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Fingerzeig. Der neue FDP-Landesvorsitzende Martin Lindner (r.) bedankte sich am Freitag nach seiner Wahl auf dem Landesparteitag bei seinem Vorgänger Christoph Meyer mit einer Flasche Rotwein. Die Berliner FDP trifft sich zu einem zweitägigen Parteitag.

© dpa

Martin Lindner: Der neue FDP-Landeschef kann auch Pathos

Martin Lindner wurde am Freitagabend mit klarem Ergebnis zum Landesvorsitzenden der FDP gewählt Vorgänger Christoph Meyer gratulierte. Der neue Mann an der Spitze will die Liberalen aus dem Tal führen.

Das nennt man Pflichtbewusstsein: Die FDP, bekannt für ihre großen Parteitage mit rund 350 Delegierten, konnte am Freitagabend immerhin 349 Parteimitglieder zum Landesparteitag begrüßen. Dabei war es der erste nach der brutalen Niederlage bei der Abgeordnetenhauswahl im vergangenen September, die die liberale Partei in Berlin in eine kollektive Depression gestürzt hatte. Sie wollen da raus, und sie wählten am Abend Martin Lindner, 47 Jahre alt, Jurist, Bundestagsabgeordneter und viele Jahre Chef der Abgeordnetenhaus-Fraktion zum neuen Landesvorsitzenden – mit klarem Ergebnis.

Bei der Abgeordnetenhauswahl hatte es weniger Zuspruch gegeben, von den Berlinern für die Liberalen. Ganze 1,8 Prozent der Stimmen erhielten sie. „Eine verheerende Wahlniederlage“ – so sagte der Noch-Landesvorsitzende Christoph Meyer am Freitagabend. Der ehemalige Fraktionschef und Spitzenkandidat resümierte, immerhin sei man in den vergangenen Monaten gut - sprich: streitfrei - mit der Niederlage umgegangen. Nun beginne die Zeit der „außerparlamentarischen Opposition“ gegen vier linke beziehungsweise sozialistische Parteien.

Meyer, der im Wahlkampf unter dem antiliberalen Hochmut von CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel gelitten hatte, kritisierte nun diesen am Freitagabend: Es sei erstaunlich, wie schnell die CDU auf einen sozialdemokratischen Kurs gegangen sei. Der Generalsekretär der CDU Berlin, Kai Wegner, gratulierte Lindner am Abend unverzüglich zum Amt – und zum „mutigen Schritt.“ Denn mit dem Vorsitz sei schließlich „die schier unlösbare Aufgabe verbunden, die Partei aus ihrer Bedeutungslosigkeit herauszuführen“.

Meyer warnte derweil seine Parteifreunde zum Abschied vor zwei Tendenzen: der zum Personalstreit – da erinnerte er die Liberalen an die streitintensiven 90er Jahre. Genauso gefährlich sei die Neigung, in den kommenden fünf Jahren alle Verantwortung für mangelnde Erfolge der Bundespartei zuzuschieben.

Die Mehrheit der Redner blickt optimistisch in die Zukunft.

Doch die Mehrheit der Redner warf den Blick nach vorn. Ein Mann aus Mitte forderte: „Raus in den Kiez, auf die Straße, in die Vereine“, das müssten die Liberalen jetzt leisten. Der Vorsitzende der Julis, Justus Leonhardt, blickte sozusagen retrospektiv nach vorne, indem er Christoph Meyer dankte und sagte, dieser habe „im Wahlkampf an Profil gewonnen – und dazu stehe ich auch heute“. Sollte bedeuten: die Julis gucken nach vorn. „Mit uns können Sie jederzeit rechnen.“

Mit „Sie“ waren nicht nur die Delegierten gemeint, „Sie“ galt dem Mann, der der FDP in der außerparlamentarischen Opposition Stimme und Sound gegen soll: Martin Lindner. Der frühere Chefpolemiker aus dem Preußischen Landtag, der heutige stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP im Bundestag soll es reißen –einen Gegenkandidaten gab es nicht. Er soll und will, das ließ er am Freitagabend deutlich erkennen, die Berliner FDP am Leben erhalten – und sogar bei politischer Vitalität. Neue Zusammenarbeit, Kampagnenfähigkeit: Das versprach er seinem applausfreudigen Publikum, einen „Verzicht auf Polemik“ versprach er „zumindest gelegentlich“: Lindner weiß doch, wofür er steht in der Öffentlichkeit, er spielt und flirtet mit dem Motto „Viel Feind, viel Ehr“.

Er hat da einen Ruf zu verlieren. Dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit tropfe die Lustlosigkeit aus den Augen. Die CDU sei vom Regierendürfen so überrascht, dass sie keine bürgerlichen Inhalten in die Koalitionsvereinbarung einbringen konnte, weil sie Personal suchte – so redete Lindner alles herunter, was im Abgeordnetenhaus vertreten ist und die FDP hoch: Kampagnenfähigkeit auf parlamentarischem Niveau, das müsse man leisten. Und Lindner markierte dabei durchaus nicht den Hardcore-Wirtschaftsliberalen, der anderes nicht kann. Kleines Beispiel: Vorschule Bildung, eins der Standardthemen der Berliner FDP im Wahlkampf, das sei eine Gerechtigkeitsthema. Denn ohne Bildung seien die Kindern von Migranten „ohne Chance“, und das sei „unsoziale Politik“. Großes Beispiel: Die Regulierung der Finanzmärkte stehe an,allerdings so „intelligent“, dass nicht alles in die City von London abwandere. Lokal, global - Lindner ist auf allen Ebenen themenfest, und er redet über alles so deutlich, klar und laut, das man ihn hört.

Freiheit, Einigkeit, Geschlossenheit: Lindner kann auch Pathos. Die Delegierten klatschten heftig, sie hatten keine Fragen. Leute, die Lindner durchaus mit Skepsis sehen, hatten ihn vor der Wahl auf 85 Prozent der Stimmen taxiert. 78 Prozent bekam er. Der Anfang der außerparlamentarischen Opposition ist gemacht.

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