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Mohammeds Nummer ist die CO 000027: "Sie wird nie aufgerufen", sagt der Syrer.

© M. Amjahid

Update

Flüchtlinge in Berlin: Mohammed wartet

Mohammed ist wochenlang durch den Nahen Osten und halb Europa geflüchtet. Seit sieben Wochen wartet der Syrer nun darauf, dass seine Nummer beim Lageso aufgerufen wird. Er will sich dennoch nicht laut beklagen.

Wie eine Zwiebel steht Mohammed in mehrere Schichten eingehüllt vor der Anzeigetafel. Sein rundes Gesicht ist vom Kunstfell seiner Kapuze umrahmt. Seine schwarzen Handschuhe sind ihm etwas zu klein. Ein Loch zwischen Daumen und Zeigefinger deutet auf den Anfang vom Ende des wichtigen Winter-Accessoires. Er fischt aus seiner Jackentasche ein kleines Stück Papier. Der 30-Jährige platziert es auf der Handfläche, zeigt auf die Nummer, die ihn schon seit so vielen langen Tagen begleitet: CO 000027. „Es ist frustrierend, dass ich wochenlang nichts erreicht habe.“ Dabei ist die Wartenummer schon ein kleiner Fortschritt, obwohl der Syrer für den grünen Schnipsel durch ganz Brandenburg reisen musste. 

Seit nun knapp sieben Wochen oder exakt 33 Arbeitstagen steht Mohammed im Freien und wartet werktags von acht bis 18 Uhr darauf, dass er für einen Erstantrag auf Asyl aufgerufen wird. In den ersten Tagen kam er schon um vier Uhr morgens, um ganz vorne in der Schlange zu stehen. Er hat schnell gemerkt, dass es ihm keinen Vorteil bringt. Täglich warten rund 4000 Flüchtlinge am Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales in der Moabiter Turmstraße auf eine Vorsprache bei einem Sachbearbeiter.  

Von Syrien über Budapest nach Berlin

Der Tagesspiegel hatte Mohammed und seine Cousins vor einigen Wochen auf ihrer Flucht begleitet. Im August steckten sie in Budapest im Chaos am Bahnhof Keleti fest. Sie mussten dort auf dem Boden schlafen, nur dank des Einsatzes ihrer Cousine Zeinab aus Reinickendorf konnten sie nach Berlin weiterflüchten. Jetzt, dachten sie, wären sie endlich in Sicherheit. "In Deutschland behandeln sie Flüchtlinge wie Menschen", waren sie damals überzeugt.

"Ich habe mich nach meiner Ankunft eine Nacht und einen Tag lang ausgeruht, dann bin ich zum Lageso gegangen und habe mich brav in die Warteschlange gestellt", erzählt Mohammed. Seitdem ist nicht viel passiert. Als er und seine Cousins Hisham und Raja nach einer, zwei, drei Wochen immer noch nicht an die Reihe kamen, entschieden sich die Syrer dazu, etwas zu unternehmen.  

Mohammed wartet seit sieben Wochen vor dem Lageso, dass er aufgerufen wird.
Mohammed wartet seit sieben Wochen vor dem Lageso, dass er aufgerufen wird.

© M. Amjahid

Sie kamen auf die Idee, das Berliner Lageso zu entlasten. Ihr Plan: Es anderswo in Deutschland mit einem Antrag zu versuchen. Jemand am Lageso rief ihnen zu, Eisenhüttenstadt sei nicht weit, und von dort aus würden sie auf andere Städte verteilt. Am Tag darauf fuhren sie mit dem Regionalexpress zur zentralen Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg.

"In Eisenhüttenstadt sieht es wie in einem Gefängnis aus", erinnert sich Mohammed. Auf dem Weg dorthin lächelten sie noch, Mohammed zeigt Bilder auf seinem Handy. Damals war ihm die Tristesse des Lagers unweit von der polnischen Grenze aber noch gleichgültig. Hauptsache endlich Anträge stellen. Hauptsache irgendeine Art von Fortschritt.  

