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Kate Seabrook am U-Bahnhof Pankstraße.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Endbahnhof" - fotografische Reise einer Neuberlinerin: Die Aussteigerin im Berliner Untergrund

Die Australierin Kate Seabrook hat sämtliche Berliner U-Bahnhöfe fotografiert – jeweils in der Lücke zwischen zwei Zügen. Die Tour hat sie an einen Interkontinentalflug erinnert.

Was wohl ihre Freunde in Australien nun von Berlin denken? Kate Seabrook hat die Berliner U-Bahnhöfe fotografiert, nachdem sie vom anderen Ende der Welt hierher gezogen war. 196 Bilder; je eins pro Linie und Station. Manche sehen aus, als hätten die Alliierten oder die russischen Streitkräfte sie nach ihrem Abzug zurückgelassen. Stockflecken, abgefallene Fliesen, Kalkablagerungen. Nur selten Menschen, hin und wieder ein Zug.

Niemals käme man als Betrachter auf die Idee, dass dann höchste Eile geboten war: Wenn ein Zug ins Bild fährt, ist es in aller Regel der, den die Fotografin nehmen will, um zur nächsten Station zu gelangen. „95 Prozent meiner Bilder sind zwischen zwei Zügen entstanden. Dieses Grundprinzip war mir von Anfang an klar“, sagt Kate Seabrook. Sie hat als Treffpunkt den Bahnsteig der U 8 an der Pankstraße vorgeschlagen, weil das einer ihrer Favoriten sei und sie in der Nähe wohnt. Silbergraue Knubbelbuchstaben auf dunkelbraunen Fliesen. Außerdem der kleine Schauer beim Gedanken daran, dass diesem Bahnhof ein Luftschutzquartier für den Kriegsfall angeschlossen war und dass die Züge auf der U 8 auch zu Mauerzeiten vom Westen durch den Osten in den Westen fuhren.

Ihr zweiter Favorit sei der Bahnhof Konstanzer Straße. Orange-weiß-braun-gelb gestreift. „So ähnlich wie die Vorhänge bei mir zu Hause“, sagt die 33-Jährige, die das 70er-Jahre-Design der westlichen U 7 bei ihren ersten Fahrten durch Berlin so schön fand, dass sie sich diese Linie bewusst bis zum Schluss aufhob. 2006 war sie zum ersten Mal in Berlin. Als sie Ende 2011 mit ihrem Mann von Melbourne nach Wedding zog, wusste sie bereits, dass die Fotoserie ihr erstes Projekt in der neuen Heimat werden würde. Zum Warmwerden nahm sie die U 4 mit ihren nur fünf Stationen. Und richtig kalt wurde ihr im folgenden Februar auf der U 5, deren östlicher Abschnitt oberirdisch durch Hellersdorf verläuft, das im Winter auch klimatisch gewisse Ähnlichkeit mit Sibirien hat. Der Asia-Imbiss an der Neuen Grottkauer Straße habe sie vor dem Erfrieren bewahrt, sagt sie.

Der Charakter der stets vom Bahnsteig ohne besondere Technik aufgenommenen Fotos sei ihr vorab klar gewesen, sagt Kate Seabrook – historisch wertvolle Eingänge oder andere Sehenswürdigkeiten hin oder her: „Das haben ja auch andere schon fotografiert.“ Was sie gereizt habe, sei weniger die Schönheit als die Vielfalt: „Die Metro in Stockholm und in Moskau hat sicher besonders schöne Bahnhöfe. Aber die Berliner hat die interessantere Geschichte.“ Und in Melbourne gebe es wenig zu sehen und wegen rigoroser Anti-Terror-Vorschriften gleich gar nichts legal zu fotografieren.

Genau genommen ist auch in Berlin eine Genehmigung der BVG notwendig. „I’ve had some conversation“, sagt Seabrook zu diesem Thema vage. Sie sei nie von Sicherheitspersonal behelligt worden, zumal sie ja keinen technischen Aufwand betrieben habe. „Ich würde auch niemals jemanden ansprechen, damit er ein Stück zur Seite geht. Selbst wenn er mir gerade im Bild steht.“ Mancher Passant habe sich im Nachhinein sogar als Glücksfall erwiesen – wie jener Mensch, der am Platz der Luftbrücke gerade in die U 6 einsteigt und dessen rote Ärmel farblich perfekt zum Rahmen des Stationsschildes passen.

Sie selbst sei auch selten angesprochen worden. Nur immer mal wieder, wenn jemand den Weg nicht wusste. Meist konnte sie helfen. Sie hat das Streckennetz ganz gut im Kopf, und ihr Deutsch rumpelt weniger als beispielsweise die U 2 zwischen Potsdamer Platz und Alex. Eine Kontaktbörse ist die Berliner U-Bahn demnach nicht gerade.

Kate Seabrook fühlte sich auf ihren Touren eher an einen Flug zwischen Australien und Berlin erinnert: „Du bist über Stunden allein mit deinen Gedanken, bekommst nichts weiter mit von der Welt.“ Mit den Unterschieden, dass in der U-Bahn das Handy funktioniert und das Essen nicht an den Platz gebracht wird. Auf der U 7 habe sie am Fehrbelliner Platz eine Mittagspause eingelegt, „traditionelle deutsche Küche“. Weiter ins Detail will sie nicht gehen. Die längste Linie der Stadt mit ihren 40 Stationen habe sie einen ganzen Tag beschäftigt. Ja, nur einen Tag. Die Fotografie sei ihr Hobby; als Broterwerb schreibt Kate Seabrook Texte für Internetseiten. Und doch würde sie sich freuen, wenn aus ihren unter dem Titel „Endbahnhof“ bisher nur online veröffentlichten Fotos ein Buch würde. Der BVG hat sie sie nicht angeboten: zu viel morbider Charme. Authentisches Berlin.

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