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Berlin: Junge Heldin

Claudia Kotter, 26 Jahre alt, lebt seit Monaten in der Charité – sie wartet auf eine neue Lunge. Aber stilles Leiden liegt ihr nicht. Sie hat eine Organisation gegründet und informiert über Organspende

Eigentlich ist es ja nur ein kleines Stück Pappe. Ungefähr so groß wie eine Visitenkarte, bunt bedruckt, mit ein paar leeren Feldern, in die man seinen Namen eintragen kann. „Junge Helden“ steht auf der Karte, und wer wäre das nicht gern: ewig jung und ein Held, der nicht gleich einen Schreck kriegt, wenn er dieses komische Wort sieht.

„Organspendeausweis“ steht auf den Karten, die Claudia Kotter stapelweise in einer Schublade hortet, und wenn sie Besuch bekommt, dann kommt es vor, dass sie im Gespräch so ganz nebenbei diese Lade aufzieht und dem Gast ein paar Organspendeausweise in die Hand drückt. Der Gast nickt dann und versucht nicht zu zeigen, dass er innerlich zusammenzuckt. Weil mit den Karten diese Bilder kommen von Blut und Innereien und Tod.

Claudia Kotter hat sich längst daran gewöhnt, den menschlichen Körper als eine Art Gesamtkunstwerk zu betrachten, das zerbrechlich ist und gelegentlich auch mal repariert werden muss. Sie ist jetzt 26 Jahre alt und eine Person, die zart ist wie ein Vogel und so energisch, dass nicht nur die Ärzte sich wundern. Seit Monaten lebt sie jetzt in der Berliner Charité, Abteilung Pneumologie und in einem Zimmer, in dem sie über zwei zusammengeschobene Betten eine leuchtend rote Decke gebreitet hat. Dieses Quadrat ist jetzt ihr Zuhause, hier empfängt sie Besuch, hier telefoniert sie nach draußen oder guckt in den Laptop, aus dem ihre Freunde sie anlachen wie aus einer anderen Welt.

Claudia Kotter wartet in der Charité darauf, dass jemand da draußen ihr eine neue Lunge spendet. Die braucht sie, weil ihre eigene so klein geworden ist, dass sie nicht genug Blut aufnehmen kann. Auch ihr Herz kämpft jetzt mit Überlastung, und der Rest des Körpers ist manchmal so schwach, dass jede Haarwäsche zur Tortur werden kann. Claudia Kotter ist 1 Meter 69 groß, sie wiegt noch 45 Kilo und wenn sie raus will aus ihrem Zimmer, braucht sie einen Rollstuhl und auch sonst immer ein Gerät, das ihr über einen feinen Schlauch Sauerstoff in die Nase bläst.

Sklerodermie heißt das, womit diese junge Frau lebt, es ist eine seltene Autoimmunerkrankung, bei der der Körper zu viel Kollagen produziert, was vereinfacht ausgedrückt dazu führt, dass Haut und Organe sich verhärten. Manche Patienten fühlen sich wie gefangen in einem Panzer, viele leiden unter einer Verengung des Mundes und haben Probleme, ihr Essen bei sich zu behalten. Wenn Claudia Kotter gefragt wird, welche Folgen die Krankheit für sie hat, sagt sie: „Naja, die ist tödlich. In meinem Fall erstickt man dann.“

Sie sagt solche Dinge ohne jedes Pathos. Schließlich gehört der Tod zum Leben, sagt sie, und was Claudia Kotter nicht ausstehen kann, sind diese scheinheiligen Ausrufe, die regelmäßig bei solchen Gesprächen kommen. „Ach was!“, rufen manche, wenn sie über das Sterben spricht.

Dass die Leute beschweigen, was sie nicht zu ertragen glauben, ist das eine. Das andere ist, dass Claudia Kotter nicht kapituliert hat. Sie ist krank, seit sie denken kann und hat früh beschlossen, sich möglichst wenig davon beeindrucken zu lassen. Nach dem Abitur ist sie in die USA, um Kommunikationswissenschaft zu studieren. Doch dann kam der Tag, an dem sie in diesem Supermarkt stand.

