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Mit Hang zur Öffentlichkeit: Betül Ulusoy am Sonntag in der Sehitlik-Moschee.

© Bodo Straub

Kopftuch-Debatte in Berlin: Im Prinzip hat Betül Ulusoy Recht

Ganz egal, wann sich Betül Ulusoy wo beworben hat, wann sie welche E-Mail unbeantwortet ließ und mit wem sie was vereinbart hatte: Das sind Nebenkriegsschauplätze. In der Sache hat sie immer noch Recht. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Bodo Straub

Womöglich war Betül Ulusoy nicht ganz ehrlich.

Als sie vor zwei Wochen auf Facebook schrieb, dass das Bezirksamt Neukölln ihre Bewerbung um eine Referendariatsstelle erst noch prüfen müsse, weil sie ein Kopftuch trägt, wusste sie, worauf sie sich einlässt. Sie ist Bloggerin und sucht seit vielen Jahren die Öffentlichkeit, auch und gerade wegen ihres Kopftuchs. Sie wusste, dass die Geschichte Aufsehen erregt. Vermutlich bewusst intonierte sie ihren Eintrag, als sei sie bereits abgelehnt worden, ohne es so zu schreiben. Sie erreichte, was sie wollte: maximale Aufmerksamkeit und maximale Aufregung.

Womöglich hatte sie tatsächlich schon eine Zusage für eine andere Referendariatsstelle in der Senatsgesundheitsverwaltung, als sie sich im Bezirksamt Neukölln bewarb. Das zumindest hält ihr der Neuköllner CDU-Chef Falko Liecke vor.

Womöglich ist auch ihre Aussage unvollständig, sie habe am Freitag um 12.17 Uhr eine Mail vom Bezirksamt erhalten, in der ihr eine Frist bis am Freitag um 17 Uhr gesetzt wurde - das Bezirksamt sagt, es habe Ulusoy direkt nach seiner Entscheidung am Dienstag informiert. Und selbst wenn nicht - von der Entscheidung des Bezirksamts hat sie natürlich ohnehin auch über andere Kanäle erfahren.

Womöglich wollte sie also überhaupt nicht im Bezirksamt Neukölln arbeiten, sondern eine politische Forderung durchsetzen.

Und wenn schon.

Ja, Ulusoys Verhalten war "einfach unmöglich"

Zunächst einmal: Betül Ulusoy sucht die Öffentlichkeit, und dabei schießt sie gelegentlich übers Ziel hinaus. Ob ihre Geschichte nicht auch mit etwas weniger Dramatik auskäme, muss sie selbst wissen. Und wenn Liecke Recht hat und sie tatsächlich schon längst ein Referendariat bei der Senatsgesundheitsverwaltung vereinbart hatte, sie also lügen sollte, macht sie sich völlig unnötigerweise unglaubwürdig. Denn noch am Sonntag sagte sie auf Nachfrage, sie habe sich zuerst beim Bezirksamt beworben und dann bei der Gesundheitsverwaltung - Liecke zufolge war es genau andersherum. Ulusoy gibt damit dem Bezirksamt die Möglichkeit, einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen, auf dem sie vermutlich verlieren wird.

Eins ist klar: Als Arbeitnehmerin dürfte sie es seit dieser Geschichte ohnehin schwer haben, besonders, wenn sie im Staatsdienst arbeiten möchte. Aber auch sonst wird sich jeder Arbeitgeber zweimal überlegen, eine Frau mit diesem Drang zur Öffentlichkeit und zum Politisieren einzustellen. Zudem wäre es höchst unprofessionell, sollte sie tatsächlich tagelang nicht auf eine solch wichtige Mail reagiert haben; da hat Neuköllns Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) natürlich Recht, wenn sie dieses Verhalten als "einfach unmöglich" bezeichnet. Aber das alles ist Ulusoys Sache.

Denn ob sie nun schon eine andere Zusage hatte oder nicht: Zunächst einmal ist es nicht ungewöhnlich, sich auf mehrere Stellen gleichzeitig zu bewerben, auch wenn man schon eine andere Zusage hat. Ulusoy sagt, sie hätte gerne in Neukölln gearbeitet, sie sei ja Neuköllnerin, schon allein wegen des Anfahrtswegs hätte sich das für sie gelohnt. Die schriftliche Zusage für die Stelle in der Gesundheitsverwaltung habe sie erst am Dienstag erhalten. Da wäre es umso verständlicher, sich mehrgleisig zu bewerben.

Ob Ulusoy auch ohne Öffentlichkeit erreicht hätte, dass das Bezirksamt seine Linie ändert?

Aber selbst wenn nicht, selbst wenn die ganze Geschichte ein riesiger PR-Stunt war, in der Sache hat sich nichts geändert: Dann hat Betül Ulusoy das Bezirksamt Neukölln ganz bewusst vorgeführt, weil es sich hat vorführen lassen. Sein Vorgehen entsprach nicht der Vorgabe des Berliner Kammergerichts, das musste das Bezirksamt einräumen, sein Sonderweg war nicht regelkonform. Nur darum ging es und geht es. In der Sache hat Betül Ulusoy immer noch Recht, ganz egal, wann sie sich wo mit welcher Intention beworben hat. Es ging nicht darum, "den Staat in die Knie zu zwingen", wie Liecke sagt, sondern darum, dass das Bezirksamt Neukölln bei seinen Regeln für Rechtsreferendarinnen mit Kopftuch geltendes Recht anwendet.

Ob Ulusoy das auch ohne öffentliche Aufmerksamkeit erreicht hätte, ist fraglich.

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