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Eine Berlinerin saß jahrelang unschuldig in Haft. Jetzt verlangt sie Entschädigung. Wie viel ist ein Leben wert?

© dpa

Justizirrtümer: Wenig Geld für viel Unrecht

Seit dem spektakulären Fall von Monika de Montgazon, die 888 Tage unschuldig im Gefängnis saß, wird im Abgeordnetenhaus über eine angemessene Entschädigung diskutiert. Der Anwaltsverein bezeichnet die Debatte als "beschämend".

Von Fatina Keilani

Wie viel Entschädigung soll ein Mensch bekommen, der längere Zeit zu Unrecht inhaftiert war? Seit dem spektakulären Fall der Berlinerin Monika de Montgazon, die 888 Tage unschuldig im Gefängnis saß und nun über eine unangemessene Wiedergutmachung klagt, wird diese Frage heftig diskutiert. Monika de Montgazons Inhaftierung sei allerdings ein „krasser und bedauerlicher Einzelfall“, heißt es bei der Justizverwaltung. Die weitaus meisten unrechtmäßigen Haftzeiten gebe es in der Untersuchungshaft, und diese seien in der Regel wesentlich kürzer als bei Strafhaft. Insgesamt wurden 2011 in Berliner Gefängnissen exakt 6486 Tage Haft zu Unrecht abgesessen. Das sind mehr als 17 Jahre und neun Monate Lebenszeit.

Frau Montgazon bekam laut Justizverwaltung eine Entschädigungssumme im unteren sechsstelligen Bereich, die auch ihren Verdienstausfall und weitere Verluste berücksichtigt. So sieht es das Gesetz vor. Wie berichtet, sieht Monika de Montgazon dies als nicht genug an. Und bei ihr kommt verschärfend hinzu, dass sie laut einem Richterspruch auch noch die Gutachten teilweise selbst bezahlen soll, denen sie die Aufhebung ihres Urteils und den Freispruch verdankt.

„Der Senat sollte aus diesem Einzelfall lernen und eine Bundesratsinitiative starten“, fordert der grüne Rechtspolitiker Benedikt Lux. „100 Euro pro Tag sind durchaus angemessen.“ Auch der Anwaltsverein fordert eine solche Regelung, schon seit Jahren. „Die politische Diskussion ist beschämend“, sagt dessen Vorsitzender Ulrich Schellenberg. Die Frage der Haftentschädigung werde rein fiskalisch diskutiert. Dabei machten die Kosten im Haushalt fast nichts aus. Schellenberg fordert „einen Vorstoß des Landes Berlin für die Überarbeitung der gesetzlichen Entschädigungsregelung.“ In der kommenden Woche werde der Anwaltsverein einen Forderungskatalog vorlegen.

Die Justizverwaltung winkt ab.

Die Justizverwaltung winkt jetzt schon ab. „Eine Erhöhung auf 100 Euro ist unrealistisch“, sagt Behördensprecherin Lisa Jani. Schon der Erhöhung von elf auf 25 Euro vor einigen Jahren sei ein jahrelanges Feilschen der Länderjustizminister vorausgegangen.

Die frühere Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) hatte sich 2009 ebenfalls für eine Erhöhung auf 100 Euro eingesetzt und auf Länder wie Spanien und Frankreich verwiesen, wo bis zu 250 Euro pro Tag gezahlt würden. In den Berliner Fraktionen von SPD und CDU hätte auch ihr Nachfolger Thomas Heilmann (CDU) für ein solches Vorhaben durchaus Unterstützung. Es ist aber nichts in der Richtung geplant.

Zum Fall von Monika de Montgazon teilte die Justizverwaltung mit, man können sich an keinen einzigen vergleichbaren Fall erinnern. Zugleich betonte Behördensprecherin Lisa Jani, die Zahl der im vergangenen Jahr zu Unrecht abgesessenen 6486 Tage lasse keinen Rückschluss auf etwaige Fehlurteile zu, da es sich überwiegend um Untersuchungshaftzeiten handele. Laut Justizverwaltung hat Monika de Montgazon bereits eine Entschädigungssumme erhalten, in der auch ihr Verdienstausfall und entgangener Gewinn berücksichtigt worden seien.

Doch was ist angemessen? Ein Gefängnisaufenthalt reiße den Menschen komplett aus seinem Leben heraus und isoliere ihn sozial, sagt etwa der katholische Gefängnisseelsorger Thomas Marin: „Die Entschädigung muss ein wirksames Zeichen der Anerkennung sein: Dir ist hier Unrecht geschehen.“ Für die verlorene Lebenszeit könne man nicht mit Geld entschädigen. Psychologisch wichtig sei das Gefühl der Rehabilitation.

Großzügiger ist im Kontrast dazu das Reiserecht. Verlorene Urlaubszeit, etwa wenn Hotelversprechen nicht eingelöst werden, ist offenbar mehr wert als rechtswidriger Freiheitsentzug. 75 Euro Entschädigung sind in der Rechtsprechung keine Seltenheit – pro Tag „nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit."

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