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Hartmut Häußermann.

© Doris Spiekermann-Klaas

Update

Berliner Stadtforscher: Hartmut Häußermann ist gestorben

Der Berliner Stadtforscher Hartmut Häußermann ist gestorben. Soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung, ungleiche Chancen bei der Bildung – das waren seine Lebensthemen. Ein Nachruf.

Als Hartmut Häußermann seine brillante Studentin mal wieder ins Gebet nahm, endlich ihre Diplomarbeit anzugehen, brach es aus der alleinerziehenden Migrantin heraus: Ja, wie denn, sagte sie dem Soziologieprofessor an der Humboldt-Universität, wenn sie seit Monaten ohne Wohnung dastehe. Angebote habe sie genug bekommen, aber sobald sie ihren türkischen Namen nenne, seien die Wohnungen plötzlich schon weg.

Häußermann wusste Rat: Sie möge ihre Erfahrungen zur Grundlage einer Diplomarbeit über die Benachteiligung von Migranten bei der Wohnungssuche in Berlin machen. Ihren Zorn über die Ungerechtigkeit könne sie in einen kritischen Diskurs umwandeln – und vielleicht sogar etwas bewirken.

Soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung, ungleiche Chancen bei der Aneignung von Wissen und Bildung – das waren Häußermanns Lebensthemen. Ein typischer 68er? Nein, ein 68er, dessen Engagement im Spiel um Macht und Einfluss nie zerrieben wurde, anders als bei so vielen in seiner Generation. Häußermann kämpfte bis zu seinem Tode im Alter von 68 Jahren in der Nacht zum Dienstag für jene, die keine Lobby haben.

Und sein Kampf war nicht vergeblich. Zusammen mit dem Sozialwissenschaftler Andreas Kapphan hat er das „Quartiersmanagement“ erfunden. In einer Studie für den Senat wiesen sie 1998 die Entstehung sozialer Brennpunkte in der Stadt nach und schlugen den Einsatz von Sozialarbeitern und Beratungsbüros in Stadtteilen wie Wedding und Kreuzberg vor. Der Senat befolgte diesen Rat.

Es war der erste Schritt zum Aufbau eines Frühwarnsystems für städtische Fehlentwicklungen, die Häußermann mit dem „Monitoring soziale Stadtentwicklung“ vorlegte. Eine Bestandsaufnahme, die bald deutlich machte, dass sich die Probleme dennoch verschärfen. Weil die Wirtschaft stagniert. Weil es an Arbeit fehlt. Und weil das als Erstes jene trifft, die andere als deutsche Wurzeln haben.

Häußermann wurde nie müde, den gefährlichen Mechanismus der räumlichen Ausgrenzung anzuprangern und Front gegen die soziale Entmischung in der Innenstadt zu machen. Wie soll ein Kind aus einem Brennpunkt entkommen, wenn seine Familie und sein Quartier die gleiche Chancenlosigkeit spiegelt? Bildung ist der Schlüssel für den Zugang zu guten Jobs und sozialer Integration, davon war Häußermann überzeugt. Deshalb muss gerade jenen, deren Eltern schon diese Chance versagt wurde, geholfen werden.

Weil er immer wieder den Finger in diese soziale Wunde Berlins legte, war er ein unbequemer Auftragnehmer – auch für den rot-roten Senat. Aber auch darin blieb sich Häußermann treu: Seine Analysen der Stadt nach sozialen Kriterien wie Arbeitslosigkeit, Schulbildung, Sozialhilfe wurden immer akribischer und detaillierter – und widersetzten sich einer politisch motivierten Weichspülung.

Hartmut Häußermanns größter Erfolg aber könnte es gewesen sein, dass er einer neuen Generation von Stadtsoziologen und -planern diese unbeugsame, ruhige und verantwortungsbewusste Haltung vererbt hat. Und dass in einer Stadt, in der so mancher vergeblich um eine Wohnung und einen Arbeitsplatz kämpft, wieder so etwas wie ein Bewusstsein für gesellschaftliche Solidarität aufkeimt, die das neoliberale Zeitalter ausgelöscht zu haben schien.

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