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Berlin: Grüne Woche: Riesenappetit auf Information

"Die beste Woche hat zehn Tage" - der Wahlspruch der Internationalen Grünen Woche lockt heute noch einmal zum Bummel über das Messegelände am Funkturm. Der letzte Tag ist eingeläutet.

"Die beste Woche hat zehn Tage" - der Wahlspruch der Internationalen Grünen Woche lockt heute noch einmal zum Bummel über das Messegelände am Funkturm. Der letzte Tag ist eingeläutet. Am Sonnabend kamen fast 66 000 Menschen in die Hallen. Das waren so viele wie an keinem Messetag zuvor in diesem Jahr und 2800 mehr als im Vorjahr. Insgesamt besuchten bislang 440 100 Menschen die Schau der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Das sind lediglich 2700 weniger als im vergangenen Jahr, das als Rekordjahr gilt. "Damit war die Grüne Woche auch im BSE-Krisenjahr ein großer Erfolg", zog Messesprecher Wolfgang Rogall eine vorläufige Bilanz. Insgesamt beteiligten sich 1570 Aussteller aus 58 Ländern.

Wenn Sonntagabend alles vorbei ist, freut sich Bernd Paul erst mal auf Tageslicht und frische Luft. Seit neun Tagen verkauft er in der als "Fresshalle" bekannten Halle 4.2 "Wattwürmer" - eine lange Wurst, die hervorragend zu dem ebenfalls in Halle 4 ausgeschenkten Bier passt. Schon früh morgens steigt in der Halle Bratengeruch zur Decke und vernebelt das Licht der Scheinwerfer, ab mittags wird dann in der Ausstellungshalle an allen Biertischen gefeiert.

Paul hat nicht den Eindruck, dass sich die Besucher durch den BSE-Skandal die Stimmung verderben lassen: "Das ist hier weiterhin die mit Abstand lustigste Halle." Klar seien die Verbraucher vorsichtiger geworden, und jeder Zweite wolle wissen, woher das Fleisch kommt. Insgesamt rechnet er aber nur mit zehn Prozent weniger Umsatz als im vergangenen Jahr. Das sei besser als erwartet. "Wir haben Stammkunden", sagt Bernd Paul und es scheint, dass auch viel Laufpublikum bei "40 Zentimeter Spaß und Genuss" für nur eine Mark die Fleisch-Bedenken vergisst und herzhaft zubeißt.

"Wer über Umsatzeinbußen jammert, hat sich nicht auf die neue Situation eingestellt", findet Heinz Bagner vom Westfalenstand. Seit 20 Jahren ist er mit seinem großen Gastronomiebetrieb auf der Grünen Woche vertreten. Sein Verkaufsrenner ist westfälisches Zwiebelfleisch und Grünkohl mit Mettwurst.

Umdenken gefragt

"Dieses Jahr haben wir zwei vegetarische Gerichte aus unserer Schatzkiste ausgegraben", sagt Verkäuferin Siglinde Menningmann, nämlich ein mit Käse überbackenes Kartoffeltöpfchen und eine Gemüse-Schlemmerpfanne. Auch die gehen gut. Bagner nutzt die Grüne Woche als Test für sein zukünftiges Sortiment. "Bratwurst ist der Standard-Imbissartikel, doch die Leute sind so misstrauisch, dass man Alternativen finden muss." Er geht davon aus, dass "sich durch das BSE-Drama die Essgewohnheiten dauerhaft ändern". Viele hätten etwas Neues gekostet, was ihnen schmeckt. Warum sollten sie nicht dabei bleiben?

Jeder dritte Aussteller hatte sich vorgenommen, auf der Grünen Woche neue Produkte zu testen. "Sehr beliebt ist die Messe bei den EU-Beitrittskandidaten wie Polen, Ungarn und Tschechien", sagt Pressesprecher Rogall. Sie nutzten Berlin als Tor zum europäischen Markt. Außerdem sei es ein großer Vorteil, dass Berlin aus diesen Regionen kostengünstig, also auch bei einem Tagesbesuch zu erreichen ist. Insgesamt kam jeder zweite Gast der grünen Woche aus mehr als 100 Kilometern Entfernung: 38 Prozent aus Berlin, 46 Prozent aus den neuen Bundesländern, 14 Prozent aus den alten Bundesländern sowie zwei Prozent aus dem Ausland.

In Halle 1.2.b, wo Produkte aus ökologischem Anbau präsentiert werden, trinkt die Rentnerin Christa Schulz aus Güstrow in Mecklenburg zum ersten Mal in ihrem Leben Bio-Milch. Ihre Kinder haben sie auf den Ausflug zur Messe eingeladen, durch die Berichte in der Presse sind sie neugierig geworden. "Die Milch schmeckt gut, mehr nach echter Kuhmilch", findet Frau Schulz. Sie könnte sich vorstellen, demnächst Öko-Milch zu kaufen, "obwohl ich auch weiterhin H-Milch nehme". Schließlich sei das ja auch eine Kostenfrage.

Als klarer Gewinner des Trends hin zu bewusster Ernährung sieht sich der Lebensmitteltechnologe Arndt Rübenstrunk. Gut platziert am Eingang der Öko- Markt- Halle, verkauft die Märkische Landbrotbäckerei aus Neukölln täglich bis zu 550 Brote. "Unser Stand ist größer als im vergangenen Jahr, deshalb lässt sich die Umsatzsteigerung nicht genau beziffern", sagt Rübenstrunk, aber der Andrang spricht für sich. In einem großen Ofen backt er direkt auf der Messe Brot. "Das kommt gut an, die Leute wollen gemau wissen, welche Zutaten wir verwenden und wie es hergestellt wird". Geduldig erklärt Arndt Rübenstrunk jedem seine Spezialität, das Brot Essener Art.

Jeder Besucher gibt 300 Mark aus

Viele greifen nicht nur beim Brot - das auf der Messe fünf statt im Laden 6,50 Mark kostet zu, sondern nehmen auch ein Informationsblatt mit.

Insgesamt gaben die Besucher auf der Grünen Woche 150 Millionen Mark aus. Jeder Einzelne ließ im Schnitt 300 Mark auf dem Messegelände - davon 242 Mark für Bestellungen und den Kauf von Waren und 64 Mark für den persönlichen Verzehr. Ein Fünftel der Messebesucher war unter 30 Jahre alt, zwei Drittel unter 50. Mit 51 Prozent kamen mehr Frauen als Männer ins ICC.

Und auch bei der Politprominenz kommt die Grüne Woche immer besser an. Gesehen wurden unter anderem Bundespräsident Johannes Rau und die Minister Jürgen Trittin und Renate Künast. Die neu ernannte Ministerin für Verbraucherschutz beließ es nicht bei einem Besuch, sondern war insgesamt dreimal unterm Funkturm anzutreffen.

Barbara Wörmann

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