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Ein Tritt, ein Knick. Und nun? Die Tür zu Hitlers Fach hat eine Delle und wird in diesen Tagen wohl repariert. Besucher sind irritiert: Muss der überhaupt hier unten „geehrt“ werden?

© Kai-Uwe Heinrich

Diskussion um Hitler-Box im Reichstag: "Das Parlament ist doch nicht der Ort, um schöne Blumen zu zeigen"

Die beschädigte Box mit dem Namen Adolf Hitlers im Keller des Reichstages wurde zum Jahreswechsel repariert. Die Diskussion um das Kunstwerk geht indessen weiter. Der Künstler weist Kritik an seiner Arbeit zurück.

Die Geschichte ist geglättet: Adolf Hitler ist seine Beule los. Handwerker des Deutschen Bundestags haben zum Jahreswechsel die beschädigte Metallbox mit dem Namen Hitlers repariert, die Teil der Installation des französischen Künstlers Christian Boltanski ist – wenige Tage, nachdem der Tagesspiegel über den Schaden berichtete. Die offenbar von empörten Besuchern oder Bundestagsmitarbeitern eingedrückte Frontfläche wurde wieder gerichtet. Doch die Diskussion über das umstrittene Kunstwerk im Keller des Reichstags wird immer heftiger.

In der raumhohen Installation wird jeweils mit einer Metallbox an alle 4781 „frei und demokratisch“ gewählten Abgeordneten erinnert, die zwischen 1919 und 1999 Mitglied des Reichstags oder Bundestags waren. „Das Archiv der Abgeordneten“ will Boltanski als „Gedächtnis der Demokratie“ verstanden wissen. Die dunkle Zeit zwischen 1933 und 1949 ohne Parlament symbolisiert eine schwarz lackierte Box.

Stein des Anstoßes sind die Namen von Adolf Hitler und weiteren 286 NSDAP-Abgeordneten, die mit der Wahl am 5. März 1933 in den Reichstag einzogen. Historiker verweisen auf den anhebenden NS-Terror gegen Andersdenkende und politische Gegner, der nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Januar 1933 einsetzte. Schon vor dem Wahltermin wurden Kandidaten von KPD und SPD verhaftet und deren Wähler eingeschüchtert. Diese Wahl sei nicht mehr frei und demokratisch gewesen, hat auch Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) in jüngster Zeit in zwei Reden deutlich gemacht. Lammert hat aber bislang offen gelassen, ob die Installation entsprechend verändert werden soll.

Dafür wird unter den Abgeordneten kontrovers diskutiert. Das war keine freie Wahl, diese Position vertritt die Bundestagsabgeordnete Petra Pau (Linkspartei). Sie sagt, das sei aber dennoch kein Grund, in dieses Kunstwerk einzugreifen und die Namen von Hitler und den anderen NSDAP-Abgeordneten zu entfernen. Schließlich werde die „schreckliche Geschichte“ sowohl durch die schwarze Box symbolisiert als auch durch die Kennzeichnung der von den Nazis ermordeten Abgeordneten mit einem schwarzen Streifen. Zudem sei ihre Erfahrung mit Besuchergruppen, dass die Konfrontation mit dem Namen Hitler „sofort zum Nachdenken und zur Diskussion anregt“. „Die Beschädigung ist Teil der Auseinandersetzung“, betont Petra Pau, deren Name sich ebenfalls in der Installation findet. Deswegen sei es auch „vernünftig, Hitlers Box zu reparieren“, auch wenn diese möglicherweise bald wieder beschädigt werde.

Swen Schulz widerspricht ihr: Die Beschädigung „ist eine lebendige Entwicklung des Kunstwerks“, vertritt der Berliner SPD-Abgeordnete. Das solle man einfach hinnehmen. Er sei dagegen, „Hitler wieder schön zu machen“.

„Wer immer Hitler tilgt, setzt sich dem Vorwurf aus, er entsorge und beschönige deutsche Geschichte“, glaubt der grüne Abgeordnete Wolfgang Wieland. „Die NSDAP kriegt man so auch nicht weg“, betont der frühere Berliner Justizsenator mit Blick auf andere Nazigrößen wie Hermann Göring, die schon vor 1933 im Reichstag saßen. Er schlägt vor, am Kunstwerk auf den unfreien Charakter der Wahl 1933 hinzuweisen. Wieland regt außerdem an, darüber nachzudenken, ob nicht zugleich auf die jetzt fehlenden, frei gewählten Volkskammer-Abgeordneten vom März 1990 hingewiesen werden müsste.

Das Unbehagen an der Installation kann die Berliner SPD-Abgeordnete Eva Högl durchaus verstehen, weil auch für sie die Wahl 1933 nicht mehr demokratisch war. Für sie ist aber klar, dass die Hitler-Box repariert werden muss. Welche Abgeordneten aufgenommen werden, hätte der Bundestag jedoch „vorher mit dem Künstler klären müssen“. Der Ältestenrat des Bundestags sollte sich mit der Frage beschäftigen, regt Eva Högl an, und schlägt vor, in „einen Dialog mit dem Künstler einzutreten, ob und wie er sein Werk anpasst“.

Welchen Anteil der Bundestag selbst an dem historisch heiklen Kunstwerk hat, rückt immer mehr in den Mittelpunkt der Kontroverse. Die Installation wurde vom Bundestag anlässlich der Totalsanierung des Reichstags als Ergebnis eines Wettbewerbs bei Boltanski in Auftrag gegeben. Sie steht seit dem Umzug des Bundestages 1999 im Kellergeschoss nahe dem unterirdischen Übergang zwischen Reichstag und Jakob-Kaiser-Haus. Dass nach der klaren Positionierung von Norbert Lammert Diskussionsbedarf besteht, darauf hat auch Michael Feldkamp hingewiesen, der Historiker des Bundestags. „Sollte sich die Bewertung durchsetzen, die letzte freie Wahl habe im November 1932 stattgefunden, muss auch das Kunstwerk … überarbeitet werden“, schrieb er kürzlich in einem Beitrag.

Christian Boltanski, der erst kürzlich den französischen Pavillon für die „Biennale“ in Venedig gestaltete, wehrt sich dagegen, dass er die falschen Abgeordneten ehre. Er habe sich bei der Arbeit auf die Urteile der deutschen Historiker über den demokratischen Charakter der Wahl im März 1933 verlassen und auch die Liste nicht selbst zusammengestellt, sondern vom Bundestag erhalten, sagt er. Diese Darstellung wird von Mitarbeitern des Parlaments intern auch bestätigt.

Natürlich, so sagt Boltanski, solle die Installation Kontroversen auslösen – „das Parlament ist doch nicht der Ort, um schöne Blumen zu zeigen“. Das Kunstwerk sei von ihm gedacht als eine „Mahnung, auf unsere Demokratie aufzupassen“. Schließlich könne man an den Namen auf den Metallkästen auch ablesen, wie schon weit vor 1933 bei jeder Wahl „auf legalem Weg“ immer mehr NSDAP-Mitglieder in den Reichstag einzogen. Boltanski ärgert sich, dass bislang kein Vertreter des Bundestags mit ihm Kontakt aufgenommen habe, weder wegen der Beschädigung noch wegen der möglichen Neubewertung. Er verlangt aber zugleich, dass alle Beschädigungen schnellstens repariert werden müssten. Zugleich macht er deutlich, dass er sich nicht gegen Gespräche über Veränderungen sträubt, wenn sich die Bewertung der Wahl von 1933 geändert habe. „Wir werden dann sehen, was wir tun können“, sagte der bei Paris lebende Künstler dem Tagesspiegel.

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