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Historische Hebebühne. Das Jahr 1989 in einem Bild: David Hasselhoff singt. Und die Mauer verschwindet. Unter Menschen.

© picture-alliance / dpa

Hasselhoff und sein Mauer-Auftritt 1989: Der Mann in der Lampenjacke

Wie war das noch mit der Silvesternacht 1989/90? Die Mauer am Brandenburger Tor stand, hatte aber schon Löcher. Hunderttausende feierten grenzenlos – mit tragischem Ende. Und dann war da noch Hasselhoff auf der Hebebühne. Drei Erinnerungen, bevor der Mann heute wieder da ist.

Es war ein Auftritt, der mit dem Wort „bizarr“ nur unzureichend beschrieben werden kann: Plötzlich erschien ein toupierter Typ an der Mauer vor dem Brandenburger Tor und tanzte zum Vollplayback, von „Looking For Freedom“, während unten 500 000 glückstrunkene Besucher johlten. Im Takt dazu leuchtete ein wunderschönes Ensemble von Glühlampen, die der Toupierte auf die Schultern seiner Jacke montiert hatte. An dieser Stelle war die Mauer richtig breit, bildete oben eine Plattform, die man auch als Bühne benutzen konnte.

Ich war mit einer Gruppe französischer Freunde unterwegs, die wie viele andere junge Leute den Jahreswechsel in Berlin verbrachten. „Wer ist das denn?“, fragte meine Freundin Florence. „Das ist David Hasselhoff aus Knight Rider, der ist in Deutschland ein Star.“ Ungläubiges Lachen, Kopfschütteln. „Die Wiedervereinigung“, prophezeite Flos Bruder Philippe, „wird schrecklich.“

Der Pariser Platz war in dieser Nacht auf beiden Seiten komplett überfüllt. Es herrschte eine ausgelassene, anarchische, aber nicht aggressive Stimmung. Die Jugendsendung „Elf 99“ des DDR-Fernsehens hatte eine Bühne errichtet, die noch vor Mitternacht von den Massen gestürmt wurde, an eine Sendung war nicht mehr zu denken. Von dem Gerüst aus kletterten Feiernde auf das Brandenburger Tor und drückten der Quadriga eine Deutschlandfahne in die Hand. Später gesellte sich noch eine Europaflagge dazu. Irgendwann nach zwölf kollabierte die Bühne, aber das Raketen- und Böllergeknatter war so groß, dass man auch 100 Meter nichts davon hörte.

David Hasselhoff hatte übrigens versprochen, die Lampenjacke für seinen Silvesterauftritt 2010 – wieder vor dem Brandenburger Tor – zu reaktivieren. Das wurde dann doch nichts, er trug nur einen ähnlich hässlichen schwarzen Ledermantel. Lutz GöllnerWir fühlten uns nicht sicher

Geplant hatten wir einen krachenden Abschluss eines so historischen Jahres. Es war überhaupt keine Frage - den Jahreswechsel würden wir am Brandenburger Tor erleben. Und zwar auf Ost-Berliner Seite, auf dem Pariser Platz. Wir hatten es knapp geschafft, kurz vor Mitternacht dort zu sein. Aber sehr schnell beschlich uns der Gedanke, ob das wirklich so eine gute Idee war, uns mitten in die Menge zu drängen. Vorbei an völlig überforderten Volkspolizisten, die versuchten, die weiter zum Platz strömenden Massen zu stoppen. Überall um uns herum johlten die Menschen. Sie klangen jedoch oft nicht freudig, sondern besoffen, auch aggressiv. Zerbrochene Flaschen bedeckten den Boden. Um zwölf wurden aus der Menge heraus die Raketen gezündet. Meist junge Männer mit glasigen Augen warfen mit Böllern um sich. Was sich auf der Bühne abspielte, war Nebensache; es blieb nichts in Erinnerung.

Gebannt starrten wir oben auf das Brandenburger Tor; über die Aufbauten einer Videowand waren jede Menge Menschen raufgeklettert und hüpften dort um die Quadriga herum. Die Polizisten hatten überhaupt keine Chance, waren überrannt worden. Erst später erfuhren wir, dass die Kletterei ein tragisches Ende nehmen sollte. Wir fühlten uns nicht sicher hier, hatten aber zum Glück noch eine Alternative. Eine Party, die das damals legendäre Jugendprogramm „S-F-Beat“ des Senders Freies Berlin in Weißensee mitorganisiert hatte. Dort war leider tote Hose. Vielleicht war der Ort doch ein wenig zu weit ab vom Schuss.

Beinahe endlos fuhren wir am frühen Morgen mit der Straßenbahn in die City zurück. Historisch kam uns der Jahreswechsel nicht vor, eher schon ganz normal. Sigrid KneistDer Brandfleck im Wintermantel

Die Erinnerung an die Silvesterfeier 1989/90 hing noch jahrelang danach im Kleiderschrank. Der schöne weiße Wintermantel, erst wenige Wochen davor in einem teuren „Exquisit“-Laden am Alex erstanden, hatte die wild umherfliegenden Raketen und Blitzknaller im Gedränge der Massen leider nicht unbeschadet überstanden. Am Rücken prangte ein dickes Brandloch. Ein Freund machte damals den Vorschlag, den Schaden doch von der Versicherung bezahlen zu lassen. Doch das staatliche Unternehmen befand sich gerade in Auflösung, die Übernahme durch die Allianz deutete sich an. Außerdem war der Vertreter der „Staatlichen Versicherung der DDR“, der jahrelang die Monatsbeiträge in bar an der Wohnungstür kassiert hatte, nach dem Mauerfall irgendwo im tiefen Westen verschwunden. So wurde die Angelegenheit mit dem Brandloch immer wieder verschoben und geriet in Vergessenheit.

Erst viel später kam die Erkenntnis, wie gefährlich und chaotisch es auf der Feier am Brandenburger Tor zugegangen war. Es gab keine Kontrollen, so dass jeder so viele Knaller, Sekt- und Schnapsflaschen mitnehmen wie er tragen konnte. Am Ende stolperte man nur noch über Glasscherben. Wie unbedarft die Organisatoren zusammen mit Volkspolizei und Schneller Medizinischer Hilfe (SMH) damals zu Werke gingen, zeigt der Aufbau der Videoleinwand der DDR-Jugendsendung „Elf 99“ (benannt nach der Postleitzahl des DDR-Fernsehens in Adlershof). Diese diente schnell als Aufstiegshilfe für junge Kletterer auf dem Weg zur Quadriga. Darauf flimmerte zeitweilig auch David Hasselhoff. Irgendwann krachte die ganze Konstruktion in sich zusammen. Das fiel im großen Durcheinander der Feuerwerke und des Scherbenbodens aber gar nicht groß auf.

Am nächsten Vormittag lud die Volkspolizei in ihr Präsidium in der Keibelstraße am Alexanderplatz zur Pressekonferenz, auf der sie die Bilanz der Silvesternacht vorstellte: Zwei Menschen waren zwei Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche Feiernde verletzt worden. Außerdem wurden die Schäden an der Quadriga präsentiert – sie musste später demontiert und aufwändig saniert werden. Ach ja – genau zwei Journalisten waren der Einladung in die Keibelstraße gefolgt... Claus-Dieter Steyer

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