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Berlin: Chef der SPD-Senioren unter Stasi-Verdacht Hans Kohlberger soll Berlins Sozialdemokraten

seit 1960 für die DDR ausspioniert haben

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Landesvorsitzende der SPD-Senioren (AG „60 plus“), Hans Kohlberger, muss sich erneut des Vorwurfs erwehren, für die Stasi gearbeitet zu haben. Er soll unter dem Decknamen „Sense“ spätestens seit 1960 Berichte über die innerparteiliche Lage der Berliner SPD an das DDR-Ministerium für Staatssicherheit weitergegeben haben. In der Birthler-Behörde seien die Akten jetzt entschlüsselt worden, berichtete die „Bild“-Zeitung.

Kohlberger stritt gestern alles ab und verwies darauf, „dass es den Verdacht gegen mich schon in den neunziger Jahren gab“. Ein Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf sei eingestellt worden. Matthias Zieger, damals Rechtsanwalt Kohlenbergs, bestätigte dies dem Tagesspiegel. Die Bundesanwaltschaft habe 1994 ein Verfahren wegen des Verdachts der nachrichtendienstlichen Tätigkeit eingeleitet. Grundlage sei der ausführliche Vermerk eines Verfassungsschützers gewesen, der Einblick in die Agentenkartei der Stasi-Hauptverwaltung („Rosenholz-Kartei“) genommen habe, die erst 2003 vom US-Geheimdienst CIA an Deutschland zurückgegeben wurde. In diesem Vermerk sei ein Hans Kohlberger als Klarname für den „IM Sense“ aufgetaucht, so der Anwalt. Der Stasi-Informant solle Einschätzungen über die Berliner SPD verfasst und „eine Nähe zum Abgeordnetenhaus-Ausschuss für Bundesangelegenheiten und Gesamtberliner Fragen“ gehabt haben.

Kohlberger, 72 Jahre alt und seit 52 Jahren SPD-Mitglied, war von 1963 bis 1969 Mitglied des Abgeordnetenhauses. Außerdem arbeitete er über zehn Jahre als Sozialstadtrat in Kreuzberg, war zeitweilig Mitglied des SPD-Kreisvorstands und übernahm 2003 den Landesvorsitz der Arbeitsgemeinschaft „60 plus“. Er gehört zur „Berliner Linken“ in der SPD. Über die Stasi-Ermittlungen informierte Kohlberger im Oktober 1994 den Kreuzberger SPD-Kreisvorstand; er ließ damals freiwillig alle Parteifunktionen ruhen. Vor dem OLG Düsseldorf bestritt er dann kategorisch, Informant der Stasi gewesen zu sein. „Weil die Identität unklar war und nur auf dem Hörensagen eines Zeugen beruhte, einigten wir uns vor Gericht mit dem Kläger auf die Einstellung des Verfahrens bei Zahlung einer Geldbuße“, erinnerte sich Anwalt Zieger. Außerdem hätten die Tatvorwürfe damals schon Jahrzehnte zurückgelegen.

Das war im September 1998. Anschließend informierte Kohlberger den SPD-Kreisvorstand schriftlich über das eingestellte Verfahren und bedankte sich für das Vertrauen der Partei. Nun holt ihn die Vergangenheit ein. Der Landesvorstand der SPD forderte Hans Kohlberger gestern auf, zu den Vorwürfen kurzfristig Stellung zu nehmen. Die SPD-Kreischefin in Friedrichshain-Kreuzberg, Elga Kampfhenkel, reagierte überrascht. „Um Himmels willen, das kann ich mir gar nicht vorstellen.“ Auch ihr Amtsvorgänger Mark Rackles, Sprecher der SPD-Linken, hörte zum ersten Mal von dem Verdacht gegen den Parteifreund.

Stasi-Ermittlungen liefen 1993/94 übrigens nicht nur gegen Kohlberger, sondern auch gegen die SPD-Abgeordnete Ursula Leyk und den früheren SPD-Fraktionschef in der BVV Kreuzberg, Rainer Klebba. Er musste seine Arbeitsstelle, die Senatsschulverwaltung, verlassen und trat aus der SPD aus. Der SPD-Abgeordnete Bodo Thomas wurde 1993 unter Spionageverdacht festgenommen. Zwei Jahre später nahm er sich das Leben.

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