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Berlin: Gerhard Kutzsch, geb. 1914

Vielleicht wäre aus Gerhard Kutzsch ein bedeutender Germanist geworden. Doch der Krieg kam dazwischen.

Vielleicht wäre aus Gerhard Kutzsch ein bedeutender Germanist geworden. Doch der Krieg kam dazwischen. An der Hochschule für Politik war Otto Suhr von ihm beeindruckt, Kutzsch wurde aber auch kein Politologe. Er wurde Leiter des Landesarchivs Berlin.

Gerhard Kutzsch war ein unauffälliger Mann. Er war mittelgroß, hager und hatte schon früh eine Glatze. Doch der erste unscheinbare Eindruck täuschte, er war in vielerlei Hinsicht ein Mann mit besonderen Eigenschaften und vielen Eigenheiten. Besonders eigen - da sind sich seine ehemaligen Kollegen einig - war sein Führungsstil. Kutzsch konnte gut delegieren, zu gut, sagen einige. Für Kutzsch gab es eigentlich keine Chefsache, außer die öffentliche Darstellung. Darin war er brillant. "An seinen Reden bastelte er manchmal monatelang", sagt Jürgen Wetzel, heute Leiter des Landesarchivs.

Die kauzige Seite seines Wesens lernten seine Mitarbeiter allerdings kennen, wenn sie einen Fehler machten. In seinem großen, kahlen Büro empfing er den Sünder mit einem schnarrenden "Murks, murks!", den Zeigefinger mahnend erhoben. Dann erschien der kahlköpfige und hagere Mann wie eine leibhaftige Pauker-Karikatur.

Kutzsch, dessen Karriere tatsächlich als Lehrer begann, entsprach aber durchaus nicht dem Klischee des Paukers. Er wusste um seine Schwächen und verfügte über ein großes Maß an Selbstironie. Dass er über sich selbst, über seine Cola-Sucht, über zuweilen auftretende fachliche Lücken und sein besonderes Interesse an der Berliner Sittengeschichte lachen konnte, machte ihn für die Kollegen sympathisch.

Vorausgesetzt sie traten nicht in Konkurrenz zu ihm. Wer Gerhard Kutzsch das Terrain streitig machen wollte, der konnte den Direktor von einer sehr ungemütlichen Seite kennen lernen. Beim Thema Karierre hörte der Spaß auf. Zu lange und zu hart hatte er für seinen Aufstieg kämpfen müssen.

Am 5. August 1914 wurde Gerhard Kutzsch in Leipzig geboren. In Leipzig studierte er Geschichte, Anglistik und Germanistik, promovierte und schrieb eine Ernst-Moritz-Arndt-Biographie. Die Arbeit verschaffte ihm Ansehen, doch dann kam der Krieg, und das Buch wurde nicht gedruckt. Statt dessen dienstverpflichtete man Kutzsch 1943 bei der Reichsbahn.

Nach dem Krieg unterrichtete Gerhard Kutzsch kurz an einer Volksschule, nahm dann aber erneut ein Studium auf: Politologie. Er erweckte die wohlwollende Aufmerksamkeit des damaligen Hochschuldirektors Otto Suhr; durch ein Empfehlungsschreiben von ihm konnte Kutzsch 1952 seine ersten Erfahrungen im Archiv machen. Doch an eine Anstellung konnte er zunächst nicht denken, denn dafür qualifizierte ihn sein Studium nicht. Jahrelang arbeitete Kutzsch als Volontär im Berliner Hauptarchiv, das spätere Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Er kämpfte verbissen und hartnäckig für seine Zukunft: 1955, immerhin schon 41 Jahre alt, belegte er einen wissenschaftlichen Kurs an der Archivschule Marburg. 1957 wurde er Verwaltungsangestellter im Landesarchiv, 1959 wurde er Archivassessor, 1960 Archivrat 1965 endlich Direktor des Landesarchivs Berlin.

14 Jahre lang leitete Kutzsch das Archiv, bis er 1979 in den Ruhestand ging. Dass seine Karrriere hier enden würde, daran hat Kutzsch lange nicht geglaubt. Er hatte sich noch mehr vom Leben erhofft. Irgendwann einmal die Rolle eines Staatssekretärs auszufüllen, das war sein Traum.

Neben der Theatergeschichte und der Sittengeschichte Berlins hatte er noch ein weiteres Steckenpferd: Das Sammeln von Flugblättern. Oft lief Kutzsch durch die Straßen und löste mit Hilfe eines Taschenmessers Flugblätter von Wänden und Masten. Noch Jahre nach seiner Pensionierung tat er das. Mit akkurater Signatur versehen landete jedes einzelne dieser Flugblätter im Landesarchiv.

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