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Steine auf Massengräbern. Der Jüdische Friedhof in Mitte. Hier soll auch Gestapo-Chef Heinrich Müller begraben worden sein.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die falsche Leiche: Gestapo-Chef liegt auf jüdischem Friedhof in Berlin

Gestapo-Chef Heinrich Müller ist auf einem jüdischen Friedhof begraben. Ein Historiker ist sich dessen sicher, die Jüdische Gemeinde reagiert entsetzt.

Einer der schlimmsten Naziverbrecher ist auf einem jüdischen Friedhof in Berlin bestattet worden. Bislang galt das Schicksal von Gestapo-Chef Heinrich Müller als ungeklärt. Doch durch die Forschung von Johannes Tuchel, dem Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, steht nun fest, dass Müller 1945 in einem Massengrab auf dem Jüdischen Friedhof an der Großen Hamburger Straße in Mitte beigesetzt worden ist. „Von der Logik, den Abläufen und den Dokumenten her ist das sicher“, sagte Tuchel am Donnerstag. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin, die den Friedhof 2008 wieder geweiht hatte, kündigte an, „einen würdevolleren Umgang mit dieser Sachlage“ zu suchen. Dieser müsse jedoch „auf Ewigkeit Bestand“ haben, da Friedhöfe nach jüdischem Recht niemals aufgelöst werden. Wie der Sprecher der Jüdischen Gemeinde, Ilan Kiesling, weiter sagte, sei man sich bei der Wiedereinweihung im Jahre 2008 bewusst gewesen, dass „auf dem Areal auch viele Nichtjuden, darunter Nazis, begraben liegen“. Dass ausgerechnet einer der bekanntesten NS-Täter dort liegen soll, rufe „starkes Unbehagen“ hervor.

Offiziell galt Gestapo-Chef Müller als verschollen

Um „Gestapo-Müller“ rankte sich jahrzehntelang ein unüberschaubar dichtes Geflecht an Legenden und Mythen; offiziell galt Müller als verschollen. Genährt wurden diese im Kalten Krieg von unterschiedlichen Geheimdiensten und später von Neonazis. Demnach sollte Müller leben und für Geheimdienste arbeiten. In den frühen 1960er Jahren, nach der Entführung von Adolf Eichmann nach Israel, stieg das Interesse an angeblich noch lebenden Nazigrößen weiter. Auch die West-Berliner Behörden glaubten, dass Müller lebt. Die Berliner Staatsanwaltschaft ließ 1963 auf dem Neuköllner Friedhof an der Lilienthalstraße ein Grab öffnen, an dem Angehörige Müllers 1958 einen Grabstein aufstellen ließen. Ergebnis: Müllers Leiche wurde nicht gefunden, dafür mehrere andere. Wieder gab es Verschwörungstheorien. Woher die falsche Angabe stammte, dass Müller in Neukölln liegt, ist unklar.

Totengräber sagte schon 1963 er habe Müller dort begraben

Ein Totengräber hatte im Zuge der Ermittlungen 1963 bei der Berliner Polizei ausgesagt, dass er 1945 Heinrich Müller an der Großen Hamburger Straße bestattet habe. Doch geglaubt wurde Totengräber Lüders nicht. Der Jüdische Friedhof lag zwar nur einige Kilometer entfernt, doch in einem anderen politischen System, unerreichbar. Ungestört konnten die Mythen weiterblühen.

Tuchel ist sich sicher: Vermutlich starb Müller in der Nacht vom 1. zum 2. Mai 1945, ob bei den Kämpfen in der Innenstadt oder durch Suizid, wird wohl nie geklärt werden können. Tuchel betont jedoch, dass Müller in den letzten Apriltagen seinen Selbstmord angekündigt hatte. Verscharrt wurde Müllers Leiche dann im Garten des Reichsluftfahrtministeriums (dem heutigen Finanzministerium) in Mitte, in einem „Bombentrichter mit etwas Erde drüber“. Im August 1945 wurde die Leiche dann auf dem Jüdischen Friedhof in einem Massengrab bestattet. Dies war damals das normale Vorgehen, Beerdigungskommandos suchten die Trümmergrundstücke ab. Die Toten aus Mitte fanden ihre letzte Ruhe in Massengräbern an der Großen Hamburger Straße, insgesamt 2427. Der Historiker fand nun in Archiven ein Dokument aus dem Standesamt Mitte, dass Müller tatsächlich dort liegt.

1948 war der Friedhof an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben worden

Zwischen 1672 und 1827 wurden dort 2767 Juden beerdigt, darunter prominente Persönlichkeiten wie Moses Mendelssohn. Der Friedhof wurde 1943 von der Gestapo zerstört, dort ein Splittergraben angelegt, der mit Grabsteinen abgesichert wurde. 1948 war der Friedhof an die Jüdische Gemeinde zurückgegeben worden, einzig der Grabstein von Moses Mendelssohn steht dort noch und eine Gedenktafel zur Geschichte. 2008 wurde der Friedhof instand gesetzt und wieder als Friedhof erkennbar gemacht.

Auf Müller stieß Tuchel bei seinen Recherchen zur Ermordung von 18 prominenten Widerstandskämpfern, darunter dem Schriftsteller Albrecht Haushofer, kurz vor Kriegsende. Gestapo-Sonderkommandos hatten die 18 Männer nahe dem Zellengefängnis Moabit ermordet. Verantwortlich für die Aktion am 22./23. April: Heinrich Müller.

Es bleibt ein theologisches Problem, sagt Tuchel.  Einer der bedeutendsten Täter des Nationalsozialismus liegt auf einem der bedeutendsten Friedhöfe seiner Opfer. Doch eine Lösung für dieses Problem, sagt Ilan Kiesling von der Jüdischen Gemeinde, sei „leider noch nicht gefunden“. Macht es Sinn, nach der Leiche zu suchen? Nein, sagt Historiker Tuchel, es sei ausgeschlossen, einen einzelnen Toten dort noch zu finden.

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