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Stoff des Anstoßes. Juristen halten die richterliche Anordnung für skandalös.

© dpa

Brandenburg: Scheidung vor Amtsgericht nur ohne Kopftuch

Ein Familienrichter macht einer Syrerin Kleidervorschriften, obwohl sie nicht dem Neutralitätsgebot unterliegt. Ein Staatsrechtler hält das für einen Skandal.

Sie kam als Flüchtling aus Syrien nach Deutschland und landete in Brandenburg. Jetzt will sie sich von ihrem Mann, beide sind Muslime, vor dem Amtsgericht in Luckenwalde (Teltow-Fläming) scheiden lassen. Doch der zuständige Familienrichter hat ihr für den Verhandlungsauftakt untersagt, mit Kopftuch zu erscheinen.

Der in Berlin ansässigen Anwältin Najat Abokal schrieb er in der Ladung zum Termin am 27. Juli: „Es wird darauf hingewiesen und zugleich um Beachtung gebeten aus gegebenem Anlass, dass religiös motivierte Bekundungen wie Kopftuch“ im Gerichtssaal und während der Verhandlung „nicht erlaubt werden“. Daher sei bei Nichtbefolgen mit Ordnungsmaßnahmen zu rechnen. Der Syrerin stellte der Richter sogar frei, persönlich zu der Verhandlung zu erscheinen und ihre Anwältin zu beauftragen. Dabei hatte der Richter in der Ladung auch persönliches Erscheinen angeordnet.

Neutralitätsgesetz gilt nur für Menschen im Staatsdienst

Die Anwältin will gegen die Entscheidung vorgehen, wie sie dem Tagesspiegel sagte. Sie hält das Kopftuchverbot für ihre Mandantin für verfassungswidrig. Zwar gilt für Richter und Staatsanwälte das Neutralitätsgebot, sie dürften nicht im Kopftuch auftreten – doch wer nicht im Staatsdienst tätig ist, für den gilt dies nicht. Und was Zuschauer betrifft, hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2006 geurteilt, dass sie nicht wegen eines Kopftuches, getragen aus rein religiösen Gründen, aus dem Gerichtssaal geschickt werden dürfen, wie es ein Jugendrichter am Amtsgerichts Tiergarten einst tat.

Die Verteidigerin Najat Abokal hat dem Luckenwalder Richter zurückgeschrieben und die Anordnung beanstandet. Näher äußern wollte sie sich zu dem Verfahren nicht. Sie warte zunächst die Entscheidung des Richters ab. Die Direktorin des Amtsgerichts, Roswitha Neumaier, sagte dem Tagesspiegel, der Termin am Donnerstag in einer Woche sei aufgehoben, also vertagt worden. Zum von ihrem Kollegen verhängten Kopftuchverbot wolle sie sich nicht äußern, nur so viel: „Er hat für Ordnung zu sorgen im Gerichtsaal, wo religiöse Zeichen nichts zu suchen haben.“

Missbrauch des richterlichen Ermessens?

Unter Juristen schlägt der Fall Wellen. Auch der Staatsrechtler Klaus F. Gärditz, Professor für öffentliches Recht an der Friedrich-Wilhelms Universität Bonn hat sich eingeschaltet. Er hält die Anordnung des Familienrichters für einen Skandal. In einem Beitrag für die „Legal Tribune“ wirft er dem Richter groben Missbrauch des richterlichen Ermessens vor, der die Unvoreingenommenheit des Gerichts in Frage stelle und als Rechtsbeugung verstanden werden könne. Die Justiz dürfe „keine Ressentiments eines provinziellen Alltagsrassismus und -sexismus mit prozessualen Mitteln fortsetzen“. Hier werde die Religionsfreiheit der Syrerin verletzt. Um vor Gericht zu erscheinen und Nachteile im Verfahren zu vermeiden, müsste sie sich entblößen. „Die damit verbundene sexistische Demütigung ist greifbar“, befindet Gärditz.

Gewiss, wer in Badehose oder in Clownskostüm erscheint, der muss mit dem Rausschmiss rechnen. Rocker dürfen schon seit einigen Jahren nicht mehr mit den Insignien ihrer Clubs im Gerichtssaal Platz nehmen. Wie aber einer Frau, die Scheidung einreicht, vor Gericht das Kopftuch als Zeichen der eigenen Religion als Störung der Ordnung ausgelegt werden kann, das fragen sich auch Juristenverbände und das Justizministerium in Potsdam. Offen sprechen will niemand, es geht schließlich um die richterliche Unabhängigkeit.

Unisono wird das Vorgehen aber als fragwürdig bezeichnet, möglich sei es nur unter ganz besonderen Umständen, zum Beispiel Vollverschleierung. Und es hieß: Man stelle sich nur vor, eine Ordensschwester oder ein strenggläubiger Jude mit Kippa würden in Luckenwalde vor Gericht erscheinen.

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