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Der wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittene Linken-Politiker Andrej Holm.

© dpa

Gastbeitrag zu Andrej Holm: "Alles andere als Formalien"

Differenzierung darf kein Deckmantel dafür sein, Recht und Unrecht im Fall Holm nicht zu benennen. Ein Gastbeitrag zur Diskussion um Andrej Holm.

Am Montag vor 25 Jahren wurde zum ersten Mal nach dem gerade in Kraft getretenen Stasi-Unterlagen-Gesetz Akteneinsicht gewährt. Ein Geheimpolizei-Archiv wurde in Gänze mit dem Ziel geöffnet, die Auseinandersetzung mit vergangenem Unrecht konkret und umfassend auf rechtsstaatlicher Basis zu ermöglichen. Die Akten dokumentieren, wie konsequent der selbsternannte Arbeiter- und Bauernstaat gegen jede Opposition im eigenen Land vorging. Und wie erfolgreich er die alte Bundesrepublik unterwandert hatte.

Der Aktenöffnung ging eine heftige Kontroverse voraus. Nicht wenige forderten, die illegal angehäuften Erkenntnisse umgehend zu vernichten. Mit der Offenlegung werde das gesellschaftliche Klima nach der Überwindung der SED-Diktatur dauerhaft vergiftet. Andere stritten für den freien Zugang zu den Stasi-Akten. Das im SED-Staat angesammelte Herrschaftswissen müsse an die Bevölkerung zurückgegeben werden.

Eine Aktenvernichtung behindere nicht nur den notwendigen gesellschaftlichen Heilungsprozess, sondern auch die Chance auf eine geschichtliche und kulturelle Aufarbeitung der SED-Herrschaft.

Die Debatte ist wichtig für unsere heutige Gesellschaft

Zu den großen Missverständnissen gehört, dass die Aufarbeitung ein westdeutsches Anliegen und zur Entwertung ostdeutscher Biografien gedacht sei. Diesen Mythos inklusive Märtyrerstatus und Solidarisierungseffekt haben schon manche mit einigem Erfolg geschürt und für sich genutzt. Dabei handelt es sich in erster Linie um eine Auseinandersetzung unter Ostdeutschen. Es geht darum, inwieweit es eine gemeinsame Erzählung der Ostdeutschen und dann auch dieser Bundesrepublik insgesamt davon gibt, was und wie die DDR war. Dazu gehört die schwierige und schmerzhafte Auseinandersetzung damit, wie das Leben der Anderen in der DDR-Gesellschaft war.

Diese Debatte ist übrigens von hoher Relevanz für unsere heutige Gesellschaft, berührt sie doch Fragen wie die politische Kultur in einer offenen Gesellschaft, das Verhältnis von Mehrheitsprinzip und Grundrechten, das Vertrauen in parlamentarische und rechtsstaatliche Institutionen usw.

Linda Teuteberg, 35, war Mitglied der Enquete-Kommission des Landtages Brandenburg zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Linda Teuteberg, 35, war Mitglied der Enquete-Kommission des Landtages Brandenburg zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

© promo

Für vieles, was Andrej Holm nun in eigener Sache geäußert hat, gilt: déjà vu. Dass er allerdings die Unterscheidung zwischen üblichem Wehrdienst und einer hauptamtlichen Dienstverpflichtung beim MfS als Formalie bezeichnet und zudem behauptet, die DDR sei doch gar nicht so autoritär gewesen, ist sehr bemerkenswert. Für viele Menschen in der DDR waren sowohl Fragen des Wehrdienstes als auch der Verpflichtung für die Stasi alles andere als Formalien.

Es waren existentielle Fragen, deren Beantwortung mit großen Gewissensnöten und weitreichenden Folgen verbunden war. Die Stasi-Akten legen übrigens auch Zeugnis ab davon, dass viele Menschen sich unter hohem Druck anständig verhielten und den Mut zum Nein fanden. Diese Erfahrungen gehörten dann wohl zum Leben der Anderen.

Recht und Unrecht müssen als solche benannt werden

Auch dass Herr Holm Wert darauf legt, Demokratie nicht als westlichen Wert verstanden zu wissen, lässt tief blicken. Möglicherweise tut er unserer gesellschaftlichen Debatte damit unfreiwillig einen großen Gefallen: Es wird einmal mehr deutlich, dass die Linkspartei und ihre Exponenten mit und ohne Parteibuch jenseits aller Schlussstrich-Forderungen und Konsens-Beteuerungen eine grundsätzlich andere DDR-Erzählung als viele Ostdeutsche pflegen.

Richtig ist, die Aufarbeitung der DDR nicht auf die Stasi zu verengen. Allein, was folgt daraus in der Sache? Wohl kaum, dass das Wirken von SED und DDR-Behörden im Übrigen harmlos im Sinne des Grass-Diktums von der kommoden Diktatur gewesen wäre. Die SED war Auftraggeber des Ministeriums für Staatssicherheit und sie war nicht zimperlich dabei, anderen auf vielerlei Art die Flötentöne beizubringen. Zu differenzieren, um Sachverhalte zu erhellen durch angemessene Wahrnehmung verschiedener Facetten ist eine Tugend. Differenzierung als Deckmantel dafür, Recht und Unrecht nicht als solche zu benennen, ist etwas ganz Anderes.

Linda Teuteberg, 35, Mitglied des FDP- Bundesvorstandes, war Mitglied der Enquete-Kommission des Landtages Brandenburg zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

Linda Teuteberg

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