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SONNTAGS um zehn: Ein Kratzen an der heilen Welt

Am Weltflüchtlingstag fand in Eichkamp eine Kindertaufe statt

Ein Ave Maria, gesungen zur Musik eines Akkordeons, begrüßte gestern die Kirchgänger in der Evangelischen Friedenskirche an der Tannenbergallee in Berlin-Eichkamp. Als die ungewohnten Klangwogen des Schifferklaviers verklungen waren, erfuhr die Gemeinde, was es damit auf sich hat: Der kleine Aaron soll getauft werden, erklärte Pfarrer Michael Kennert. Und seine Patentante ließ es sich partout nicht nehmen, den Gottesdienst auch musikalisch zu bereichern.

Doch die Christen auf den dunklen Holzbänken in der direkt am Waldrand gelegenen kleinen Kirche hatten an diesem Sonntag noch ein anderes Thema zu verarbeiten: Denn die Konferenz Europäischer Kirchen hatte den 20. Juni zu einem „Tag der Fürbitte zum Gedenken an die Toten an den Grenzen der EU“ erklärt. Auf den Gastprediger, den ehemaligen Generalsekretär des Weltkirchenrats, Prof. Konrad Raiser, wartete daher ein Spagat. Einstweilen aber war die Patentante an der Reihe, ein extra für Aaron herausgesuchtes Lied wollte gesungen werden: „Kommt ein Kind zur Erde nieder, bringt es Licht in unsre Welt, und die Menschen sehen wieder: Gott ist’s, der die Nacht erhellt.“ Die Gemeinde erlebte eine gute Dosis Heile-Welt-Romantik, bevor Charline, die Schwester des Täuflings, mit dem Pfarrer das Taufwasser in das Taufbecken goss, die Taufkerze angezündet wurde und der kleine Aaron in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen wurde.

„Jede Feier der Taufe erinnert uns daran, dass auch wir von Gott angenommen sind“, begann Konrad Raiser seine Predigt. „Und das ,Ja’ Gottes gilt auch da, wo wir allein und von allen guten Geistern verlassen sind.“ Also auch im Flüchtlingsboot auf dem Mittelmeer? Beklemmung breitete sich aus, als Raiser an das Schicksal eines Afrikaners erinnerte, der nach Libyen zurückgeschoben wurde und beim zweiten Versuch, nach Europa zu gelangen, in der See ertrank. Jesus selbst habe mit den Zöllnern gegessen, den Menschen, die zu seiner Zeit am Rande der Gesellschaft standen. „Nicht Gott hat die Flüchtlinge vergessen, sondern sie werden aktiv unsichtbar gemacht, damit sie uns nicht zur Last fallen.“ Das war schwere Kost für eine Taufe. Doch die Gemeindeglieder in Eichkamp sind das gewohnt. Seit jeher schon ist die Gemeinde politisch engagiert – was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass am heutigen Montag um 11 Uhr am Gemeindehaus an der Angerburger Allee 56 eine Gedenktafel für den Kriegsdienstverweigerer Herrmann Stöhr eingeweiht werden soll. Heute vor 70 Jahren wurde er von den Nationalsozialisten hingerichtet.Benjamin Lassiwe

Die Kirchengemeinde im Internet:

www.ev-friedensgemeinde-

charlottenburg.de

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