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Der Landesvorsitzende der Linken, Klaus Lederer (l-r), der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) und die Fraktionschefin der Grünen, Ramona Pop.

© Wolfgang Kumm/dpa

Koalitionsverhandlungen in Berlin: "Der Regierende sollte sich nicht als Chef verstehen"

Reinhard Bütikofer handelt für die Grünen die Koalition in Berlin mit aus. In einem Gastbeitrag erklärt er, was gutes Regieren ist.

In den Verhandlungen über eine Koalition haben SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen in Berlin den Großteil der Arbeit noch vor sich. Die Konflikte, ohne die keine Koalition zustande kommt, deuten sich an, sind aber bisher nicht in aller Klarheit auf den Tisch gekommen. Versprechungen sind noch keine verabredet. Außer einem ganz großen: Wir wollen gut regieren.

Und wie, bitte?

Gut regiert zu werden ist eigentlich ein demokratisches Bürgerrecht. Aber eines, das muss man zugeben, das in Berlin mit der Großen Koalition in den Hintergrund getreten war. Denn Rot-Schwarz arbeitete nicht nach dem Motto „Suchet der Stadt Bestes“, sondern nach dem Prinzip: „Im Bündnis ist der Bündnispartner mein Hauptfeind.“ Die Liste der Fehlleistungen, die sich daraus ergaben, ist lang und stadtbekannt.

Wenn Rot-Rot- Grün jetzt antritt, das besser zu machen, sind die Voraussetzungen dafür erst einmal – so viel Realismus muss sein – nicht nur günstig. R2G hat mit etwa 52 Prozent der abgegebenen Stimmen kein extrem starkes Mandat; in einem Drittel der Bezirke erhielt diese Koalition nur eine Minderheit der Stimmen. Die Berliner SPD hat nicht nur für sich ein historisches Negativergebnis eingefahren, der künftige Regierungschef wird zum ersten Mal seit 1953 in einem Bundesland über weniger Sitze als seine beiden Koalitionspartner verfügen. Die Linkspartei, die von den drei Partnern am ehesten ihre Wahlziele erreichte, laboriert noch immer am Trauma der Knechtung durch die SPD in der rot-roten Koalitionsdekade nach 2001. Und wir Bündnisgrüne müssen nach so vielen Jahren als Oppositionspartei das Regieren in Berlin wieder lernen. Mit der AfD ist eine Partei im Abgeordnetenhaus stark vertreten, die nicht auf den Wettbewerb unter Demokraten setzt, sondern der Demokratie das Völkische entgegen setzen möchte.

Es geht ums Zuhören

Das Vertrauen der Bevölkerung in Politik ist gering: 69 Prozent der Berlinerinnen und Berliner beklagen laut SPD-Wahlanalyse pauschal eine „unfähige Verwaltung“, über 60 Prozent sprechen den Parteien jegliche Problemlösungskompetenz ab. Und in den vielen Jahren notwendiger Haushaltskonsolidierung hat sich in Berlin ein gigantischer Investitionsstau aufgebaut. Gemessen an dieser verborgenen Form der Verschuldung sind die finanziellen Spielräume der „wachsenden Stadt“ vergleichsweise überschaubar.

Wäre man Defätist, würde man diese schwierigen Umstände einfach nur schrecklich finden. Aber gerade weil es keinen Grund zur Überheblichkeit und Selbstzufriedenheit gibt, bei keinem der künftigen Koalitionspartner, gerade weil das Selbstverständliche gegen die Verhältnisse erst in Stellung gebracht werden muss, ist es notwendig. Und alle drei Parteien scheinen das begriffen zu haben. Mit dem hehren Ziel, gut zu regieren, müssen wir dafür Sorge tragen, dass es wieder voran geht, dass Bürgerinnen und Bürger sich ernst genommen fühlen, dass das Vertrauen in die Demokratie wachsen kann. Durchwursteln ist keine Option. Wer einem Weiter-so das Wort redet, fährt gegen die Wand. Mit fröhlichen Sprüchen kann niemand übertünchen, dass Kita- und Schulplätze Mangelware sind oder das Bürgeramt nicht funktioniert. Gefragt ist redliches politisches Handwerk. Dabei sollten wir die erforderliche Demut nicht mit Ängstlichkeit verwechseln und Realismus nicht mit mangelndem Ehrgeiz.

