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Neugierig? Am 3. Oktober können Sie die Sehitlik-Moschee und andere islamische Gotteshäuser in ganz Berlin besuchen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nach Votum zu Tempelhofer Feld: Friedhofserweiterung der Sehitlik-Moschee steht auf der Kippe

Nach dem Volksentscheid ist auch die Erweiterung des Friedhofs der Sehitlik-Moschee fraglich. Der Senat prüft, die Gemeinde hofft. Ein Experte sieht einen Weg, wie es dennoch gehen könnte.

Der Platzregen strömt erbarmungslos auf die Gräber wie in einer biblischen Szene. Der Theologe Ender Çetin setzt sich auf einen Holzstuhl unter einem weißen Pavillon auf dem Vorplatz der Neuköllner Sehitlik-Moschee. Das größte Berliner Gotteshaus im osmanischen Baustil liegt am Columbiadamm nördlich vom Tempelhofer Feld. Umgeben von alten Gräbern teilweise aus dem 19. Jahrhundert. Eines der ersten ließ König Friedrich Wilhelm III. für den verstorbenen osmanischen Botschafter anlegen. Der Vorstandsvorsitzende der Moschee, Ender Çetin, schaut auf die nassen Marmor- und Granitsteine. Er hat sich am Sonntagabend nicht über das Ergebnis des Volksentscheids gefreut. „Ich dachte, dass die Erweiterung des islamischen Friedhofs neben unserer Moschee, dass unser Traum mit dem neuen Gesetz begraben wurde“, sagt Çetin.

Erst später fand er heraus, dass dem nicht unbedingt so ist. Kurz vor dem Volksentscheid war die islamische Sehitlik-Gemeinde zum Austausch in die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eingeladen. Dort traf sich Çetin mit Staatssekretär Christian Gaebler. „Sie sagten uns, dass der Friedhof nur mit ihrem Gesetz möglich ist“, sagt Çetin. Also habe er auch bis Sonntag kräftig Wahlkampf für den Masterplan gemacht. „Ich habe bei uns in der Moschee so viele Flyler ausgelegt und habe ganz aktiv für den Gesetzentwurf des Senats geworben“, sagt Ender Çetin. Dabei seien viele seiner Gemeindemitglieder gegen die Bebauung des Feldes, obwohl sie gleichzeitig eine Erweiterung des Friedhofs für nötig halten. „Viele haben deshalb doch für den Senatsentwurf gestimmt“, sagt Çetin.

Hofft weiter. Ender Cetin vom Vorstand der Sehitlik Moschee sucht mit dem Senat nach Möglichkeiten, wie das islamische Gräberfeld dennoch erweitert werden kann
Hofft weiter. Ender Cetin vom Vorstand der Sehitlik Moschee sucht mit dem Senat nach Möglichkeiten, wie das islamische Gräberfeld dennoch erweitert werden kann

© Kai-Uwe Heinrich

Zeichen der Integration

Muslime haben wie Juden, Christen und Hindus eigene Bestattungsriten. Der Leichnam soll nicht in einem Sarg, sondern nur in einem weißen Leichentuch beerdigt werden, mit dem Kopf nach Mekka gerichtet. Das geht so auf den meisten kommunalen und kirchlichen Friedhöfen in Deutschland nicht, weil dort eine Ausrichtung schon festgelegt ist – selten in Richtung Mekka. Außerdem gilt es den Leichnam, so schnell wie möglich nach dem Tod im Rahmen einer religiösen Zeremonie beizusetzen. Das ginge viel einfacher, wenn neben der Moschee noch mehr Platz für Gräber entstünde. Die Nachfrage danach steigt. Während die Gemeinde 2013 rund 100 Bestattungen organisierte, zählt sie in diesem Jahr schon genau so viele. „Es ist ein Zeichen der Integration, wenn Muslime lieber in der Nähe ihrer Familien und Freunden in Deutschland bestattet werden wollen“, sagt Ender Çetin.

Stadtentwicklungssenator Michael Müller möchte gemeinsam mit dem Bezirk Neukölln eine Erweiterung ermöglichen, doch nun stehe das Verbot einer Einfriedung im Wege: „Wir prüfen, ob eine Erweiterung des Friedhofs ohne Einzäunung möglich ist“, sagt Müller. Eine weitere Hürde sei, dass der Boden nicht zur Bestattung geeignet sei. Der müsse ausgetauscht werden, das sei nach dem neuen Gesetz ebenfalls nicht möglich. Müllers Behörde prüfe aber die rechtlichen Möglichkeiten weiter.

Sterben auf der Wiese

Laut Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“ ist die Erweiterung des Friedhofs „nach dem THF-Gesetz grundsätzlich erlaubt, sofern der Friedhof vom Feld aus frei zugänglich ist“. So steht es zumindest auf der offiziellen Internetseite. Das ist aber innerhalb der Initiative offenbar umstritten. Mitbegründer Herman Barges fragt sich, wie diese Formulierung auf die offizielle Seite „thf100.de“ komme. Diese Interpretation des Gesetzes sei so in keinem Plenum der Initiative besprochen worden. Für Ender Çetin ist ein öffentlicher Zugang prinzipiell aber kein Problem. „In islamischen Ländern sind Friedhöfe meistens offen, so dass sich die Menschen an den Tod erinnern können“, sagt er. Nur der Sicherheitsaspekt sei für ihn ein Thema. In den letzten Jahren seien die Moschee und der Friedhof mit Farbbeuteln und einem Schweinekopf beworfen worden. In den Neunzigerjahren wurden Grabsteine mit Hakenkreuzen beschmiert. Das könne man vielleicht mit einem Wachschutz verhindern.

Martin Venne ist Landschaftsarchitekt und Friedhofsexperte im Kasseler Architekturbüro Planrat. „Ein Friedhof braucht eine Befriedung“, sagt Venne, „aber das kann natürlich auch eine Hecke sein.“ Die gelte dann nicht als Bau, was ja auf dem Feld nun verboten ist. Es gebe darüber hinaus auch Grabstätten ohne Einfriedung in Deutschland: Friedwälder. Die kommen ohne Zaun oder Mauer zurecht, das sei wegen der Tiere im Wald auch gar nicht erlaubt. Und selbst eine komplett offene Gestaltung sei denkbar. Theoretisch, scherzt Venne, könne das ganze Tempelhofer Feld als Friedhofsfläche eingetragen werden. Dann gelte der äußere Zaun als Befriedungselement. „Die Gräber könnten frei auf der Wiese stehen.“

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