Wir wollten unbedingt in Schönefeld drehen, als ernüchternden Einstieg in die Geschichte“, erzählt Schuckmann, Autor und Ko-Regisseur. Und da vier Wochen später der BER eröffnet werden sollte, begrüßten sie ihren Hauptdarsteller Fernando Tielve auf dem Flughafen gleich mit der Kamera, drehten seine reale Ankunft als Szene des Films. Eine überflüssige Eile: „Zwei Tage später hieß es, die BER-Eröffnung werde verschoben.“

Den Rang Tempelhofs als Drehort hat Schönefeld damit aber noch lange nicht erreicht, auch Tegel ist davon meilenweit entfernt. Titel von Filmen, die dort gedreht wurden, kann die Flughafengesellschaft keine nennen, man führe darüber nicht Buch. Immerhin ließ Thomas Brasch in „Der Passagier – Welcome to Germany“ (1988) Tony Curtis als Hollywood-Regisseur Cornfield in Tegel ankommen, und Heino Ferch hatte bei den Dreharbeiten zu dem ZDF-Öko-Thriller „Verschollen am Kap“ (2011) einen Wortwechsel mit einem Taxifahrer, der das Filmteam anraunzte, sie sollten verschwinden, er müsse hier arbeiten. Er auch, keilte Ferch zurück.

Marc Rothemund ließ seine von Anna Fischer gespielte Heldin Lila in „Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ (2019) in Tegel ankommen, und sogar der Ostfriese unter den deutschen Filmstars drehte schon dort: Das war 1987 anlässlich „Otto – der neue Film“, in dem Otto mit seiner Herzdame zum Flughafen fährt, um mit anderen Fans die Ankunft des Action-Stars Amboss, einer Art Schwarzenegger-Verschnitt, zu bestaunen. Selbst nicht gerade ein Riese, sieht er leider nichts, bis Amboss seinen Jüngern „Auf die Knie“ befiehlt. Nur Otto bleibt stehen – und ist beglückt: „Danke, das reicht. Sie können wieder aufstehen. Ich habe genug gesehen.“

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