Reinhard Bütikofer, 63, war lange Bundeschef der Grünen und leitet nun die Europäischen Grünen.
Reinhard Bütikofer, 63, war lange Bundeschef der Grünen und leitet nun die Europäischen Grünen.

© picture alliance / dpa

Damit das gute Regieren klappen kann, muss die neue Koalition nach innen, innerhalb des Dreier-Bündnisses, wie auch in die Stadt hinein einige Dinge richtig machen, die wir, wie es aussieht, nur gemeinsam auf die Schiene setzen können, wenn wir das sehr bewusst tun.

Im Zusammenspiel mit der Stadtgesellschaft geht es vor allem ums Zuhören. Das braucht Auseinandersetzung und Kooperation mit Berlins vielfältiger Akteurslandschaft. Rot-Rot-Grün wird die Stadt nicht nur unter Bezug auf die je eigenen Milieus gut regieren können. Wir werden auch dorthin gehen müssen, wo es uns als Parteien jeweils nicht so leichtfällt. Dazu braucht es einen Aufbruch zugunsten einer Kultur des Dialogs und der Debatte. Bürgerbeteiligung und echte Mitsprache sind anstrengend und selten konfliktfrei. Aber warum sollte der Senat nicht den Bezirken anbieten, dass Senatsmitglieder dort jeweils zweimal jährlich für die aus den USA bekannten „Townhall“-Treffen zur Verfügung stehen, bei denen öffentlich, nicht in irgendeiner Sprechstunde, angesprochen werden kann, was den Leuten auf den Nägeln brennt?

Überordnung und Unterordnung wird nicht klappen

Entscheidend für den Erfolg einer rot-rot-grünen Koalition wird sein, dass sie nicht nur verabredet, was sie leisten möchte, sondern auch, was sie bis wann leisten wird. Sie muss dafür viele Brücken bauen: zwischen Modernisierung und Tradition, zwischen Weltoffenheit und Sicherheit, zwischen Innenstadt und Außenbezirken und zwischen Latte Macchiato und Handwerk. R2G muss daran arbeiten, in Berlin wieder einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem, was heute auseinanderzufallen droht. Die neue Koalition muss den Berlinerinnen und Berliner Mut machen und systematisch denjenigen Räume eröffnen, die anpacken und Dinge verändern wollen. Genau dafür ist die Unterschiedlichkeit der Koalitionspartner eine Chance.

Berlin wird größer und kann gleichzeitig gerechter, sauberer, leiser und inklusiver werden. Mehr Jobs, auch in der Industrie, gehen zusammen mit ökologischer und digitaler Innovation. Neue Wohnungen gehen zusammen mit weniger Energieverbrauch und also weniger Schadstoffbelastung. Bessere Mobilität gibt es auch mit weniger Angewiesensein auf Autos, natürlich mit modernem und kostengünstigem ÖPNV, mit mehr Komfort und Sicherheit für Radfahrer und Fußgänger.

Nach innen muss die Koalition so regieren, dass alle drei Partner politisch erfolgreich sein können. Dazu reicht es nicht, dass Linke und Bündnisgrüne eine gewisse Zahl von Referenzprojekten zugestanden bekommen, die sie dann für sich vorantreiben, während eine SPD penibel darauf achtet, dass die Juniorpartner auf allen übrigen Politikfeldern auf Abstand gehalten werden. Koordinieren wird der Regierende die Koalitionsarbeit am besten, wenn er sich als primus inter pares und nicht als Chef versteht. Das Prinzip von Überordnung und Unterordnung wird nicht klappen. Genauso wenig wie Rosinenpickerei. Kooperation funktioniert nur als Geben und Nehmen. Und das beinhaltet Zumutungen für alle drei Seiten.

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