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Die Pädagogin Clara Maria Wengler wird beim bundesweiten Wettbewerb ausgezeichnet. Ein ehemaliger Schüler von der Kreuzberger Ferdinand-Freiligrath-Schule hatte sie vorgeschlagen.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Deutscher Lehrerpreis: Schüler zeichnen Kreuzberger Lehrerin aus

Frontalunterricht vorne an der Tafel? Das fiele Clara Maria Wengler nicht ein. Heute wird die Kreuzberger Pädagogin ausgezeichnet.

Sören redet von seinem Lebenstraum, man kann es bloß nicht sofort erkennen. Er hält den Kopf oft gesenkt, so dass ihm ständig die langen, dunkelblonden Haare ins Gesicht fallen. Er hängt mehr auf seinem Stuhl, als dass er sitzt, sein Reden ist eher ein wortkarges Nuscheln. Sören will Modesigner werden, das ist sein Lebenstraum.

Einen Meter neben ihm, an einem langen Tisch im Konferenzraum der Ferdinand-Freiligrath-Schule, einer Integrierten Sekundarschule in Kreuzberg, sitzt Clara Maria Wengler, Sörens frühere Deutsch- und Ethiklehrerin. Eine 34-Jährige mit kurzen schwarzen Haaren. Sie war fünf Jahre an der Schule, seit Sommer 2017 unterrichtet sie an der Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule in Neukölln.

Sören verdankt ihr, dass er eine Chance hat, seinen Traum zu verwirklichen. Und Clara Maria Wengler verdankt Sören, dass sie heute den „Deutschen Lehrerpreis 2017“, Kategorie: „Schüler zeichnen Lehrer aus“, erhält.

Sören kam vor fünf Jahren an die Schule, ein schwieriger Fall. Er hatte psychische Probleme, er erhielt einen individuellen Stundenplan. Clara Maria Wengler sah den Jungen, sie kümmerte sich um ihn, führte viele Einzelgespräche, sie motivierte ihn, arbeitete mit ihm seine Stärken heraus.

Deshalb schrieb Sören 2017 aus Dankbarkeit einen Brief an den Deutschen Philologenverband, dessen hochkarätige Jury die Preise in den einzelnen Kategorien vergibt. Sören hatte erfahren, dass es so einen Preis gibt, also schlug er seine Lehrerin als Kandidatin vor.

Niemand wusste von diesem Brief, Sören erzählte es keinem. Er schrieb unter anderem: „Frau Wengler ist eine herausragende Lehrerin, die sich während meiner zweijährigen Erkrankung um meinen Schulstoff kümmerte, mich in der Klinik besuchte und meine Rückkehr in die Schule organisierte.“ Und er schrieb: „Wer weiß, wo ich ohne ihre Hilfe jetzt wäre... sicherlich nicht mit zwei Abschlüssen in der Tasche und einem Lebenstraum vor Augen.“ 2017 legte er seinen Mittleren Schulabschluss ab, jetzt sucht er eine Lehrstelle.

„Man wird mich sehr selten dozierend an der Tafel sehen“

Mehr als 4800 Schüler und Schülerinnen sowie Lehrkräfte haben sich am Wettbewerb 2017 beteiligt. Bundesweit wurden die Preisträger ausgewählt. Als Grundlage für die Jury diente die jeweilige Einsendung, in Fall von Clara Maria Wengler der Brief von Sören. Selbst die Schulleiterin erfuhr erst von der Aktion, als das Schulamt fragte, ob es angemessen sei, der 34-jährigen Pädagogin diesen Preis für herausragendes pädagogisches Engagement zu überreichen.

Die Pädagogin sitzt jetzt nicht bloß mit Sören am Konferenztisch. Auch fünf Schüler der achten Klasse, die bis Sommer 2017 Clara Maria Wengler als Lehrerin hatten, sind da. Sie hören zu, als die 34-Jährige sagt, „dass es in dieser digitalisierten Welt zum Kerngeschäft eines Lehrers gehört, Schüler zu motivieren“. Die 34-Jährige arbeitet nach Möglichkeit individuell. „Man wird mich sehr selten dozierend an der Tafel sehen.“

In der Arena-Klasse hatte sie auf diese Weise ohnehin nicht unterrichtet. Arena-Klassen beschäftigen sich in der Kreuzberger Schule mit Themenschwerpunkten, ein jahrgangsübergreifendes Lernen mit neun Stunden in der Woche, als Teil des Rahmen-Lehrplans.

Sören und die fünf anderen Schüler waren zusammen in der Arena-Klasse zum Thema Medien, die Clara Maria Wengler unterrichtete. Natürlich flossen dabei Teile des Deutsch-Unterrichts ein. In ihrer Arena-Klasse hatte die 34-Jährige kein Problem damit, ihren Schülern zu zeigen, dass sie im Medienbereich mitunter etwas besser können als ihre Lehrerin. Eine vertrauensbildende Toleranz innerhalb klarer Grenzen. Die Regeln bestimmte aber immer sie.

Am Tisch sitzt auch Fabian, ein 15-Jähriger, der einen Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Army“ trägt. Er findet es „toll, dass Frau Wengler diesen Preis erhält“. Denn „die war immer eine gute Ansprechpartnerin, sie hat uns immer gezeigt, was wir können.“

Die Wort-Klinik

Sie hat ihnen im regulären Deutschunterricht auch auf unterhaltsame Weise gezeigt, wie man kurzweilig Rechtschreibung lernen kann. Die „Wort-Klinik“, das ist ihre Idee. „Die Wort-Klinik“, sagt Sixten, der 14-Jährige mit dem roten Pullover, „war das Beste von allem.“ Die Schüler notierten Worte, die sie nur fehlerhaft schreiben konnten, auf Karteikarten. Die landeten in einer Box. Immer wieder schrieben die Schüler diese Worte, immer häufiger, ohne hinzuschauen. Je weniger Fehler sie machten, umso weiter rutschte die Karte mit dem Wort in der Box nach hinten. Schrieb jemand fehlerfrei, flog die Karte ganz aus der Box. Wie eine Entlassung aus dem Krankenhaus, deshalb „Wort-Klinik“.

Clara Maria Wengler muss grinsen, als sie das Lob der Schüler hört. „Ist ja lustig, dass die Schüler genau dieses Beispiel nehmen. Normalerweise wird Rechtschreib-Unterricht ja gehasst.“ Aber nicht, wenn die Lernmethode interessant ist. Wissen kann man ja auch spielerisch vermitteln.

Aber gespielt wurde immer nach den Regeln der Deutsch- und Ethik-Lehrerin. Und mitunter signalisierte sie diese Regeln an der Klassentür. Nachdem mehrere Schüler zu spät in den Unterricht gekommen waren, heftete sie die Unterrichtsaufgaben an die Tür, von außen natürlich. Die Schüler mussten ihre Aufgaben außerhalb des Klassenzimmers erledigen. Sixten hat diese Lösung schwer beeindruckt.

Und Sören ist der 34-Jährigen sowieso dankbar, weil sie ihn „nicht bloß als Schüler, sondern auch als Menschen wahrgenommen und mir so sehr geholfen hat“. Er hat noch einen Lebenstraum, neben dem Modedesign. Über seinen zweiten Traum redet er nicht im Konferenzzimmer, den teilte er nur der Jury mit. Und auch den würde er ohne Clara Maria Wenglers Vorarbeit kaum verwirklich können. Sören will das Abitur machen.

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