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In breiter Front. Was beim Fahrrad-Yoga auf dem Tempelhofer Feld keinen stört, kann im Straßenverkehr wahnsinnig machen.

© picture alliance / dpa

Fahrrad-Verkehr in Berlin: Wir brauchen mindestens zwei Radwege nebeneinander!

Lahme Ausflügler, schlingernde Spanierinnen: Radler in Berlin haben nicht nur mit aggressiven Autofahrern, sondern auch mit ihresgleichen zu kämpfen. Das erfordert radikale Lösungen. Ein Rant.

Sie kamen vom Britzer Garten. Sie brauchten die gesamte Breite des sehr gut ausgebauten Radwegs am Buckower Damm. Mutter und Tochter, Letztere vielleicht zwölf, im Sonntagsmodus nebeneinander radelnd. An der Einmündung Gutschmidtstraße reduzierten sie ihr ohnehin geringes Tempo und blieben stehen – vor der grünen Fahrradampel, weil die Fußgängerampel nebenan schon auf Rot umgesprungen war.

Der hinter ihnen fahrende Fahrradfahrer bremste scharf, stöhnte auf und schlängelte sich dann vorbei. Fast wäre er auf der Kreuzung, immer noch bei Grün, von einem abbiegenden Auto erfasst worden, dessen Fahrer die unübersichtliche Situation auf dem Radweg zum selbstbewussten „Dann kann ich ja jetzt!“ inspiriert hatte.

Der Fahrradfahrer war natürlich ich. Und an dieser Stelle möchte ich mich noch für den etwas, äh, überengagierten Tonfall entschuldigen, mit dem ich ein „DIE FAHRRADAMPEL WAR GRÜN, VERDAMMTE ...“ über die Schulter schleuderte, nachdem mir eine der Stehengebliebenen ein irrendes „ES WAR ROOOT!“ hinterhergerufen hatte.

Aber genug des launigen Erzähltons, genug von meinem überspannten Nervenkostüm. Das Thema Radverkehr ist bedeutend zu ernst in einer Woche, in der ein Berliner Radfahrer von einem Autofahrer zunächst um ein Haar umgenietet und dann dafür verprügelt wurde. Eine Szene, die sich nur zu gut vorstellen kann, wer wie ich täglich regelkonform und auf Sicherheit bedacht – jedoch nicht devot! – 20 Kilometer Arbeitsweg innerstädtisch auf dem Rad zurücklegt.

Es ist zu ernst, wenn sich in Kommentaren zu dem Vorfall ein zynisches Einverständnis breitmacht für Akte der Selbstjustiz an Radfahrern. Es ist zu ernst, weil man längst nicht mehr weiß: Wann stirbt der erste Radler, weil ein Choleriker seine Blechtonne zur Waffe macht? Oder ist das schon passiert? Derweil der Senat lieber Kampagnen zur Torpedierung des Rad-Volksentscheids plant und die eigenen, gar nicht sonderlich ambitionierten radpolitischen Ziele schleifen lässt.

Fußgänger und Autos sind alle etwa gleich schnell

Es ist vielmehr Zeit, angesichts unzumutbarer alltäglicher Gefährdungen grundsätzlich zu werden. Autos breit in der Mitte, Fußgänger breit am Rand, dazwischen, wenn überhaupt, Fahrräder, immer auf maximal einer Spur je Richtung – dieser Konsens ist widersinnig! Auch, weil er am Ende dazu führt, dass sogar defensive Radfahrer, um der Gefährdung durch den Autoverkehr zu entgehen, auf dem Gehweg ihrerseits Passanten gefährden.

Im Gegensatz zu Fußgängern, deren Geschwindigkeit sich vom zügigen Walker bis zur Rollator-Oma nur um wenige Stundenkilometer unterscheidet, und Autos, die bei Tempolimit wunderbar in Reihe fahren können, gibt es bei Radlern große Differenzen. Zwischen dem Mutter-Tochter-Paar vom Anfang und einem zügigen Berufspendler können gut und gerne mal bis zu 15 km/h liegen.

Geht man nun davon aus, dass in Zeiten knapper werdender Ressourcen – auch im durchschnittlichen Geldbeutel – das Fahrrad in der Großstadt zum Verkehrsmittel Nummer eins werden muss, sind zwei Radwege je Hauptstraße und Richtung angemessen. Ideal wären drei: eine Expressroute für Sportradler, die auch als Pufferzone dient; eine Mittelspur für den normalen Alltags- und Tourenradler; und eine Kriechspur, die an Himmelfahrts- und Pfingstwochenenden von lahmen Ausflüglern genutzt wird und sonst von Großgruppen schlingernder Spanierinnen auf Leihrädern mit dicken Reifen, von Flaschensammlern auf dem Weg von Mülleimer zu Mülleimer, von alten Damen mit Hunden im Korb, von Punks auf kaum mehr fahrtüchtigen Leezenleichen und dergleichen mehr.

Der angestrebte Fahrrad-Volksentscheid fordert zwei Meter breite Radwege an allen Hauptverkehrsstraßen – auch zum sicheren Überholen von Radfahrern untereinander. Das klingt nach viel, ist es aber gar nicht, wenn man bedenkt, dass Radler auch beim Überholen anderer Radler Sicherheitsabstand brauchen und oft direkt nebenan, ohne trennenden Bordstein oder Grünstreifen, Autos fahren. Immerhin: Es wäre ein erster Tritt auf einem Weg, an dessen Ende Radfahren in der Stadt sicher und Autofahren – auf wenigen, schmalen Spuren – lästig sein muss.

Dieser Text erschien zunächst gedruckt am 14. Mai 2016 als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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