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Für die Rettung der Ku’damm-Bühnen fanden auch Demonstrationen statt. Foto: pa/dpa

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Bürgersinn: Die Lobby sind wir

Wie Berlins Bürger auch zwischen den Wahlen Einfluss nehmen – und für Musikunterricht, Theaterbühnen und Lauben kämpfen.

Wenn weltberühmte Dirigenten wie Simon Rattle oder Daniel Barenboim sich in die Berliner Landespolitik einmischen, kann man sicher sein, dass es Wirkung zeigt. In diesem Fall geht es eher um einen Randaspekt der Bildungspolitik, um den Musikunterricht. Vor einigen Wochen forderten sie, dass „die musikalische Allgemeinbildung nicht aus unserer Stadt verbannt“ wird. Wäre der Protest gegen die Ausdünnung des Musikunterrichts in den Schullehrplänen nur vom Verband Deutscher Schulmusiker oder den Eltern alleine gekommen, würde er längst nicht so wahrgenommen. Die bürgerlichen Lobbyisten haben sich aber prominente Fürsprecher geholt, so dass das Thema in der Diskussion ist.

Bei der Lobbyarbeit geht es eben nicht nur um das große Geld; sie wird nicht nur von Wirtschaftsverbänden betrieben, die den Boden für gute Geschäfte bereiten wollen. In vielen Bereichen sind Bürger aktiv, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Mal schließen sie sich zu losen Verbindungen zusammen, um für ein kurzfristiges Ziel gemeinsam die Stimme zu erheben, mal engagieren sie sich in Bürgerinitiativen; oder sie werden durch große Verbände mit hohen Mitgliederzahlen vertreten.

Besonders viel Gehör findet die Kulturszene. Sie weiß, wie wichtig die Öffentlichkeit ist – und hat die medialen Zugänge. Das sieht man bei den Initiativen zum Kampf um die beiden Ku’dammbühnen. Hier meldeten sich jede Menge Schauspieler, Theaterleute oder Musiker zu Wort – wie Edith Hancke, Brigitte Grothum, Walter Plathe oder Andrej Hermlin. Der verlieh mit seinem Swing-Orchester einer Demo den richtigen Ton. Ohne so viel Fürsprache hätte sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit bestimmt nicht in den Konflikt eingemischt. Das letzte Wort dazu ist noch nicht gesprochen. Nach wie vor plädiert Wowereit dafür, dass eine der beiden Bühnen am Kurfürstendamm bleiben muss.

Eine klassische, regionale Bürgerinitiative ist am Stuttgarter Platz in Charlottenburg erfolgreich. Erst verhinderte sie ein Hochhaus an dem Platz; jetzt wird dort aufgrund ihres Engagements eine Grünanlage angelegt. Während diese Initiative auf den Bezirk begrenzt ist, sind die Gegner des Ausbaus der A 100 landespolitisch aktiv. Die „BISS“ – Bürgerinitiative Stadtring Süd – will den Weiterbau der Stadtautobahn vom Dreieck Neukölln zum Treptower Park verhindern.

Ein wichtiger Interessenverband ist der Mieterverein, der in Berlin enormen Einfluss hat. 150 000 Mitglieder vertritt er. Als er im Sommer 2004 – ein halbes Jahr vor der Einführung von Hartz IV – das Schreckgespenst der drohenden „Zwangsumzüge“ in die Welt setzte, nahm die Diskussion um die Bemessungsgrenzen bei der Mietkostenübernahme Fahrt auf. Da auch die großen Sozialverbände mitzogen, konnte sich der rot-rote Senat nicht entziehen und schuf eine relativ großzügige Regelung, die erst nach Intervention des Bundes etwas enger gefasst wurde.

Nicht vorbei kommt die Politik auch an den Kleingärtnern. Deren Verband, in dem 70 000 Laubenpieper organisiert sind, ist eine wichtige Lobbyistengruppe. Erhebliche Aufmerksamkeit erregte ihr jahrelanger Protest gegen den Abriss der City-Kolonie Württemberg am Olivaer Platz. Verzögern konnten sie das Vorhaben, verhindern nicht. Erst in den letzten Wochen wurden die Lauben abgerissen.

Der größte der Verbände ist der Landessportbund, zu dem rund 2000 Vereine mit einer knappen halben Million Mitglieder gehören. An seiner Spitze steht der ehemalige Schulsenator Klaus Böger. Zwischen Sportsenator Ehrhart Körting (SPD) oder seinem Staatssekretär und dem LSB-Präsidenten gibt es regelmäßige Gespräche. Man arbeite „partnerschaftlich und vertrauensvoll zusammen“, heißt es in der Sportverwaltung: „Insoweit gelingt es regelmäßig, eventuelle Konflikte spätestens in den Gesprächen auf der Leitungsebene zu beseitigen.“ Auch auf Vereinsebene gibt es zwischen Politik und Sportfunktionären enge Verflechtungen, wie man im Vorjahr beim umstrittenen Grundstücksdeal mit dem Golfclub Wannsee sehen konnte.

Immer öfter führt Lobbyarbeit inzwischen auch zu Bürger- und Volksbegehren oder einem Volksentscheid, wie bei „Pro Reli“ oder der Initiative für den Flughafen Tempelhof, dem Kita-Volksbegehren oder bei der Forderung nach Einsicht in die Verträge der Wasserbetriebe. Diese Form von Einflussnahme ist in der Verfassung garantiert. Berlins Meister beim Bürgerbegehren sind die Lichtenberger. Nachdem eine Initiative im März den Versuch gestartet hat, per Bürgerbegehren ein weiteres Einkaufszentrum anzusiedeln, hat eine andere sich nun eine Mietpreisbindung zum Ziel gesetzt. Ab 11. Mai werden Unterschriften gesammelt, um zu erreichen, dass der Bezirk sich für moderate Mieten einsetzt. 2006 bewahrten die Lichtenberger ebenfalls mit einem Bürgerbegehren ein Gymnasium vor der Schließung. Sigrid Kneist

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