„Wieso sind die Gänge so lang“, hat Claudia Kotter sich damals noch gefragt. Dann kam der überwältigende Wunsch, sich auf den Boden zu legen und zu schlafen. Wenig später hustete sie Blut, sie konnte nicht mehr, und als sie murrend heimflog nach Deutschland, sprach ein Art zum ersten Mal von Transplantation.

Eine Lunge von einem toten in einen lebenden Menschen zu verpflanzen, ist eine riskante Angelegenheit, und die Möglichkeit dazu besteht erst seit den frühen 80er Jahren. Noch häufiger als Herzen oder Nieren werden fremde Lungen vom Organismus abgestoßen. Das kann schon kurz nach der Transplantation passieren. Aber selbst wenn die neue Lunge anfängt zu pumpen, sind drei Jahre später im Schnitt nur noch 56 Prozent der Patienten am Leben, nach fünf Jahren um die 43 Prozent.

Claudia Kotter haben die Ärzte jetzt, weil sie immer schwächer wird, als „HU“ eingestuft, „highly urgent“: die höchste Dringlichkeitsstufe für eine Transplantation. Nun wartet sie – und kämpft dafür, dass es bei anderen schneller geht.

Sie hat mit ein paar Freunden die „Jungen Helden“ gegründet, einen gemeinnützigen Verein, der junge Leute ermutigt, über Organspende nachzudenken. Ab März läuft eine bundesweite Kinokampagne, samt Aufstellern aus Pappe, bei dem man dem Schauspieler Jürgen Vogel ins Herz fassen und aus einem Fach einen Ausweis fischen kann. Das Ganze kommt eher verspielt daher, ohne den moralinsauren Unterton, den viele erwarten mögen.

„Nicht der Mensch, der nicht spenden will, ist ein schlechter Mensch“, sagt Claudia Kotter, „sondern der, der sich keine Gedanken macht.“ Und weil sie überzeugt ist, dass Wissen hilft, erklärt sie, wie das funktioniert, was sie „Hoffnung schenken“ nennt.

Die Entnahme von Organen, etwa nach einem Unfall, ist nichts anderes als eine Operation, die nach strengen gesetzlichen Vorgaben abläuft. Voraussetzung ist der Hirntod eines Patienten, der dazu führt, dass nicht nur Denken und Motorik erloschen sind, sondern auch emotionale Reaktionen. Jedenfalls so weit das messbar ist. Unter künstlicher Beatmung und Vollnarkose wird dann entnommen, was gebraucht wird. Das kann vom Auge bis zum Darm so ziemlich alles sein. Vorausgesetzt, ein Angehöriger stimmt zu.

Womit der kritische Punkt erreicht wäre, der nämlich, wo ein trauernder Verwandter, der womöglich schockiert auf der Intensivstation sitzt, plötzlich entscheiden muss, was er sich vermutlich nie im Leben überlegt hat. Anders als in Österreich und vielen anderen europäischen Ländern, wo jeder Mensch Organspender ist, der nicht ausdrücklich widerspricht, gilt in Deutschland eine Zustimmungsregelung. Das bedeutet, dass der Wille des Toten Vorrang hat, aber selbst wenn er einer Spende zugestimmt hat, muss ein Angehöriger das nochmal unterschreiben.

„Glück und Trauer liegen da so nah beieinander“, sagt Claudia Kotter. „Für den einen ist es ein Riesenverlust, und der andere hofft so, dass ihm das Leben geschenkt wird.“ Sie ist sicher, dass viel mehr Deutsche spenden würden, wenn sie wüssten, dass jeder selbst entscheiden kann, welches Organ er hergibt und welches nicht. Und dass die Familie ihren Toten wiederkriegt, sauber und angezogen.

An der Wand neben ihrem Bett hängt ein großes Blatt Papier, darauf ist eine Art Netz für den Ernstfall gemalt. „Claudi“ steht groß in der Mitte und an Bleistiftstrichen rundum „hängen“ Dutzende von Namen, die zu immer neuen Namen führen: es sind Verwandte, Freunde, Mitstreiter. Die mit den blauen Namen informieren die mit den schwarzen – und kommen sofort ins Krankenhaus, falls eine Lunge unterwegs ist. Dann hat Claudia Kotter noch ein paar Stunden bis es losgeht. Zeit, um den anderen Mut zu machen, zusammenzurücken, „irgendeiner muss meiner Mutter doch Kaffee kochen“.

Constanze von Bullion

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