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Hatice Akyün.

© Andre Rival

Mein Berlin: Integration durch Silikon

Die türkische Schauspielerin Sila Sahin zieht sich für den Playboy aus. Manch einer sieht darin einen Akt der Emanzipation. Hatice Akyün bleibt aber lieber beim Thema: dem Ausziehen.

Fast wäre mir in meinem Türkeiurlaub die prickelndste Integrationsdebatte des Jahres entgangen. Aber zum Glück habe ich es noch rechtzeitig geschafft, nach Berlin zurückzukehren, um die höchst brisante Frage zu erörtern: „Darf eine Türkin das?“

Nicht auszudenken, wenn ich meinen Teil nicht auch noch ungefragt dazu beitragen dürfte.

Sie, meine anspruchsvollen Tagesspiegel-Leser, haben natürlich von diesem Schmuddelvorfall nichts mitbekommen. Deshalb möchte ich Sie kurz aufklären: Die türkischstämmige Seifenoper-Darstellerin Sila Sahin aus Berlin hat sich für das bekannte Integrationsblatt „Playboy“ ausgezogen. Jenes Heftchen, das meinen Mitschülern eine Idee von weiblicher Anatomie in Zeiten schwerster pubertierender Umstellung vermittelte.

Eine Türkin hat sich also nackt fotografieren lassen. Oder wie man es in der Militärsprache sagt, sie hat blankgezogen. Na endlich, könnte man fast unkritisch sagen. Zieht sich nicht immer irgendjemand aus? Heidi Brühl, Uschi Glas, Katarina Witt, Simone Thomalla? Immer wenn der Stern vom Firmament herunterfällt und dem Horizont bedrohlich nahe kommt, hilft ein kleiner Nackedei der Karriere aus der Krise. Blitzlichtgewitter statt Dschungelcamp; Haut zeigen, statt sie zu Markte tragen; Maske und Retusche, statt Matsch und Reptilien.

Braucht man eigentlich Gehirnzellen, um diese PR-Kampagne zu durchschauen? Der türkischen Nacktprotagonistin geht es jedoch nicht allein darum, ihren entblößten Körper zu präsentieren. Nein, es ist ihr viel ernster: Sie möchte sich von kulturellen Zwängen befreien. Die Fotos seien ein Akt der Emanzipation. Sozusagen raus aus den Klamotten und rein in die Chefetagen der Dax-Unternehmen.

Ich bin so dankbar, dass nach Alice Schwarzer, die mich über meine Unterdrückung aufgeklärt hat, und Kristina Schröder, die mich an meine Berufung als Frau erinnert hat, nun Sila Sahin gekommen ist, um mich von meinen kulturellen Zwängen zu befreien. Zur Not auch mit ihren Silikonwaffen.

In diesen Zeiten haben wir Türkinnen es wirklich nicht leicht, uns für das richtige Integrationsmodell zu entscheiden. Kopftuchtürkin oder Nackttürkin? Befreien wir uns nur vom Kopftuch oder ziehen wir gleich den Schlüpfer aus? Man stelle sich das mal vor: Auf der Türkenwiese vor dem Schloss Bellevue tummeln sich dutzende FKK-Anhängerinnen, alle vom Schönheitschirurgen in Neukölln runderneuert. So ist das mit der Integration. Erst kam die Problematisierung, dann die Stigmatisierung und zuletzt die Boulevardisierung. Endlich sind wir angekommen und massenmedientauglich. Sila Sahin hat für uns alle die Mauer umgestoßen. Oder frei nach Ronald Reagan: Türkinnen, drop down your panties.

Wir befinden uns in bester Gesellschaft. Die Kanzlerin reißt sich die Laufzeitverlängerung vom Leib, die SPD steht in den Umfragen ohne Hose da, die FDP nominiert ihr letztes Hemd für den Parteivorsitz und die Grünen laufen in des Kaisers neuen Kleidern von Umfragehoch zu Umfragehoch. Nur Klaus Wowereit macht nicht mit. Wenn seine Umfragewerte bis September nicht flugs steigen, kann er auch bald ausziehen – aus dem Roten Rathaus.

Aufmerksame Leser könnte jetzt das Gefühl beschleichen, ich wäre vor Neid ein wenig angefressen. Zugegeben, meine Chance als Ausklappfoto einen unvergesslichen Eindruck zu hinterlassen, habe ich ungenutzt verstreichen lassen. Vermutlich wollte ich den von mir mühsam errungenen Einklang von Körper und Geist nicht riskieren. Ich habe für Nacktfotos nicht die entsprechende Figur, aber um mit der Freiheit umzugehen, hoffentlich genug Format.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin und Journalistin in Berlin. Ihre Kolumne erscheint jeden Montag.

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