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Was jetzt? Saleh und Stöß tuscheln schon über die neue Kandidatin.

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Kolumne "Meine Heimat": Liebe SPD in Berlin, ich kandidiere!

Zoff um die Kandidatensuche in der Berliner SPD? Unsere Kolumnistin hat eine Idee: Sie stellt sich selbst auf, einfach so. Wenn das für die Wahl nötig ist, organisiert sie sich sogar noch einen Doppelnamen.

Mich hat der Ruf der Partei erwischt. Lautlos haben sie mich gerufen, quasi ein stummer Schrei, so wie bei Munch. Ganz klar, wie sie auf mich gekommen sind, ich bin gerade gut genug. Dazu kommt, dass ich eine Frau bin, einen Migrationshintergrund habe, und sollte es vor der Wahl nötig sein, organisiere ich mir noch einen Doppelnamen.

Sie fragen nach meiner Qualifikation? Moment mal, Sie wollen doch nicht ernsthaft verlangen, dass ich mich mit falschen Versprechungen und unhaltbaren Zielen profiliert habe? Ich bin ein unbeschriebenes Blatt. Dafür steht das Ak in meinem Namen. Ak bedeutet: weiß, klar; ich hätte es mir nicht besser ausdenken können.

Jetzt runzeln Sie doch nicht die Stirn. Schauen Sie, es ist ganz einfach: 95 Prozent der Aufgaben Berlins sind gesetzliche Pflichtaufgaben. Europa und der Bund geben vor, das Land führt aus und reicht an die Bezirke weiter. Den Finanzsenator behalte ich aber, der sorgt dafür, dass von den restlichen 5 Prozent bald nichts mehr übrig ist. Der muss dann den Kopf hinhalten, von wegen Schulden der nachwachsenden Generation und so, und schon bin ich fein raus. Ich würde ja gerne, aber der blöde Haushaltszwang.

Bella Figura mache ist das kleinste Problem

Für das Offizielle hängt die Kledage im Schrank. Bella Figura machen ist mein kleinstes Problem. Ich kann die Internationale auf Türkisch singen. Für die Inszenierung habe ich alles, nur die Inhalte muss ich noch basisorientiert und möglichst unreflektiert zusammenschreiben.

Schauen wir mal, gegen wen ich gewinnen muss. Die CDU hat meiner Charmeoffensive rein gar nichts entgegenzusetzen. Die Grünen wären gefährlich, solange aber Ströbele das Maximum an Lebensfreude dieser Partei repräsentiert, können die sich ihren erhobenen Zeigefinger in Tofu gießen. Die Linke hat im Kern Recht, nur die Latte für die Umsetzung liegt so hoch, dass die locker drunter durchlaufen können. Und wer sind noch mal die Piraten?

Das Ding gewinne ich locker. In der Bildung beschließe ich ein paar zeitlich befristete Laborversuche. Diejenigen, die noch wählen gehen, haben ihre Kinder schon längst auf Privatschulen verfrachtet. Und bloß nicht an der Eliteillusion des Gymnasiums rütteln. Dafür immer viel vom Bildungsaufstieg schwadronieren, aber nichts investieren, das weckt nur unnötige Hoffnungen. Ab und zu lasse ich Buschkowsky und Sarrazin von der Leine, die sichern mir die Stammtische, während ich im Willy-Brandt-Haus die multikulturelle Gesellschaft ausrufe. Die Lobbyverbände bekomme ich ruhiggestellt, indem ich beim Mindestlohn genug Ausnahmen beschließe. Meine Betroffenheit zeige ich anschließend dadurch, dass ich bei der Tafel aushelfe. Dann brauche ich noch viele Bürgerbeteiligungen, unendlich viele Beiräte und Kommissionen, damit niemand mehr so richtig für irgendwas verantwortlich ist. Die letzten produktiven Kräfte binde ich in stundenlangen Sitzungsmarathons ein.

Reif für höhere Aufgaben

Wenn ich dann noch betone, für immer in Berlin bleiben zu wollen, bin ich reif für höhere Aufgaben. Ich sage nur Bellevue. Dort recycle ich alle meine Grußreden und stelle sie unter das große Wort Gerechtigkeit. Meinen Vater mache ich zu meinem Redenschreiber, eine kleine Wiedergutmachung für die vielen Sprichwörter, die ich ihm geklaut habe. Zum Schluss adoptiere ich noch eine Wasserschildkröte und mache sie zum neuen Wappentier der Stadt. Damit wäre mein Eingang in die Geschichtsbücher gesichert.

Gebetsmühlenartig über Jahre hinweg das Gleiche aufsagen, kann ich schon seit der Schulzeit. Oder wie mein Vater sagen würde: „Altin yumurtlayan tavuk kesilmez.“ Ein Huhn, das goldene Eier legt, schlachtet man nicht.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer montags über ihre Heimat.

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