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Protest zwecklos. Mohamed M. im Jahr 2013 in einem Zelt des damaligen Flüchtlingscamps am Oranienplatz. Er möchte auf Fotos lieber nicht erkannt werden.

© Mike Wolff

Härtefallkommission des Berliner Senats: Nach 24 Jahren ohne Perspektive droht die Ausweisung

Der Algerier Mohamed M. lebt seit 1991 in Deutschland. Seitdem ist er nie richtig angekommen. Liegt das an ihm – oder am System? Am Dienstag entscheidet die Härtefallkommission des Senats über seinen Status. Dann könnte er endgültig ausgewiesen werden.

Von Fatina Keilani

Für Mohamed M. könnte es eng werden. Nach 24 Jahren in Deutschland entscheidet am Dienstag die Härtefallkommission des Berliner Senats zum zweiten Mal über seinen Fall. Der Mann ist mittlerweile 48 Jahre alt und lebt seit 1991 in Deutschland – also fast sein halbes Leben. In dieser langen Zeit ist er nie richtig hier angekommen, aber auch nie endgültig abgelehnt worden. „Die Situation macht mich krank und fertig“, sagt M.

Und er ist nicht der Einzige. Dabei wird die Arbeitskraft von Einwanderern gebraucht – doch es sind die Feinheiten, an denen ihre Einstellung scheitert. Arbeitgeber würden gerne Fachkräfte beschäftigen oder welche ausbilden, möchten aber nicht in jemanden investieren, der womöglich dann das Land verlassen muss. Hat jemand Glück und findet dennoch eine Ausbildung, so erhöht das wiederum seine Chancen, bleiben zu dürfen. Es müsste demnach Arbeitgebern leichter gemacht werden. Auch für die Antragsteller ist es kompliziert. Es gibt laut Innenverwaltung über 140 verschiedene Rechtsgrundlagen für Aufenthaltstitel.

Integration sei nicht gelungen

Die Geschichte von Mohamed M. kann als Beispiel dienen. Seine Ausweisung begründete die Ausländerbehörde damit, dass ihm „eine soziale und wirtschaftliche Integration nicht gelungen“ sei. Die Papiere, die M. mit sich herumträgt, kann man so oder so lesen. Immer wieder bemühte er sich um Arbeit und bekam auch welche, und immer wieder endeten mit Ablauf der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis auch seine Jobs. Die Unterbrechungen in seiner Erwerbstätigkeit wertete die Ausländerbehörde als Zeichen, dass sich M. nicht ausreichend anstrengt. Für M. ist es ein Teufelskreis: Ohne festen Job keine Aufenthaltserlaubnis, ohne Aufenthaltserlaubnis keinen festen Job.

Die Härtefallkommission beriet schon 2008 über M.'s Fall, damals unter Innensenator Ehrhart Körting (SPD). M. erhielt eine Aufenthaltserlaubnis mit der Auflage, seinen Lebensunterhalt selbst zu sichern. Er schaffte es nicht.Kaum hatte er die Erlaubnis, bezog er Sozialleistungen – so sieht es die Ausländerbehörde. Erst als es um die Verlängerung des Titels ging, habe er eine Arbeit als Reinigungskraft aufgenommen. Und er bekam, was er wollte: Die Aufenthaltserlaubnis wurde für ein Jahr verlängert. Diesmal mit der Maßgabe, er müsse seinen Lebensunterhalt „überwiegend“ durch eigene Erwerbstätigkeit sichern. Selbst dies sei ihm bald nicht mehr gelungen, stellt die Behörde fest.

Er habe genug Chancen bekommen

Im Mai 2011 beginnt M. eine Fortbildung zum Erziehungshelfer, bekommt erneut eine Aufenthaltserlaubnis. Nun soll er „einen Beitrag“ zu seinem Unterhalt leisten und die Maßnahme abschließen. Aber: Er schließt sie nicht ab, wegen Rückenschmerzen. Den Job davor hatte er wegen unentschuldigter Fehltage nach nicht einmal zwei Monaten verloren.

Im Sommer 2012 erhält er eine Festanstellung als Spüler in einem Restaurant. Als die Saison vorbei ist, wird ihm gekündigt. Noch im August entzieht die Ausländerbehörde die Aufenthaltsgenehmigung, zu Ende September soll er ausreisen. Selbst, als er die Zusage für eine unbefristete Anstellung zum 1. Oktober vorlegt, nimmt die Behörde die Entscheidung nicht zurück. Der Fall ist schwierig zu beurteilen. Hatte der Mann nur Pech, oder hat er sich nicht genug angestrengt?

Der Behörde ist nicht so leicht ein Vorwurf zu machen. Sie hat ihre Anforderungen an ihn immer weiter gesenkt. Er habe genug Chancen bekommen, argumentiert das Amt. Er habe sie nicht genutzt. Konnte er sie nutzen? Das Studium hat er nicht beendet, weil sein algerischer Pass ablief und er sich ohne Pass nicht an der Uni zurückmelden konnte. Die Fortbildung brach er ab wegen Rückenproblemen: Er arbeitete mit Behinderten und musste dort schwer heben.

An sich hatte M. für sein Leben ohnehin ganz andere Pläne. Er studierte in Algier am Theaterinstitut, floh vor dem algerischen Bürgerkrieg, wollte keinen Dienst an der Waffe leisten. Vielleicht hätte ein Künstler aus ihm werden können. Doch seit er hier ist, bestimmen andere über sein Leben, musste er sich von einem Provisorium zum nächsten hangeln. Andererseits: Warum hat er nicht einfach mal eine Sache zu Ende gebracht?

Viele setzen sich für ihn ein – ein Pfarrer, Petitionen, sogar einen Brief des Bundespräsidenten an den Innensenator gibt es. Doch der blieb hart. Überhaupt hat sich unter Frank Henkel (CDU) einiges geändert. „Mit Körting konnte man nachverhandeln“, berichtet ein Mitglied der Härtefallkommission. Henkels Vorgänger Ehrhart Körting habe im persönlichen Gespräch nochmals Argumente ausgetauscht; er habe die Fälle gekannt. Wer bei Henkel die Entscheidungen trifft und sich die Fälle anschaut, ist nicht so klar. „Man schreibt an den Senator und bekommt Antwort von der Geschäftsstelle“, heißt es aus der Härtefallkommission. Und Nachverhandlungen seien absolut nicht drin. Die Zahl der Abschiebungen ist unter Henkel gestiegen.

Über M. hatte der Tagesspiegel schon im September 2013 und im Mai 2014 berichtet. Im August 2012 hatte Berlin ihn ausgewiesen. Aber er ist immer noch hier. Die Entscheidung am Dienstag und das Votum des Senators sind wohl final. Gerade hat M. wieder seinen Job verloren – das verschlechtert die Prognose.

Deswegen hat er eine Stellungnahme für die Härtefallkommission abgegeben. Für eine Weiterbeschäftigung hätte er eine formelle Ausbildung gebraucht. Die will er jetzt machen. Er hat sich auch schon erkundigt, wie das zu finanzieren wäre. Zurück nach Algerien zu gehen, kann sich M. nach so langer Zeit nicht vorstellen. Es ist ein Fall, der auch ratlos macht.

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