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Namensfrage. Manchem gefällt nicht, wie Nachbarskind heißen soll.

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Debatte um Taufliste aus Berlin: Vornamen in Mitte:"So heißt die Gentrifizierung"

Ein Facebook-Nutzer postete die Liste der Täuflinge einer Kirchengemeinde in Berlin-Mitte. Er löste damit eine Debatte über Gentrifizierung im Kiez aus. Auch ein Experte der Humboldt-Uni schaltete sich ein.

Also lesen wir bei Matthäus 19:14,15: „Aber Jesus sprach: Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes. Und legte die Hände auf sie und zog von dannen.“ Davon, dass er sie nach ihren Namen gefragt hätte, steht nichts in der Bibel, es spielte für den Heiland offensichtlich keine Rolle.
Irrelevant im Gelobten Land bedeutet aber noch lange nicht irrelevant in Berlin. Und schon gar nicht in dessen Mitte, deren Straßen mittlerweile unter permanentem Gentrifizierungsverdacht stehen, oft nicht ganz zu Unrecht. Für das Lebens- und Wohngefühl der Alteingesessenen eine heikle Lage, für all jene aber, die sich zu ihrer Verteidigung berufen fühlen, Anlass zu permanentem Misstrauen gegenüber allen sich andeutenden Veränderungen. Da kann selbst eine kirchliche Mitteilung einen kleinen Netzsturm auslösen.

Zum Beispiel das aktuelle „Kirchenfenster“, das Mitteilungsblatt der Evangelischen Kirchengemeinde am Weinberg – Berlin-Mitte, zu der Golgatha-, Zions- und Sophienkirche gehören. Regelmäßig werden darin auch die Namen der frisch Getauften veröffentlicht, im vorliegenden Fall waren es 28 junge Christen.

Aber wie die bloß heißen! Dies hat einen Facebook-Nutzer so umgetrieben, dass er die Namenliste kurz vor Heiligabend postete – mit knapper Erläuterung, ohne Kommentar, der schien ihm wohl überflüssig. Denn zugegeben: Hinz oder Kunz heißt dort keiner, statt dessen findet man sogar einige Nachnamen, die von adliger Herkunft zeugen, und auch bei den Vornamen ist ein Wille zum Erlesenen nicht ganz von der Hand zu weisen: Ada Mai Helene, Frederick Theodor Heinrich, Leonore Anna Maria Chiara oder auch Rufus Oliver Friedrich – das klingt schon nach was, soll es sicher auch, dagegen ist wenig einzuwenden.

Manch einer tut dies dennoch – und kommt zu weitreichenden Schlüssen: „So heißt also die Gentrifizierung!“, lautete einer der vielen Kommentare zur Liste, in einem anderen wurde „das Comeback alter Adelsgeschlechter in Berlin-Mitte“ beschworen, und ein dritter Nutzer – „Holger“ – befand, es herrsche „ein ziemlicher Überhang des Buchstaben ,a’ im Fürstentum Mitte“, dazu passe „affig, albern und Arschgeigen“. Andere Kommentare fielen gnädiger aus: „lieb sein, die Taras und Apollonias sollen mal meine Rente zahlen“.

Auch die Sopienkirche gehört zur Gemeinde am Weinberg in Mitte.
Auch die Sopienkirche gehört zur Gemeinde am Weinberg in Mitte.

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Mag den spontanen Äußerungen des Missfallens wissenschaftliche Fundierung fehlen – sie wurde bald nachgeliefert, auf dem „Gentrification Blog“, der „Nachrichten zur Stärkung von Stadtteilmobilisierungen und Mieter/innenkämpfen“ verbreitet, betrieben von Andrej Holm, am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Uni befasst mit Stadt- und Regionalsoziologie. „Berlin: Am Taufbecken der Gentrification – Kirche im Aufwertungsgebiet“, so ist der entsprechende Beitrag überschrieben.

Für den Autor liest sich die Liste „wie eine Mischung aus FDP-Wahlliste für das Europaparlament und dem Verzeichnis der höheren Beamten des Diplomatischen Dienstes. Der Wortsinn der Gentrification – der ja auf die Wiederkehr des niederen Landadels (der Gentry) in den Städten anspielt – bekommt hier jedenfalls einen unerwarteten Realitätsgehalt.“

Andreas Ernst Karl Conrad

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