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BVG zieht vor Londoner Gericht: Ein alter Deal kostet jetzt möglicherweise 150 Millionen Euro

Die BVG streitet in London um 150 Millionen Euro. Sie fühlt sich von Berater der US-Bank JP Morgan ausgetrickst. Das Geschäft, dem der Aufsichtsrat unter dem damaligen Vorsitzenden Thilo Sarrazin nach vier Minuten Beratung zustimmte, war kompliziert - zu kompliziert für die Berliner?

Hat die BVG ein extrem riskantes Finanzierungsgeschäft abgeschlossen, ohne es verstanden zu haben? Und muss sie jetzt deshalb möglicherweise bis zu 150 Millionen Euro zahlen? Dass die BVG-Verantwortlichen Anfang des 21. Jahrhunderts bei diesem Vertrag unwissend oder gar dumm gehandelt haben sollen, geht nach Informationen der „tageszeitung“ aus Prozessunterlagen hervor, die für eine Klage vor dem High Court in London eingereicht worden sind. Mit der Klage will die BVG verhindern, zur Kasse gebeten zu werden. Ihr Argument: Die BVG-Mitarbeiter hätten damals die wesentlichen Aspekte der Transaktion nicht verstanden und seien von den Beratern der US-Bank JPMorgan ausgetrickst worden.

Ein lukratives Geschäft

Die BVG hatte zwischen 1997 und 2002 insgesamt 427 U-Bahn-Wagen und 511 Straßenbahnen an US-Investoren vermietet und gleichzeitig zurückgemietet. Lukrativ war dieses Geschäft, „Cross Border Leasing“ genannt, weil die amerikanischen Käufer dadurch Steuern sparen konnten. Die Ersparnis, im Prinzip aufgebracht vom amerikanischen Steuerzahler, war so hoch, dass davon auch die BVG profitierte. Ursprünglich war das Modell nur für Unternehmen auf dem heimischen Markt gedacht. In Deutschland machten zahlreiche kommunale Unternehmen dabei mit.

Als sich abzeichnete, dass die Regeln verschärft oder gar aufgehoben werden könnten, drohte der BVG die Gefahr, drei bis vier Millionen Euro zu verlieren. Um dies zu vermeiden, schlug JPMorgan nach Angaben von Insidern eine besondere Absicherung vor: eine Art Wette, ob 150 Unternehmen in den nächsten Jahren finanzielle Probleme bekommen. Kommt es zu einer Pleite, gewinnt die Bank die Wette, im anderen Fall kassiert die BVG. Die Verantwortlichen dort nahmen an, dass der Verlust nur eintrete, wenn alle 150 Unternehmen in Schwierigkeiten gerieten; laut Vertrag aber reichte für das Verlieren bei der Spekulation, dass schon weniger als ein Dutzend Firmen Probleme bekam. Und genau das trat dann ein.

Sarrazin verstand die Transaktion nicht

Der Aufsichtsrat, der das komplizierte Geschäft 2007 nur vier Minuten beraten hatte, stimmte unter dem Vorsitz des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin (SPD) dem Deal zu. Ein Audio-Mitschnitt der Sitzung, der nach Angaben der BVG üblich ist, liegt dem Gericht und JPMorgan vor. Laut „taz“ soll Sarrazin vorher zu erkennen gegeben haben, dass er die Transaktion nicht verstehe. Der Vertrag umfasste Hunderte von Seiten und war auf Englisch verfasst.

Getäuscht fühlt sich die BVG aber auch von einer Kanzlei, von der sie sich – auf Empfehlung von JPMorgen – vor Vertragsabschluss beraten ließ. Die Kanzlei habe verschwiegen, dass sie bereits für die Bank arbeitete und damit für deren Interessen eintrete. Am Ende hatten die Berater in der Tat keine Bedenken gegen die damals durchaus üblichen Finanzspekulationen, die schließlich zur weltweiten Finanzkrise beitrugen. Ursprünglich wollte sich die BVG, die sich dazu nicht äußert, nach Angaben der „taz“ von einer anderen Kanzlei beraten lassen. Deren Honorarforderungen – bis zu 250000 Euro – waren dem damaligen Vorstand unter Führung von Andreas von Arnim aber zu hoch. Die dann gewählte Kanzlei verlangte 45000 Euro. Arnim starb 2005. Sein Nachfolger Andreas Sturmowski setzte das Geschäft dann um. Sein 2010 ausgelaufener Vertrag war vom jetzt amtierenden Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für SPD) nicht verlängert worden. Ein Urteil in London wird frühestens im Sommer erwartet. Möglich ist aber auch ein Vergleich.

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