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Berlin: Bitterer Nachgeschmack

Die einst weltgrößte Schokoladen-Fabrik in Tempelhof schließt. 470 Arbeitsplätze sind in Gefahr

Die Schokoladenfabrik stirbt, und das Yes-Torty ist schuld. Vielleicht liegt es aber auch an dieser großen Billigkette. Denn als die 1999 begann, das Yes-Torty aus den Regalen zu nehmen – wie alle anderen Markenartikel auch, weil sie den Kunden zu teuer waren – begann der Zusammenbruch des Werks in Tempelhof. So viele Menschen kaufen in diesen Supermärkten, und wenn dort keine Tortys mehr abgesetzt werden, reißt das ein großes Loch in den Umsatz. Nun muss der Besitzer, der Nestlé-Konzern, den Berliner Standort schließen. Ende 2003 wird das letzte Torty gebacken. Was aus den 470 Angestellten wird, ist noch nicht klar.

„Wir fangen gerade erst an, die Verhandlungen mit dem Betriebsrat zu führen und einen Sozialplan zu erstellen“, sagt John Broadbridge. Broadbridge ist hier der Werkdirektor, und zurzeit ist er es nicht gerne. In seinem Werk arbeiten überdurchschnittlich viele Paare, mitunter ganze Familien, bei denen mit der Schließung das gesamte Einkommen ausfällt, außerdem Dutzende ungelernter Arbeiter. „Vor allem denen würde ich gerne schon konkrete Angebote machen“, sagt Broadbridge, und hebt zum wiederholten Mal hilflos die Hände, „aber damit bin ich einfach noch überfordert.“ Bisher weiß er nur, dass einige Produkte zukünftig in Hamburg hergestellt werden könnten, und dass es dann dort „eine nicht unerhebliche Menge an Jobs“ gibt. Umsiedeln, hieße das.

Die Entscheidung, den Nestlé-Standort in Berlin zu schließen, ist in der Frankfurter Zentrale gefallen. Die Berliner hatten erst am Montag davon erfahren. Am Dienstag hatte es zwei Belegschaftsversammlungen gegeben: eine am Mittag und eine für die Nachtschicht. Da sei es laut geworden, heißt es. Am Mittwoch hängt an der Glastür zum Zimmer des Betriebsrates schon seit dem Morgen das Schild „Sitzung. Bitte nicht stören“. Die Mitarbeiter laufen wie betäubt durch die Gänge und mögen sich nicht unterhalten. In der Cafeteria sitzen sie ganz für sich allein, rauchen und starren an die Decke. Vielleicht erinnern sie sich an bessere Zeiten.

Vor einigen Jahren noch war es viel lebendiger auf dem 50 000-Quadratmetergelände. Mehr als 2000 Menschen haben hier mal gearbeitet; das war, als noch „Sarotti“ überm Tor stand. 30 000 Tonnen Tafelschokolade hat das Werk damals produziert. Doch dann, Anfang der 90er Jahre, wurde die Tafel immer billiger, und der Nestlé-Konzern, zu dem Sarotti seit 1929 gehört, entschied, die Marke zu verkaufen und sich in Berlin auf etwas Ertragreicheres zu konzentrieren: auf Kuchenriegel nämlich – Nesquick Snacks, Chocolate Chips, Waffelröllchen. Und Yes Tortys.

Mehr als 20 Jahre lang haben Yes Tortys zuverlässig Gewinn gebracht. 4,5 Milliarden Stück wurden in alle Welt verkauft, und Berlin war der alleinige Hersteller. Rund ein Drittel der gesamten Produktion bestand aus Yes Tortys, zeitweilig waren es 13 000 Tonnen jährlich – jetzt sind es nur noch 4000. Am Preiskampf liege das, heißt es aus der Frankfurter Konzernzentrale, und an diesem Trend zu No-Name-Marken, dem die mächtige Billigkette 1999 nochmal einen heftigen Schubs gegeben hatte, als sie die Markenartikel aus ihrem Sortiment verbannte. Der Kleinkuchenmarkt sei tot.

Den Besuchern im Werk haben die Frankfurter dieser Tage die Gespräche mit Mitarbeitern verboten. Vielleicht haben sie Angst vor übler Nachrede. Das wäre verständlich, denn die Enttäuschung der Menschen geht über die Furcht vor dem Arbeitsplatzverlust hinaus. Viele arbeiten schon so lange für Nestlé. Eine Sekretärin hat gerade ihr 25-jähriges Jubiläum gefeiert, ein technischer Leiter ist seit 20 Jahren dabei und die am Band, wo die Tortys in ihre Verpackungen sausen, ist 15 Jahre hier. Die leitenden Angestellten haben immer ihre „Grundlegenden Management- und Führungsprinzipien von Nestlé“ in der Innenseite des Kittels, ein Büchlein, in dem sinngemäß steht, dass die Mitarbeiter das höchste Gut sind. Nestlé sagt gern, dass in seinen Betrieben eine familiäre Atmosphäre herrschen soll, und in Berlin hat es geklappt. Nun wendet sich der Clan gegen seine Mitglieder, denken viele.

Sie sagen, sie machen dem Herrn Broadbridge keinen Vorwurf. Die Marketing-Abteilung in Frankfurt sei schuld, sagen sie, und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten da steht voll auf ihrer Seite. Die Frankfurter hätten die Yes-Tortys besser vermarkten müssen, sagen sie. Die hätten eine Zweitmarke bei der großen Billigkette unterbringen müssen, wie es alle tun. Aber das wollten die Frankfurter nicht. Qualität findet schon ihre Abnehmer, haben sie gedacht. Jetzt kostet sie Arbeitsplätze.

Es ist ein altes Stück Berlin, das sterben muss. Die Geschichte der Schokoladenfabrik reicht bis ins vorletzte Jahrhundert zurück. Im Jahr 1868 hatte der junge Konditormeister Hugo Hoffmann in der Mohrenstraße mit der Herstellung feinster Pralinen begonnen. 1881 kaufte er die „Confiseur-Waaren-Handlung Felix und Sarotti“ dazu und nannte seine Produkte fortan nach ihr. 1912 ließ er an der Teilestraße in Tempelhof eine neue Fabrik bauen. Sie wurde zur größten weltweit.

Heute stehen die Produktionshalle und das backsteinerne Kesselhausgebäude unter Denkmalschutz. Die ersten Makler sollen sich schon gemeldet haben, heißt es, um das Grundstück auseinanderzunehmen.

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