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„Ho Ho Ho Chi Minh!“ Tausende von Protestierern skandierten bei Demonstrationen wie dieser im Februar 1968 den Namen des nordvietnamesischen Kommunistenführers.

© dpa/picture-alliance

Berlin und der Vietnamkrieg: Studenten gegen die Schutzmacht

Vor 40 Jahren endete der Vietnamkrieg. In West-Berlin bekämpften sich Gegner und Anhänger der US-Politik über Jahre. Der Senat und die Polizei waren überfordert.

Im Juni 1963, beim Kennedy-Besuch in West-Berlin, war die Halbstadt aus dem Häuschen. Auch in Dahlem hielt der US-Präsident eine begeisternde Rede vor FU-Studenten, in der er Grundlinien seiner Entspannungspolitik entwickelte. Wie konnten die gleichen Studenten, so fragten sich später viele Kommentatoren, die damals noch Kennedy applaudierten, knapp drei Jahre später gegen die US-amerikanische Vietnampolitik auf die Straße gehen?

Kennedy hatte den Studenten zugerufen: „Leute, mischt euch ein. Demokratie ist, wenn ihr euch beteiligt. Macht was. Und genau das ist ja passiert“, erinnerte sich später der Schriftsteller Friedrich Christian Delius, damals Germanistikstudent. „Diese Enttäuschung, dass die ja von uns bewunderten Amerikaner sich da in einen Krieg begeben, der den eigenen Prinzipien völlig widersprach, das hat uns aufgewühlt und aufgeregt.“

Man kann das heute kühl analysieren, in den sechziger Jahren jedoch war das eine Glaubensfrage. Demonstrieren gegen die Schutzmacht? Für die meisten West-Berliner eine unerhörte Provokation, den anderen aber unverzichtbar. Nirgendwo konnte man die Amis mit Vietnam-Protesten mehr ärgern als in Berlin.

Bis heute keine genaue Opferzahl

Neben dem Tod Benno Ohnesorgs hat wohl nichts die studentischen Proteste in West-Berlin und der Bundesrepublik stärker angefacht als der immer grausamer und brutaler werdende Vietnamkrieg. Es ist bis heute nicht möglich, die Opferzahl auf vietnamesischer Seite genau zu bestimmen. Schätzungen gehen von fünf Millionen Toten aus, überwiegend Zivilisten, wobei eine knappe halbe Million erst nach dem Kriegsende vor 40 Jahren gestorben ist: überwiegend an den Spätfolgen des Entlaubungsmittels Agent Orange und an Landminen, von denen noch weitere Hunderttausende unentdeckt im Land herumliegen. Am 1. Mai 1975 war der Krieg damit beendet worden, dass nordvietnamesische Truppen Südvietnam vollständig eroberten.

Grundkonflikt in Vietnam war, dass das Land in einen kommunistischen Norden und einen pro-westlichen Süden aufgeteilt war. Der Westen verhinderte eine Wiedervereinigung, da dies den Verlust Südvietnams bedeutet hätte. Daraufhin entstand eine starke südvietnamesische Befreiungsfront, die aus dem Norden via Ho-Chi-Minh-Pfad unterstützt wurde – mit Waffen aus der Sowjetunion und China. Die USA befürchteten, die Kontrolle über die Region zu verlieren.

Von Hühnereiern zu Steinen

Der erste Protest gegen den Vietnamkrieg in West-Berlin fand am 5. Februar 1966 in der Hardenbergstraße statt. Etwa 2000 Demonstranten zogen vom Steinplatz kommend am Amerikahaus vorbei. Im Laufe des Nachmittags wurde die USA-Flagge auf Halbmast heruntergezogen und es flogen drei Eier gegen das Amerikahaus, das schon auf Grund seiner zentralen Lage immer wieder zum Objekt der Protestierenden wurde. Noch waren es Hühnereier, nebenan im Supermarkt gekauft, in späteren Jahren sollten es Farbeier und Steine werden.

Aber auch die Hühnereier verfehlten ihre Wirkung nicht. Willy Brandt, damals in seinem letzten Jahr als Berlins Regierender, mahnte an, dass es Deutschen nicht besonders gut stehe, den historischen Lehrmeister zu geben und entschuldigte sich beim amerikanischen Stadtkommandanten für die unbotmäßigen Berliner Studenten.

