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Die Bilder wechseln am Sonntag in der Heilig-Kreuz-Kirche in Kreuzberg schnell die Besitzer.

© Kai-Uwe Heinrich

Einnahmen gehen in Arbeit mit Flüchtlingen: Evangelische Kirche in Berlin versteigert Kunstwerke

Zum 18. Mal versteigert die evangelische Kirche Kunstwerke für einen guten Zweck. Die Stimmung ist gut – Bischof Dröge spricht aber auch über „Scham und Trauer“ angesichts der EU-Flüchtlingspolitik.

Auktionen können eine furchtbare trockene Angelegenheit sein. Die jährliche Kunstauktion der evangelischen Landeskirche ist da anders. Sie ist ein Volksfest. Schon eine Stunde bevor Auktionator Detlef Gosselck sein Hämmerchen schwingt, versammelt sich die Kunstauktionsgemeinde in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche. Jazz-Musiker weisen den Gästen den Weg. Es gibt belegte Brötchen, Kaffee, Kuchen, Sekt.

100 Kunstwerke versteigerte evangelische Kirche

Küsschen hier, Küsschen da, viele kennen sich aus den vergangenen Jahren. Die Auktion für den guten Zweck findet zum 18. Mal statt. Diesmal haben 180 Mäzene und Galerien Bilder gespendet, 400 preiswertere wurden am Samstag direkt verkauft, 100 stehen an diesem Sonntagnachmittag zur Versteigerung. Über eine halbe Million Euro sind auf diese Weise in 17 Jahren zusammengekommen. Von dem Geld konnten Flüchtlinge in Berlin Deutsch lernen oder eine Ausbildung anfangen, sie wurden gesundheitlich versorgt und viele andere gute Dinge getan.

Bevor Detlef Gosselck nach vorne ans Pult geht, nutzt Bischof Markus Dröge, der Schirmherr der Auktion, die Gelegenheit, in der überfüllten Kirche ans Gewissen zu appellieren. Es geht um Lampedusa. „Wir haben menschlich und als Gesellschaft in Europa versagt“, sagt Dröge und rechnet vor: 17 306 Tote an den europäischen Außengrenzen in den vergangenen zehn Jahren hat die Menschenrechtsorganisation „United“ gezählt. Er

180 Mäzene und Galerien spendeten Bilder für die 18. Kunstauktion der evangelischen Kirche. 400 preiswertere Werke wurden am Sonnabend direkt verkauft, 100 am Sonntag versteigert.
180 Mäzene und Galerien spendeten Bilder für die 18. Kunstauktion der evangelischen Kirche. 400 preiswertere Werke wurden am Sonnabend direkt verkauft, 100 am Sonntag versteigert.

© Kai-Uwe Heinrich

empfinde „Scham und Trauer“ darüber, dass die EU-Innenminister trotzdem keinen Ansatz für eine neue Flüchtlingspolitik gefunden haben, eine, die das Ziel verfolge, Menschen zu retten und die Flüchtlinge gerechter auf alle europäischen Länder zu verteilen. Dann zitiert der Bischof aus dem Brief eines Großvaters an seine 22-jährige Enkelin, die 2009 im Meer zwischen Afrika und Sizilien ertrunken ist: „Die neue Dimension der Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber ist noch gefährlicher als der Hass. Wenn du jemanden hasst, erkennst du wenigstens seine Existenz an.“ „Ob Europa eine Wertegemeinschaft ist und nicht nur Wirtschaftsgemeinschaft, zeigt sich im Umgang mit Flüchtlingen“, sagt Dröge.

Über eine halbe Million Euro sind in 17 Jahren zusammengekommen. Von dem Geld konnten Flüchtlinge in Berlin Deutsch lernen oder eine Ausbildung anfangen.
Über eine halbe Million Euro sind in 17 Jahren zusammengekommen. Von dem Geld konnten Flüchtlinge in Berlin Deutsch lernen oder eine Ausbildung anfangen.

© Kai-Uwe Heinrich

27000 Euro gehen in die Arbeit mit Flüchtlingen in Berlin

Nun aber ran an die Kunst. 120 Bieter halten gespannt ihre Bieternummern in der Hand. Den Anfang machen drei Zeichnungen von Curt Mühlenhaupt. Natürlich Mühlenhaupt. Er hatte schräg gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche seine Kneipe „Kleine Weltlaterne“, wo die Bilder an der Wäscheleine hingen. „Hat mich beeindruckt“, sagt Gosselck. Der Eindruck war so nachhaltig, dass der Auktionator auch Mühlenhaupts Rat mit dem Hut befolgt. „Wenn man älter wird, fehlt die Markanz“, hatte Mühlenhaupt gesagt und eine Kopfbedeckung empfohlen. Der schwarze Hut ist zu Gosselcks Erkennungszeichen geworden. Die drei Mühlenhaupts gehen schnell weg für 180, 200 und 220 Euro, höher als angesetzt. Es folgt Jim Avignons „Der Scheineilige“. „So ein fröhliches Bild“, ruft Gosselck, „wer das zuhause hat, kann Gäste einladen“. 80 Euro ist der Einstieg, Sekunden später sind es 200 Euro.

Gosselck versteht die Auktion als großes Spiel. Mal treibt er die Entscheidung im Galopp voran, mal verlangsamt er, erzählt Anekdoten, scherzt mit dem Publikum, kommt ihm ironisch. Das gefällt. Ein Selbstporträt von Johannes Grützke geht von 900 auf 1600 hoch, ein Gemälde von Elvira Bach in knalligem Rot von 1000 auf 1700. Dann hält die Assistentin mit den weißen Handschuhen den ersten wahren Schatz nach oben: Das Aquarell die „kleine Barszene“ der Rilke-Freundin Lou Albert-Lasard. Es sollte für 800 Euro an den Start gehen. Dann kündigte der Tagesspiegel die Auktion und das Bild auf der „Wer hilft wem“-Seite an – und Kunstfans reichten weit höhere Gebote ein. Jetzt geht‘s mit 2900 Euro los. „Eine wahnsinnige Frau, diese Lou, zwischen Tingel-Tangel und Chapeau-Claque“, sagt Gosselck. Bei 3200 Euro ist er es los. Zwei großformatige Bilder der Berliner Künstlerin Ina Barfuss gehen für 3500 und 3000 Euro weg – das eine 500 Euro niedriger als angesetzt. Einige der 100 Gemälde nimmt Gosselck wieder zurück. Er will sie nicht verschleudern. Nach den ersten beiden Stunden sind auch so schon 27 000 Euro zusammen – noch mehr als vor einem Jahr.

Claudia Keller

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