Wer Pech hat landet in Berlin

Raja wurde nach Dresden, Hisham nach Friedland in Niedersachsen vermittelt. Dort mussten die beiden zwar auch lange Wartezeiten auf sich nehmen, irgendwann kamen sie aber an die Reihe. Nur Mohammed hatte kein Glück und zog über den bundesweiten Verteilerschlüssel das Berliner Los. Alles auf Anfang. "Ich werde langsam verrückt", sagt er.

Seit drei Wochen steht Mohammed also wieder am Lageso und wartet und wartet und wartet. Um Mohammed herum haben sich andere Syrer, Afghanen und Serben in gespendete Decken und viel zu große Winterjacken gewickelt. Blau angelaufene Kinder frieren mit ihren Müttern auf den Bänken. Die Herbstsonne, sie verschwindet häufiger hinter grauen Wolken. Es nieselt nun öfters. Die Menschen wärmen sich an Pappbechern mit überzuckertem Tee auf. Regelmäßig gibt es immerhin Essen in einem großen Zelt.   

Es passiert nicht viel auf der neuen Anzeigetafel vor dem Hauptgebäude des Lageso in Moabit.
Es passiert nicht viel auf der neuen Anzeigetafel vor dem Hauptgebäude des Lageso in Moabit.

© M. Amjahid

Wann und wie kommt die Erlösung? Am Lageso geistern Gerüchte über das weitläufige Areal. Dass man sich zum Beispiel "bessere Wartemarken" kaufen könne. "Fünfzig Euro sollen die kosten", mehr weiß Mohammed aber auch nicht. Wenn die Lösung fünfzig Euro kosten würde, wäre das Leben wieder schön. Die 5,40 Euro für die tägliche Fahrt zum Lageso borgt sich Mohammed von seiner Cousine Zeinab. Er möchte ihr das Geld irgendwann mal zurückzahlen.   

Ohne Registrierung kein Schlafplatz

Manchmal blinkt die Anzeigetafel vor dem Hauptgebäude und eine Nummer erscheint dort neu. "Es ist nie die CO 000027", Mohammed schaut betrübt auf den sandigen Boden. Er mag sich nicht so Recht beschweren. Deutschland leiste viel. Dennoch seien seine Kräfte nach der Flucht und der langen Wartezeit nun endgültig aufgebraucht. Die Kälte zermürbe ihn zusätzlich. Das sei er nicht gewohnt. "Man hat mir gesagt, es ist noch nicht mal wirklich Winter." Männer heulen nicht, also schüttelt Mohammed seinen Kopf und reißt sich zusammen.

"Ich will meiner Cousine nicht mehr zur Last fallen", sagt er. Mohammed schläft im Kinderzimmer seiner Nichte. Die Tochter von Zeinab kuschelt sich ins Ehebett ihrer Eltern. Mohammed ist das peinlich. Auch wenn es im Heim schlimmer sei, wolle er wenigstens unabhängig sein und zumindest keinem Menschen direkt zur Last fallen. Zeinab hätte schon so viel geopfert für ihn. Als er neulich ins Erstaufnahmelager in Spandau ging, wie die Sachbearbeiter ihm in Eisenhüttenstadt empfohlen hatten, wurde Mohammed abgewiesen. "Sie meinten zu mir, dass ich eine Registrierung vom Lageso brauche, um dort übernachten zu dürfen."

Update: Nach der Veröffentlichung dieses Artikels ist Mohammed nach 33 Tagen Wartezeit am 15. Oktober 2015 am Lageso aufgerufen worden. Er wurde registriert und kann nun seinen Antrag auf Asyl stellen - was ein wenig mehr Zeit in Anspruch nehmen wird. "Ich bin so erleichtert", sagt Mohammed. Lesen Sie hier seine Fluchtgeschichte und wie seine Cousine Zeinab ihn aus dem Chaos in Budapest befreite.

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