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Berlin: Diplomatische Nachtruhe

Warum der sowjetische Gesandte in Ost-Berlin die Maueröffnung 1989 verschlief

Igor Fjodorowitsch Maximytschew hat eine wunderbar sonore Erzählerstimme. Noch das banalste Adjektiv erzeugt eine wohldosierte Spannung im Auditorium. Wenn Maximytschew, 74 Jahre alt, ehemaliger Gesandter in der sowjetischen Botschaft in Ost-Berlin, behauptet, der eigentliche „Wendetag“ sei nicht der 9. November 1989 gewesen, sondern der 10. Februar 1990, dann geht ein Raunen durch die Reihen, aber Widerspruch entlädt sich nicht.

Maximytschew ist auf Einladung des CDU-Bundestagsabgeordneten Karl-Georg Wellmann ins Alliiertenmuseum gekommen. Er soll nochmal erzählen, wie es war, in der Nacht vom 9. auf den 10. November, als die Ost-Berliner zu den Grenzübergängen kamen und Einlass nach West-Berlin forderten. Maximytschew beobachtete das Geschehen im West-Fernsehen und spielte nebenbei Schach mit einem jüngeren Kollegen. Ansonsten tat er nichts. Die B.Z. kürte ihn deswegen zum „Engel des 9. November“.

Im Dokumentarfilm „Deutschlandspiel“ wird Maximytschew von Peter Ustinov verkörpert. Eine gute Wahl, weil der 2004 verstorbene Schauspieler einen ähnlich gescheiten Humor pflegte. Ustinov bemerkt im Film süffisant: „Wenn man nicht weiß, was man machen soll, macht man nichts.“ Maximytschew lächelt und sagt: „Das waren nicht meine Worte.“ Er habe genau gewusst, warum er nichts tat, den Botschafter nicht weckte und auch den Kreml nicht informierte. „Ich wollte nicht dramatisieren und hatte Angst vor einem unvorsichtigen Wort aus Moskau, das die Scharfmacher in der DDR aufgeweckt hätte.“

Maximytschew ist bekennender Gorbatschow-Anhänger. Dessen Perestrojka- Politik habe zwar wirtschaftlich in die Katastrophe geführt, aber politisch ein neues Land geschaffen. Als Gorbatschow am Morgen des 10. November seinen Botschafter in Ost-Berlin anrief und ihm auftrug, der DDR-Führung seine Glückwünsche für die Grenzöffnung zu übermitteln, wusste Maximytschew, dass sein Instinkt ihn nicht getäuscht hatte. „Die Mauer war für Moskau ein schlimmeres Zeichen als für die DDR.“

Einige Zuhörer trauen dem Kreml des Jahres 1989 so viel Menschenfreundlichkeit dann doch nicht zu. Was denn passiert wäre, wenn die Demonstranten russische Kasernen angegriffen hätten? Maximytschew mag keine hypothetischen Fragen. Er sagt: „Die Westgruppe der russischen Streitkräfte war moralisch gar nicht imstande einzugreifen“ und meint damit die politische Einstellung der Truppe. Honecker, Gorbatschows Intimfeind, habe die russischen Offiziere in der DDR als „Träger der Seuche Perestrojka“ angesehen. In Moskau hätte sich damals längst der Grundsatz etabliert: Keine Einmischung in die Angelegenheiten der „Bruderländer“.

Das ging sogar so weit – und nun kommen wir zum „Wendetag“ –, dass Gorbatschow beim Besuch von Kanzler Kohl am 10.Februar 1990 keine Wünsche äußerte, wie die beiden Deutschlands zueinander finden sollten. Die DDR habe also ohne Rückendeckung aus Moskau mit der viel stärkeren Bundesrepublik verhandeln müssen. „Da war die DDR verloren.“

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