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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Für wen faste ich?

Der Ramadan hat begonnen. Für viele Muslime bedeutet das, tagsüber zu fasten, also weder zu essen noch zu trinken. Hatice Akyün über die Bedeutung des Fastenmonats.

Während die meisten Berliner letzte Nacht tief und fest schliefen, begann für viele Muslime um 1.13 Uhr der erste Fastentag des Ramadan. Eigentlich heißt es bei Türken gar nicht Ramadan, sondern Ramazan. Und wenn man es ganz genau nimmt, auch nicht Ramazan, sondern Oruc. Ziemlich genau allerdings sind Beginn und Ende des Fastentages festgelegt. Von zu Hause kenne ich noch, wie mein Vater aus dem Koran zitierte: „Esst und trinkt, bis ihr in der Morgendämmerung einen weißen von einem schwarzen Faden unterscheiden könnt!“ Ich habe als Kind im dunklen Zimmer so lange auf die Zwirnfäden in meiner Hand gestarrt, bis eine meiner Schwestern genervt das Licht anmachte.

Es gibt zwei Bemerkungen, die ich zur Fastenzeit regelmäßig von meinen deutschen Mitbürgern höre: Wieso fastet ihr den ganzen Tag, wenn ihr euch abends sowieso den Bauch wieder vollschlagt? Und: Das ist doch total ungesund, wenn man den ganzen Tag nichts trinkt. Ja, es macht medizinisch gesehen tatsächlich keinen Sinn. Da wären Buchinger- und Saftfasten besser geeignet. Aber unser Prophet war ja auch kein Ernährungsberater der örtlichen Krankenkasse. Es macht nämlich auch keinen Sinn, drei Wochen vor Weihnachten in den Konsumrausch zu verfallen und zu Ostern bunte Eier zu suchen. Nicht die Gesundheit steht beim muslimischen Fasten im Vordergrund, sondern der Glaube, andernfalls hieße er ja Wissen. Es geht darum, Grenzen zu überwinden, um Verzicht und Selbstkontrolle, die man sich einen Monat lang abverlangt.

Ich wage einmal eine grobe Schätzung: Von den etwa 250 000 Muslimen in Berlin fasten 60 bis 70 Prozent. Von denen wiederum sind um die 50 Prozent nicht sonderlich religiös, aber sie fasten dennoch. Für sie spielt die soziale Komponente eine große Rolle. Kinder, Alte, Kranke, Schwangere und hart Arbeitende sind übrigens ausgenommen. Dass einige das übersehen und ihre Sitte leben, will ich nicht verschweigen. Der Glaube verlangt das allerdings nicht. Das eine ist die Religion, und die ist nicht so stur und menschenfeindlich unnachgiebig. Das andere ist die Tradition, und hier kann es sein, dass ohne Verstand gefastet wird. Als ich zwölf Jahre alt war, wollte ich auch mitfasten. Mein Vater erlaubte es mir am Wochenende. Schon am ersten Tag habe ich heimlich einen Schokoriegel gegessen. Mein Vater bemerkte das und sagte: „Für mich musst du es nicht tun.“ Ich dachte allerdings: Eigentlich tue ich es für niemanden, sondern nur für mich, damit ich für das Durchhalten am Abend gelobt werde. Heute versuchen wir die Fastenzeit mit der ganzen Familie zu verbringen. Und am Ende feiern wir drei Tage lang Bayram, das Zuckerfest. Bayram ist mehr als ein Fest. Aber davon berichte ich, wenn die Fastenzeit in 30 Tagen vorbei ist.

Wenn also in Ihrer Wohngegend nach Mitternacht noch Umtriebigkeit in den Küchen herrscht oder am frühen Abend ihre muslimischen Nachbarn einen mürrischen Eindruck hinterlassen, denken Sie daran, wie Ihre Laune leidet, wenn der Magen in den Kniekehlen hängt. Vielleicht fällt Ihnen dann zum ersten Mal auf, wie lebenslustig Muslime sonst sind. Besuchen Sie doch während der nächsten Wochen einmal Kreuzberg oder Neukölln. Kaufen Sie sich ein Ramazanpide, ein Fladenbrot, das nur zur Fastenzeit gebacken wird. Und schauen sie zu, wie in den Restaurants Iftar, das Fasten gebrochen wird. Und vielleicht kommt irgendwann eine Zeit, in der nicht nur meine deutschen Freunde mich fragen, wie ich denn Weihnachten feiere, sondern in der ich sie frage: Wie feiert ihr eigentlich in diesem Jahr das Zuckerfest?

Jetzt wollen Sie bestimmt noch erfahren, wie ich es mit dem Fasten halte. Mit zunehmendem Alter und abnehmendem Rechtfertigungsbedarf könnte ich mich in Diplomatie versuchen. Oder wie es mein Vater sagen würde: Para ile imanin kimde oldugu bilinmez – Wer Geld oder Glauben besitzt, ist nicht immer sichtbar.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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