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Westend, 1958. Der Theodor-Heuss-Platz heißt noch Reichskanzlerplatz (bis Dezember 1963), die SFB-Zentrale wird erst im Jahr 1970 eröffnet – sie ist damals eine Brache.

© imago stock&people

Berlin in den Fünfzigern: Im Westen rollt die Straßenbahn

Der Tiergarten ist kahl, die Bäume waren abgeholzt. Die Männer tragen Anzug - selbst beim Flanieren. Faszinierende Bilder zeigen den Alltag der Stadt – und Orte, die heute kaum wiederzuerkennen sind.

Die Bäume machen den Unterschied. Warum stehen da keine? Wir sind in einer der grünsten Städte der Welt, und da stehen kaum Bäume, und selbst der Tiergarten trägt Halbglatze. Doch es geht nun einmal um die fünfziger Jahre, und es ist nicht viel Geschichtswissen nötig, um allein drauf zu kommen: Die Bäume waren einfach im Krieg verbrannt, waren als Brennholz oder Baumaterial benutzt worden – der erste, oberflächliche Eindruck einer Sammlung von Berlin-Fotos aus dieser Zeit, die wir jetzt auf der Tagesspiegel-Website zeigen, und die dort schon auf riesiges Interesse stieß – fast eine Million Mal wurden die Bilder angeschaut.

Alexanderplatz, 1951. Damals laufen in Ost-Berlin gerade die „Weltfestspiele der Jugend“. Rechts ist der Bahnhof zu sehen, dahinter: das alte C&A-Kaufhaus.
Alexanderplatz, 1951. Damals laufen in Ost-Berlin gerade die „Weltfestspiele der Jugend“. Rechts ist der Bahnhof zu sehen, dahinter: das alte C&A-Kaufhaus.

© imago stock&people

Vermutlich ist es dieser Eindruck einer lichten, zum Teil kahlen Stadt, der die Fotos aus den Fünfzigern grundsätzlich von allen unterscheidet, die später entstanden. Dies war die Zeit, in der nach und nach die ganz großen Kriegswunden geschlossen wurden. Auch in den Erinnerungen der Zeitzeugen spielt dies eine große Rolle: Wer im Berlin dieser Zeit aufgewachsen ist und nach Jahrzehnten an einen der Plätze seiner Jugend zurückkehrt, der wundert sich immer darüber, dass er alles viel heller und weiter im Gedächtnis abgespeichert hatte.

Stellvertretend dafür: der Theodor-Heuss-Platz, der bis 1963 Reichskanzlerplatz hieß. Aus heutiger Sicht fällt vor allem die riesige Lücke neben dem Haus des Rundfunks zwischen Messe- und Kaiserdamm auf, wo später das SFB-Fernsehzentrum wuchs. Auf dem Mittelstreifen des Messedamms, wo heute dichte Bäume Parkplätze beschatten, parkte damals nur die Straßenbahn. Der Platz selbst hat sich dagegen nur wenig verändert, und auch seine westliche Randbebauung mit der Reichsstraße ist geblieben. Auch das Kranzler-Eck, in den Fünfzigern vermutlich einer der meistfotografierten Orte der Stadt, ist noch gut in Erinnerung, hier zu sehen in feinster Boulevard-Aufmachung mit rot-weißen Markisen und passenden Stuhlpolstern.

Mann trug Anzug damals, auch beim unbeschwerten Flanieren – meist ausladende Zweireiher, in denen noch der kleinste Angestellte wie der Regierende Bürgermeister persönlich aussah. Aber auch ein wenig steif, wie sich am Filmstar Gregory Peck sehen lässt, der auf einigen Bildern lässig den angelsächsischen Gentleman gibt. Auch ganz lässig, aber auf vollkommen andere Art zeigen sich die knapp bekleideten Bauarbeiter, die auf der Brache vor der zerstörten Gedächtniskirche mit einer Kipp-Lore auf provisorischem Gleis hantieren, noch 1955, kaum zu glauben.

