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Vom Schaffner arbeitete sich der Kameruner Martin Dibobe bis zum Zugführer hoch.

© BVG/Archiv

Deutsche Kolonialgeschichte in Berlin: Vom Forschungsobjekt zum Zugführer

Die erste Gedenktafel für einen afrikanischen Berliner erinnert seit Montag an Martin Dibobe. Der Kameruner arbeitete als Zugführer und kämpfte gegen Rassismus.

Mit einem kräftigen Zug fällt die weiße Plane von der Hauswand der Kuglerstraße 44 in Prenzlauer Berg und enthüllt die Gedenktafel für Martin Dibobe. Die Initiatoren prosten sich mit Sekt zu, die rund vierzig Zuschauer applaudieren. In der Hauptstadt hängen mittlerweile etwa 450 solcher Tafeln, dies ist die erste für einen Berliner afrikanischer Herkunft. Der Verein Berlin Postkolonial hatte die Dibobe-Tafel dem Historischen Beirat des Regierenden Bürgermeisters vorgeschlagen, der darüber entscheidet.

Bei der Völkerschau sollte Dibobe sein exotisches Leben präsentieren

Geboren 1876 als Quane a Dibobe in Kamerun, damals deutsche Kolonie, wird Dibobe in einer Missionarsschule auf den Namen Martin getauft. Mit 20 Jahren macht er sich auf nach Berlin. Sein Ziel: Lernen und arbeiten. Erstmal ist für ihn aber anderes vorhergesehen: Bei der Gewerbeausstellung tritt Dibobe bei der Völkerschau auf. Im Treptower Park werden afrikanische Dörfer aufgebaut, leicht bekleidet sollen Menschen aus den Kolonien ihr exotisches Leben präsentieren — zum Amusement der Kolonialherren und ihrer Bürger.

Das Deutsche Reich wollte sich mit dieser Schau als Weltmacht darstellen, zwölf Jahre, nachdem bei der Berlin Konferenz der afrikanische Kontinent unter den Kolonialmächten aufgeteilt wurde. Auch als Forschungsobjekt ist Dibobe interessant: Mediziner der Charité vermessen seinen Kopfumfang, am Seminar für Orientalische Sprachen analysieren sie, wie er spricht.

Dibobe will trotzdem in Deutschland bleiben und hier, trotz aller Schwierigkeiten, ein gutes Leben führen. Im Siemenswerk lässt er sich zum Schlosser ausbilden und baut er an der ersten U-Bahnstrecke, der U1, mit. Begeistert von der modernen Bahn fängt er als Schaffner an und arbeitet sich bis zum Zugführer hoch, damals ein sehr angesehener Beruf, der ihn sogar zum Beamten macht. Dibobe heiratet die Tochter seines Vermieters, die Berlinerin Helene Noster, gemeinsam bekommen sie zwei Kinder.

Seit Montagmittag hängt in Prenzlauer Berg die Gedenktafel für Martin Dibobe.
Seit Montagmittag hängt in Prenzlauer Berg die Gedenktafel für Martin Dibobe.

© Thilo Rückeis

Faire Löhne, Gleichberechtigung, keine Misshandlung: Mit einer Petition wehrt er sich gegen Rassismus

Auch wenn er die Völkerschau längst hinter sich gelassen hat, fühlt sich Dibobe nicht akzeptiert als vollwertiges Mitglied der deutschen Gesellschaft. Nur sehr wenige Afrikaner aus den deutschen Kolonien dürfen studieren, oft gibt es Probleme, wenn sie weiße Frauen heiraten wollen. Dibobe engagiert sich politisch, bei der Liga der Menschenrechte und den Sozialdemokraten.

Mit 17 anderen Kamerunern, die in Deutschland leben, verfasst er 1919 eine Petition. Darin verlangen sie Selbstständigkeit, Gleichberechtigung und faire Löhne. Sie wehren sich, am Arbeitsplatz misshandelt und beschimpft zu werden. Fordern, sich an Universitäten einschreiben zu dürfen. Und einen eigenen Vertreter in der Nationalversammlung. Auf die Petition antwortet ihm niemand. Weil er sich politisch engagiert, wird das Leben in Deutschland für ihn schwerer und schwerer. Dibobe verliert seine Arbeit und kehrt um 1920 nach Kamerun zurück. Danach verliert sich seine Spur.

Seit 20 Jahren erforscht Katharina Oguntoye in Berlin Geschichten afrikanischer Diaspora.
Seit 20 Jahren erforscht Katharina Oguntoye in Berlin Geschichten afrikanischer Diaspora.

© Thilo Rückeis

Die Historikerinnen Katharina Oguntoye und Paulette Reed-Anderson haben Dibobes Geschichte rekonstruiert. "Für uns als Afrodeutsche ist er ein Vorbild und eine Inspiration", sagt Oguntoye bei ihrer Ansprache auf dem Bürgersteig vor der neuen Tafel. Vor allem, wie Dibobe trotz der täglichen Diskriminierung stark geblieben sei und versucht habe, sich zu wehren. Oguntoye erforscht seit 20 Jahren Geschichten der afrikanischen Diaspora in Berlin. "Öffentliches Interesse daran gibt es erst seit wenigen Jahren", sagt sie.

Die Tafel in Prenzlauer Berg ist nicht der einzige Ort, der in Berlin zur Zeit die deutsche Kolonialgeschichte thematisiert. Im Deutschen Historischen Museum läuft eine Ausstellung zur deutschen Kolonialgeschichte, die auch die Geschichte von Martin Dibobe aufgreift. Und im U-Bahnhof Hallesches Tor hängt schon länger ein Foto des Zugführers in Uniform neben einer alten U-Bahn.

Lange wurde die Kolonialgeschichte nicht beachtet

"Bis heute sagt der Name Martin Dibobe eher Experten der Kolonialgeschichte etwas", sagt Staatssekretärin Hella Dunger-Löper in ihrer Ansprache bei der Einweihung. In Berlin habe man erst spät begonnen, die Kolonialgeschichte aufzuarbeiten. Sie bedankt sich bei Initiativen wie Berlin Postkolonial, welche die Aufarbeitung vorantreiben. "In einer Zeit, in der rassistische Parolen zunehmen, ist es umso wichtiger, laut die Stimme zu erheben und an Menschen wie Dibobe zu erinnern", sagt sie und schließt: "Ich wünsche der Tafel viel Aufmerksamkeit."

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