Drei Tage später gab es eine Gegenkundgebung, zu der CDU, Junge Union und der Ring christlich-demokratischer Studenten aufgerufen hatten. Am Rande der Kundgebung wurden junge Leute, die durch Zwischenrufe aufgefallen waren, an den meist längeren Haaren gepackt und im Bahnhof Zoo in die S-Bahn Richtung Friedrichstraße gesetzt, um „nach drüben“ zu fahren. Das war die Folie für ähnliche Vorkommnisse allerdings größeren Ausmaßes nur zwei Jahre später.

Die Polizei hielt sich vornehm zurück

Da der sinnlose und nicht gewinnbare Krieg in Vietnam weiter eskalierte, nahmen weltweit die Proteste zu. Am 17. und 18. Februar 1968 fand im TU-Audimax ein „Internationaler Vietnamkongress“ statt, der am Sonntag mit einer Demonstration abgeschlossen werden sollte. Innensenator Kurt Neubauer (SPD) war fest entschlossen, es nicht dazu kommen zu lassen. Die Demonstranten sicherten zu, nicht zu den Kasernen der US-Streitkräfte zu ziehen, wo es zu gefährlichen Situationen hätte kommen können. Vermittlungsversuche von Bischof Scharf lehnte Neubauer ab und musste sich schließlich einem Verwaltungsgerichtsurteil beugen.

Schon Ende Mai 1967 wurde der damalige Innensenator Wolfgang Büsch von US-Seite gewarnt, die für den 3. Juni 1967 geplante Vietnamdemonstration besser nicht an US-Militäreinrichtungen vorbeiziehen zu lassen. Diese Demonstration fiel dann dem – rechtswidrigen – 14-tägigen Demonstrationsverbot zum Opfer, das nach dem Tod Benno Ohnesorgs am Vorabend erlassen worden war.

Die Vietnamdemonstration am 18. Februar 1968 mit mehr als 10.000 Teilnehmern verlief weitestgehend friedlich, sieht man einmal von Übergriffen von Gegendemonstranten ab. Mehrmals fuhren erboste Bürger mit ihrem PKW in die Demonstranten – einer erwischte den Kommunarden Rainer Langhans mit seinem Opel und verletzte ihn. Transparente wurden den Demonstranten entrissen; die Polizei hielt sich vornehm zurück.

Zu dem Versuch Neubauers, die Demonstration verbieten zu lassen, schrieb Günther Matthes in dieser Zeitung: „Wir können nur hoffen, dass Georg Moch (damaliger Polizeipräsident) nicht Schwierigkeiten mit dem Senat bekommt, weil er recht behalten hat. Er war in der unangenehmen Lage, auch die zuletzt beantragte Vietnam-Demonstration für vergangenen Sonntag verbieten zu müssen, obgleich er als Jurist diese Entscheidung für falsch hielt.“ Neubauer entsorgte Moch einige Wochen später.

„Psychisch schwerkranke Gemeinde West-Berlin“

Der Erfolg der Vietnamdemonstration veranlasste den Senat, drei Tage später zu einer Gegenkundgebung vor dem Rathaus Schöneberg aufzurufen. Der öffentliche Dienst bekam frei, hatte aber möglichst vor dem Rathaus zu erscheinen. Selbstgemalte Transparente gaben Zeugnis von der „psychisch schwerkranken Gemeinde West-Berlin“, dies eine Formulierung vom Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) vom Beginn seiner Amtszeit im Herbst 1967.

Man sah einen Galgen, daran eine Person hängend und die Worte „glückliche Reise“, ferner das berühmt gewordene „Rudi Dutschke, Volksfeind Nr. 1“. Am ÖTV-Haus hatten Ordner ein Transparent mit der Aufschrift „Bei Adolf wär das nicht passiert“ eingezogen. Auch Teilnehmer der Senatskundgebung wurden von anderen Demonstranten verprügelt, weil sie Bart, Brille oder Cordhose trugen. Ein Verwaltungsangestellter, in dem man Dutschke zu erkennen glaubte, flüchtete sich in einen Polizeiwagen, dessen Scheiben eingeschlagen wurden und den man umzustürzen versuchte.

Klaus Schütz hatte sie nun vor sich auf dem Rathausplatz, seit Jahren John-F.-Kennedy- Platz: seine „schwerkranke Gemeinde“. Nach Krieg, Teilung, Blockade und Mauerbau war diese Gemeinde mit dem Krieg im fernen Vietnam überfordert. Und erst recht mit den Protesten dagegen.

Uwe Soukup

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