Dem Schöneberger Kreuz musste später ein Kleingartengelände weichen

Vor allem auf den Luftbildern wird deutlich, wie massiv die Schneise war, die die Stadtautobahn später in das historische Straßen- und Brückenraster geschlagen hat, sowohl mit der Trasse von Wilmersdorf über Halensee nach Norden als auch später am Schöneberger Kreuz, für das ein großes Kleingartengelände weichen musste. Aber auch ohne Autobahn machten sich die Planer massiv über die Reste des alten Berlin her, wie sich bei der Draufschau auf den Mehringplatz zeigt: Da liegt – immerhin noch 1958 – der historische Platz, nett begrünt, inmitten einer kleinen, von Trümmerschutt befreiten Wüste; später wurde er unter Sozialwohnungen bis zur Unkenntlichkeit vergraben. Auf der anderen Seite des Landwehrkanals ist der alte Blücherplatz zu erkennen, der später bei der Neusortierung der Verkehrsströme umgebaut wurde. Noch dahinter, noch wie heute: die ikonische Amerika-Gedenkbibliothek, die 1953 entstand.

Ähnlich massive Umbauten wie im Westen gab es auch in der Osthälfte der Stadt, wo sich Ureinwohner vor allem daran erinnern werden, wie in den frühen Fünfzigern die neue Stalinallee als Inszenierung eines Weltstadt-Boulevards vom Himmel zu fallen schien, irgendwie halb Paris, halb Moskau. Auch die erhalten gebliebene Jungfernbrücke in Mitte steht für Stadtzerstörung, denn neben ihr zeigen ein paar alte Fachwerkbauten, was bei der Erschaffung des neuen Ost-Berlin in den Sechzigern alles verloren gegangen ist. Wann immer sich die Kamera auf Straßenhöhe begibt, dann zeigt sie neben den eigentlichen Objekten auch Schriftzüge versunkener Unternehmen: Möbel-Kunst, Bilka, Telefunken, oder Defaka, das „Deutsche Familien-Kaufhaus“ an der Rankestraße.

Die Polizei präsentierte sich noch mit militärischem Gepränge

Überraschend bis irritierend sind aber auch manch gewichtigere Inhalte. Wer sich beispielsweise in den vergangenen Jahrzehnten an eine überwiegend betont zivil auftretende Polizei gewöhnt hat, der wird staunend registrieren, mit welch militärischem Gepränge sie sich noch 1954 im Olympiastadion zeigte: Paradierend, die Rechte am Tschako, den Karabiner geschultert: eine Inszenierung wie von Leni Riefenstahl.

Nicht ganz so exotisch wirken die Polizeiübungen mit Gewehr vor dem roten Rathaus, denn auch die Alliierten haben bis in die achtziger Jahre solche Übungen im Westteil abgehalten. Aber der Krieg hallte überall nach, selbst in der Art, wie die Waldbühne 1951 zu ihrem Freilichtkino-Programm einlud: „Willkommen zum friedlichen Wettstreit der Filmnationen!“

Das Autokennzeichen "KB" war im Ostteil illegal

Hinter manchen Bildern stehen zudem seltsame Geschichten, die sich nur mit Spezialkenntnissen über den Viermächtestatus der Stadt und die langsam eskalierenden Konflikte zwischen Ost- und Westsektoren erklären lassen. Warum stand vor dem – quadrigalosen – Brandenburger Tor 1952 ein Schild mit der Warnung, dass die Volkspolizei – also im Ostsektor - „KB-Fahrzeuge“ beschlagnahmt? Der Hintergrund: 1948 hatte der Ost-Berliner Polizeipräsident eine Neuregistrierung aller Kraftfahrzeuge angeordnet: Das bisherige Kennzeichen „KB“ für „Kommandatura Berlin“ wurde durch „GB“ für Groß-Berlin ersetzt, eine Maßnahme, die die West-Alliierten ablehnten. „KB“ galt fortan im Ostteil als illegal, bis schließlich 1953 eine Neuregelung erfolgte.

Schließlich deuten ein paar Bilder den Aufstand vom 17. Juni 1953 zumindest an. Zu sehen sind darauf Reste einer Innenstadt, die auch heute, beispielsweise am Leipziger Platz, noch immer nicht komplett repariert ist.

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