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Zukunftsklischee. In Hollywood sind Cyborgs oft halb menschliche, halb kybernetische Monster. In der Science-Fiction-Reihe Star Trek unterwarfen die außerirdischen Borg durch ihre technische Überlegenheit ganze Welten. Auch Berliner Cyborgs wollen sich durch Technik verbessern – und mit dem Klischee von der bösen Mensch-Maschine aufräumen.

© picture-alliance/ dpa

Berliner Verein will Implantate basteln: "Hallo. Ich bin ein Cyborg"

Implantate im Kopf, Magneten im Finger: In Berlin hat sich der erste Cyborg-Verein gegründet. Die Mitglieder glauben an eine Zukunft, in der Maschinen die Menschen verbessern. Und fangen schon einmal an.

Enno Park ist leidenschaftlicher Teetrinker. Ein Exilostfriese, der in Berlin lebt. Blogger und Autor ist er auch. Wenn man ihn fragt, ist er vor allem eines: Cyborg. Mensch und Maschine zugleich. „Hallo. Ich bin Enno. Ich bin ein Cyborg“, sagt er. Er trägt ein graues Jacket, Brille mit dickem dunklen Gestell und sieht gar nicht aus wie ein Cyborg. Höchstens wie ein ganz gemütlicher Cyborg Anfang 40 – völlig ungeeignet, eine Gruppe kybernetischer Lebensformen zur Revolution zu rufen und eine Terrorherrschaft der Mensch-Maschinen zu errichten. Nein, Enno Parks Leben taugt nicht für Hollywood. Er nippt an seiner Flora-Power-Limonade. Wusste auch keiner, dass Cyborgs die mögen. Andererseits – was weiß man überhaupt über Cyborgs?

Kein Anspruch auf Weltherrschaft

Zu wenig, findet Park, den aber sowieso alle nur Enno nennen. Deswegen hat er im Dezember den ersten Cyborg- Verein in Berlin gegründet. 16 Mitglieder hat der mittlerweile. Wie die so im Neonlicht in einem Hinterzimmer der C-Base um einen sechseckigen Tisch hocken und auf ihre Macbooks starren, hat es doch wieder etwas von Weltherrschaft-an- sich-Reißen. Dabei verstehen sich die anwesenden Cyborgs wohl eher als Philosophen. Menschlicher werden durch Technik. Wenn sie sich überhaupt darauf einigen können, was genau einen Cyborg ausmacht, dann vielleicht das.

Medizinisch taub. Technisch ein Cyborg

Bei Enno Park ist die Situation klar. Medizinisch ist er taub. Seit einigen Monaten erlaubt ihm ein sogenanntes Cochlea-Implantat wieder hören zu lernen. Ein Mikrofon nimmt die Geräusche auf. Ein Sprachprozessor wandelt die Signale um. Die Empfangsspule sitzt unter der Haut hinter seinem rechten Ohr. Elektroden, die in seine Hörmuschel eingeführt sind, tragen die Signale weiter. Die Technik hat ihm geholfen. Cyborg sein, das heißt für ihn auch ganz Mensch sein. Andere Mitglieder sind nur fasziniert von den Möglichkeiten. Theaterwissenschaftler sind darunter, Kulturanthropologen. Einige haben sich Magneten in die Fingerkuppe implantieren lassen. Damit können sie elektromagnetische Felder fühlen. Wirklich sinnvoll anwenden lässt sich das nicht. Aber es vermittelt das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Etwas, das sich schlecht ins Deutsche übersetzt als „Cyborgismus“ beschreiben ließe. Eine Bewegung ohne Lobby. Bisher.

Mensch und Maschine. Enno Park (links) und sein Laptop sind das Herzstück des ersten Berliner Cyborg-Vereins. Die Mitglieder forschen an neuen Implantaten.
Mensch und Maschine. Enno Park (links) und sein Laptop sind das Herzstück des ersten Berliner Cyborg-Vereins. Die Mitglieder forschen an neuen Implantaten.

© Sidney Gennies

Warum nur menschlich, wenn es auch besser geht?

Auf seinem Laptop spielt Park einen Kurzfilm über Neil Harbisson ab. Jeder Cyborg kennt seine Geschichte. Er war, wenn man so will, der erste Cyborg überhaupt. Farbenblind von Geburt an, erlaubt ihm ein Gerät, der „Eyeborg“ Farben über Töne zu erfahren. Die britische Regierung hat es nach einigem Hin und Her als Teil von ihm anerkannt. Es steht jetzt in seinem Pass.

Genau dafür will sich Park auch mit seinem Verein einsetzen, sagt er: Akzeptanz in der Bevölkerung. Wie Park haben viele der Mitglieder Programmierkenntnisse. Später einmal, wenn sie etwas Geld zusammen haben und sich nicht mehr im Hinterzimmer einer Bar treffen müssen, wollen sie auch Implantate hacken, die Möglichkeiten, die sie bieten, erweitern. Warum mit Implantaten nur menschlichen Fähigkeiten nacheifern, wenn sie den Menschen auch verbessern könnten? Warum sollte Park nur so gut hören wie ein normaler Mensch, wenn sein Implantat es ihm auch erlauben würde, viel höherere Frequenzen wahrzunehmen? Warum sollte Harbisson nur schnöde Farben wahrnehmen können, wenn sein Implantat auch Infrarot und Ultraviolett erkennen kann?

Er träumt von völlig neuer Kommunikation

Stefan Greiner, der am Tisch neben Enno Park sitzt, träumt schon von einer völlig neuen Form der Kommunikation, eine, die man nicht nur lesen oder hören kann, eine, die man fühlen kann. Über Implantate, die im Arm vibrieren. Oder so. Die anderen sind skeptisch. Der Verein will die Entwicklung von Implantaten auch kritisch begleiten. Nicht alles was möglich ist, ist auch sinnvoll. „Ich glaube, dass es noch mehr als 30 oder 40 Jahre dauern wird, bis Cyborgs Alltag sind“, sagt Park. Nur, dass es irgendwann kommt, das scheint ihm sicher zu sein. Vielleicht ist es gut, dass jetzt schon jemand darüber nachdenkt, was das bedeuten könnte. Die Szene ist international. Vernetzt über das Internet tauscht sich der Verein auch etwa mit der Cyborg- Foundation in Barcelona aus.

Smartphone in der Hand, Wecker im Körper

Die Ziele sind unterschiedlich. Enno Park will mit seinen Mitgliedern einen implantierbaren Wecker entwickeln. Wenn er zu Bett geht und sein Implantat ausstellt, kriegt ihn fast nichts mehr wach. Er lacht, als er davon erzählt. Da sind sie wieder weit weg von Science Fiction. Plötzlich überlegen die Cyborgs nur noch, wie ihr Enno wieder pünktlich zur Arbeit kommt. Einige recherchieren gleich los. Mit dem Smartphone. Das ist auch immer in der Hand. Nur noch nicht implantiert.

Der Cyborg-Verein trifft sich jeden zweiten Montag im Monat. Willkommen sind alle Interessierten. Nähere Informationen finden Sie auf der Website des Vereins

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