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Renate Künast: Die Wahlberlinerin

Renate Künast will Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden – jener Stadt, die seit 30 Jahren ihre Heimat ist. Was treibt sie an?

Im Grunde ist ihr Gorleben viel wichtiger als Berlin. In den Barrikaden vor den wendländischen Salzstöcken liegt der archimedische Punkt, von dem aus Renate Künast schon vor 30 Jahren die Welt der monopolkapitalistischen Energiekonzerne aushebeln wollte, dort begann der Kampf der Grünen um die Windmühlen des Landes. Diesen Kampf kämpft die Fraktionsvorsitzende nun erneut. Sie genießt es, im Bundestag der Regierung polternd einen „heißen Herbst“ anzukündigen – und findet deshalb die Aussicht, demnächst in Berlin als Regierende Bürgermeisterin den Verwaltungsvollzug nach Kassenlage beaufsichtigen zu müssen, wohl nur mäßig attraktiv.

Wenn daraus etwas wird. Denn Umfragen sind keine Wahlen, und kein Gesetz verlangt, dass die stärkste Partei im Abgeordnetenhaus auch den Regierungschef stellt. Selbst glühendste Anhänger rot-grüner Bündnisse können sich kaum vorstellen, dass Klaus Wowereit, beispielsweise, dereinst unter der zur Dominanz neigenden Grünen als Wirtschaftssenator den Li-La-Laune-Bär spielen würde. Klappt es aber nicht mit dem Spitzenjob, verschwindet sie zweifelsfrei wieder in die Bundespolitik zum Kampf ums große Ganze – die klare Achillesferse ihres bevorstehenden Wahlkampfes.

Doch es ging wohl nicht anders. Die 54-jährige Renate Künast hat sich aus Angst vor Heckenschützen lange geziert, zu diesem Thema überhaupt Stellung zu nehmen, installierte aber zwei Vertraute als Wahlkampfspezialisten in Berlin und war letzten Sonntag mit ihrem Berliner Fraktionschef Volker Ratzmann im Zoo – und das sicher nicht nur, um nachzuschauen, ob das Fell ihres Patenbären Fargo auch schön glänzt. Die Entscheidung ist gefallen, das ist klar, spätestens, seit Vertraute überall herumflüstern, bei einem Mitgliederabend am 5. November – Tagesordnung: keine – werde sie eine wichtige Rede halten. In dieser Rede wird es um vieles gehen, vor allem aber um die Person der Spitzenkandidatin für die Berliner Wahl. Künasts Position ist so stark, dass nicht einmal leiseste Spekulationen über eine Alternative zu hören sind.

Es gibt quer durchs Parteienspektrum praktisch niemanden, der ihr die Qualifikation für dieses Amt absprechen würde. Renate Künast kann Regierung, das hat sich 2001 gezeigt, als sie zur eigenen Verblüffung ausgerechnet ins Amt der Landwirtschaftsministerin geschubst wurde und dort unverzüglich den ebenso schweren wie politisch attraktiven Kampf mit der Agrarlobby aufnahm, schnell, zupackend, gern auch dominant, wie es ihre Art ist. Als sie zusammen mit dem Ober-Bauern Gerd Sonnleitner im gleichen Jahr die Grüne Woche in Berlin eröffnete, ahnte der wohl, was auf ihn zukommen würde: Die Neue stand voll im Stoff und stahl ihm routiniert die Schau.

Diesem Amt verdankt sie eine enorme Popularität, es hat ihr viel mehr Aufmerksamkeit beschert als das spätere Opponieren. Und selbst jene Wähler, die Bioprodukte teuer und inhaltlich fragwürdig finden, die „Genmais“ ertragen und Künasts Walten im Gammelfleischskandal glücklos fanden, haben daraus eine Botschaft mitgenommen: Hier ist eine Politikerin, integer, die vor großen Gegnern nicht zurückschreckt.

Die gelernte Rechtsanwältin ist fraglos viel zu gewieft, um sich mit Bonusmeilen, fragwürdigen Dienstwagenabrechungen und ähnlichen Politikerfallen fangen zu lassen – aber es ist nicht nur das. Denn derlei Statussymbole sind ihr einfach wesensfremd, sie kocht lieber für Freunde Königsberger Klopse und bäckt Aprikosen-Ingwer-Kuchen, als sich in mallorquinische Villen einladen zu lassen. Dass auf der anderen Seite des Parteienspektrums hochglanzpolierter Adel aufmarschiert, dürfte ihr keine Sorge bereiten, denn ihre Spezialität ist die stilistische Nähe zu jenen, die sich von ihr vertreten fühlen. Sie scheitert lieber augenzwinkernd in kleinen Dingen, als sich plakativ mit der Aura des Perfekten zu umgeben.

Beispielsweise ist sie nicht modemutiger als Angela Merkel, panzert sich in ähnlichen neutralen Hosenanzügen und betont, sie habe sich früh eine „Sicherheitskühle“ angelegt, um das Geschlecht zu kaschieren: „Als Frau muss man immer noch härter sein, als man es eigentlich will.“ Der Begriff „burschikos“ hängt ihr an wie der Parteifreundin Claudia Roth die Rührseligkeit. Doch sie geht mit dem Thema spielerisch um und lässt sich nicht zur Öko-Else stempeln. Kürzlich zog sie beispielsweise mit einer Zeitschrift namens „Schrot & Korn“ in einen politisch korrekten Berliner Modeladen und probierte dort fröhlich wackelnd violette High Heels an, die sie dann natürlich, „wie kann man damit nur laufen?“, wieder ins Regal stellte. Mitgenommen wurde Bequemeres.

Gute Voraussetzung für einen Berliner Wahlkampf: Nicht wenige Bewohner der Hauptstadt dürften Renate Künast für eine Eingeborene halten. Das schnelle Mundwerk, die Schlagfertigkeit, die Virtuosität im gleichzeitigen Anfertigen mehrerer Gedankenansätze bei allzeit klarer Ansage – all das gilt gemeinhin als berlintypisch. Dabei stammt die Kandidatin aus Recklinghausen. Sie ist dort in einfachen Verhältnissen aufgewachsen, musste mit dem Vater sogar um den Zugang zur Realschule ringen, sattelte eigenmächtig die Fachoberschule drauf und lernte schließlich in Düsseldorf Sozialpädagogik.

Mit 21 suchte sie sich den schwersten Job aus, der gerade verfügbar war: Sozialarbeiterin in Berlin-Tegel, Justizvollzug. Dort lernte sie zwei Jahre lang, dass die Wand meist härter ist als der Kopf und begann schließlich ein Jurastudium. Der konspirative Wirrkopf-Kommunismus der K-Gruppen blieb ihr fremd, die SPD schien ihr zu etabliert. So ließ sie sich von der Aufbruchstimmung der Berliner „Alternativen Liste“ anstecken, die später in den Grünen aufging. Diese auf charmante Art zwischen links, grün und anarchisch pendelnde Nicht-Partei warf sich mit aller Kraft in den Gorlebenkampf, und wer ganz dabei sein wollte, unterschrieb einen Pass der „Freien Republik Wendland“, mit dem er sich von der Bundesrepublik lossagte. Auch Renate Künast tat das, „eine andere Zeit“, sagt sie heute.

Ihr Mentor in dieser Zeit wurde der Berliner Rechtsanwalt und heutige Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, in dessen Kanzlei sie nach dem Staatsexamen auch eine Anstellung fand. Die AL wurde zum Landesverband der Grünen, und Renate Künast zur ersten Fraktionsvorsitzenden in Regierungsverantwortung, als Walter Momper von der SPD kurz nach der Wende den rot-grünen Senat gründete, ein schnelllebiges Projekt mit kurzer Verfallszeit. Künast gehörte zu den Urhebern der neuen Landesverfassung, lernte Oppositionsführung zur Zeit der bleiernen Diepgen-Dämmerung, handelte 1998 auf Bundesebene maßgeblich den Koalitionsvertrag mit der SPD aus.

Als Joschka Fischer 2000 von seinen Parteiämtern zurücktrat, machte er damit den Weg für seine Wunschkandidaten Fritz Kuhn und Renate Künast frei, die sich den Bundesvorsitz fortan teilten – ein Sprung nach Maß für Künast, die keinen Spaß an Intrigen hat und niemandem in den Rücken fällt, aber blitzschnell nachrückt, wenn sich eine Lücke auftut. Mit der Bundestagswahl 2005 endete ihre Amtszeit als Ministerin; seitdem ist sie mit Jürgen Trittin Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag.

Berlin ist für sie selbstverständliche Heimat geworden. Hier lebt sie seit 30 Jahren, hier machte sie Schlagzeilen durch eine parteiübergreifende Liaison mit dem SPD-Spitzenpolitiker Ditmar Staffelt, lebt heute mit dem bekannten Strafverteidiger Rüdiger Portius zusammen in einer Charlottenburger Dachwohnung, zwischen Kantstraße und Schloss.

Homestorys gibt es nicht, die Tür bleibt zu. Doch auch ohne Mithilfe der Buntpresse hat sie es in der Stadt zu erstaunlicher Bekanntheit gebracht. Die Berliner Grünen könnten es nach aktuellen Umfragen derzeit auf 28 Prozent der Stimmen bringen, vier Prozentpunkte mehr als die SPD. Und falls es eine Direktwahl des Regierenden Bürgermeisters gäbe, würden sich 43 Prozent der Berliner für sie entscheiden und nur 37 Prozent für Klaus Wowereit. Beide können offenbar ganz gut miteinander: Wowereit begrüßte sie kürzlich zu seinem Hoffest mit den Worten „Da bist du ja endlich“, doch dann gingen beide ihrer Wege.

Was daraus wird, ist offen. Selbst wenn die heutigen Umfragen das künftige Wahlergebnis präzise vorhersagen, ist damit noch keine Regierungskoalition absehbar. Die SPD mag nicht den Juniorpartner einer Grünen geben, Renate Künast ihrerseits legt sich ebenfalls nicht ausdrücklich auf Grün-Rot fest: Kürzlich kündigte sie etwas gewunden an, sie werde „keinen Wahlkampf machen, der dazu führt, dass die CDU als denkbarer Partner von vornherein ausfällt“. Jamaika, das einstige Lieblingsthema des CDU-Kandidaten Friedbert Pflüger, mit dem Künast ganz gut zurechtkommt, gilt als passé, und zu den Linken lassen die Grünen bekanntermaßen keinerlei Neigung erkennen.

Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass der Aufgalopp die Kandidatin am Ende wieder in die Bundespolitik zurückführt. Sie hat schon öfter verlauten lassen, dass es Zeit für eine Bundespräsidentin sei, würde allerdings nie ihren eigenen Namen öffentlich in Erwägung ziehen. Vorerst zieht sie lieber noch einmal auf die Barrikaden vor Gorleben. „Es ist immer noch da“, sagt sie, „dieses wunderbare Gefühl in der Menge.“

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