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Leben mit Opus Dei: Der Mount Everest des Glaubens

Innerhalb der katholischen Kirche gilt das Opus Dei als reaktionäres Schreckgespenst. Und außerhalb als Geheimbund. Es fehle an Transparenz, und der politische Einfluss sei groß. Doch nun öffnet sich die Organisation, die ihren Mitgliedern viel abverlangt.

Die Villa im Berliner Stadtteil Grunewald ist nicht zu übersehen. Sie steht an einer Kreuzung, die Hecke außenrum ist niedrig geschnitten. Ein Messingschild an der Tür weist den Weg zum „Informationsbüro der Prälatur Opus Dei in Deutschland“. Ein paar Stufen hoch und da ist auch schon Horst Hennert, der Hausherr, im Foyer. Er hält den Kopf leicht schief und zieht die Schultern nach oben. Freundliches Lächeln. Er ist ein wichtiger Strippenzieher der Organisation und wirkt fast schüchtern. Es ist ein weitläufiges Haus.

Vor zehn Jahren ist Hennert nach Berlin gekommen, um mit einer Handvoll Eltern in Potsdam eine Jungenschule zu gründen. Brandenburgs Schulministerium wollte das verhindern. Opus Dei gilt Kritikern als dubioser erzkatholischer Geheimbund. Hennert hat jahrelang gekämpft – und im Januar vor dem Bundesverwaltungsgericht gewonnen. Jetzt könnte es losgehen. Doch das Geld fehlt, sagt Hennert. Im Moment suchen sie ein Grundstück. Wenn sie es gefunden haben, suchen sie Spender.

Horst Hennert ist 69 Jahre alt. Wer sich dem Opus Dei verschreibt, kennt keinen Ruhestand. Sondern der „heiligt“ die Arbeit. Der tut alles, was er tut, für Gott: Spenden eintreiben, Kinder erziehen, Müll runterbringen oder eben Besucher durch ein Haus in Grunewald führen.

Darum geht es also. Der Mensch kommt Gott nicht nur in der heiligen Messe nahe, sondern auch im Alltag, das war einer der zentralen Gedanken des spanischen Priesters Josemária Escrivá de Balaguer. 1928 hat er eine neue Gemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche begründet. Er nannte sie Opus Dei, „Werk Gottes“.

Das Gewöhnliche wird zum Gottesdienst, weshalb Opus-Dei-Mitglieder versuchen, in allem, was sie tun, besonders gut und erfolgreich zu sein. Aussteiger Georg Döller wird eine Woche später erzählen, dass er irgendwann total erschöpft gewesen sei.

„Mit der Entscheidung, beim Opus Dei mitzumachen, ist es so, wie wenn man sich vornimmt, den Mount Everest zu besteigen. Dass das nicht einfach ist, das ist klar“, sagt Hennert ruhig und mit rheinländischer Färbung in der Stimme.

Er führt vom Foyer in eine Kapelle und in ein großes Wohnzimmer, das in eine breite Fensterfront mündet. Sie ist von drei Seiten einsehbar. „Wir wollten die Hecke höher wachsen lassen, damit sie den Straßenlärm besser abhält“, sagt Hennert. „Aber dann heißt es wieder: Opus Dei will vertuschen. Also besser nicht.“

Feines Parkett, hölzerne Kassettendecke, schwarzer Flügel, „das Haus haben wir vor sieben Jahren vom Landessportbund gekauft, war billiger als in Kreuzberg zur Miete“, sagt Hennert, um Gedanken an den angeblichen Reichtum des Opus Dei gleich zu verscheuchen. Hennert wohnt hier auch. Dem wuchtigen Sofa hat das Leben Risse ins Leder gezogen, in Vitrinen steht Nippes, das Hochherrschaftliche ist recht verblichen. Zu den Vorträgen und Gesprächszirkeln kommt katholisches Bürgertum ins Haus, Aufsteiger, vorwiegend ältere Leute, konservativ, bieder.

Numerarier Horst Hennert lebt in Sühne und Enthaltsamkeit.

An diesem Freitagnachmittag ist Hennert alleine. Seine Mitbewohner arbeiten, einer ist Augenarzt, einer Richter, Filmkritiker, Professor an der Uni. Hennert widmet sich hauptamtlich dem „Werk“. Weltweit hat das Opus Dei nach eigenen Angaben in über 80 Ländern 87 000 Mitglieder. Zwei Prozent sind Priester, zwanzig Prozent „Numerarier“, 80 Prozent „Supernumerarier“. Die, die sich „Numerarier“ nennen, leben enthaltsam und nach Geschlechtern getrennt in Wohngemeinschaften zusammen. Die „Supernumerarier“ haben Familie. Die Gemeinschaft unterhält keine eigenen Kirchen, die Priester halten Gottesdienste in katholischen Pfarreien mit besonders konservativer Ausrichtung.

Hennert und seine Mitbewohner sind Numerarier. In ihrer Männer-WG in der Grunewalder Villa hat jeder in der oberen Etage ein karges, kleines Zimmer. Privatleben gibt es so gut wie nicht, das persönliche Einkommen fließt in die Gemeinschaftskasse. Davon werden Aufgaben des „Werkes“ bezahlt, zum Beispiel der Jugendklub, der sich im Keller trifft, und auch drei Frauen, die ebenfalls Mitglieder im Werk sind und den Männern den Haushalt machen.

An einem Tisch vor den Wohnzimmerregalen dampft Kaffee. Hennert setzt sich und erzählt, wie er in den 60er Jahren zum Opus Dei kam und in Bonn Deutsch und Religion studierte. Seine Mitstudenten fanden die Wahrheit bei Marx und Mao, er entdeckte sie in der Strenge der katholischen Lehre. Hennert leitete damals einen Jugendklub in Bonn. Marx hielt er für brandgefährlich, auch Brecht. Hätte er den Jugendlichen damals nicht zu lesen gegeben. Später führte Hennert für Opus Dei ein Studentenwohnheim in Köln und war Geschäftsführer eines Mädchengymnasiums in Jülich.

Viele Marxisten und Maoisten sind von ihrem Glauben abgefallen, Hennert ist dem Rosenkranz treu geblieben. Heute kämpft er gegen den „Relativismus“. Er möchte Kinder vor einer Alles-ist-möglich- und Alles-ist-egal-Mentalität schützen, sie motivieren, nach der Wahrheit zu suchen.

In den Regalen stehen Reiseführer, Bildbände, Romane und Werke von Escrivá. Man muss nicht lange suchen, um auf Reizwörter wie Gehorsam, Schmerz oder Abtötung zu stoßen. „Gesegnet sei der Schmerz“, heißt es etwa in der Aphorismensammlung „Der Weg“ unter Nummer 208. Numerarier wie Hennert sind gehalten, täglich zwei Stunden eine Stachelkette um den Oberschenkel zu tragen. Einmal die Woche sollen sie sich mit einer Geißel aus Kordeln so lange schlagen wie es braucht, um ein Vaterunser aufzusagen.

Der Bußgürtel sei keine unumstößliche Pflicht, sagt Hennert. Drei Stunden lang hat er ruhig und geduldig alle Fragen beantwortet. Jetzt knetet er die Finger. Er ist genervt. Der eine trage den Bußgürtel, sagt er, der andere nicht. „Es geht darum, nicht nach Lust und Laune zu leben, sich nicht gehen zu lassen.“ Man bringe dadurch ein Opfer für Gott. Es sei auch eine Art Mitleiden mit Jesus Christus, der am Kreuz Qualen ausgehalten habe. „Beim Joggen“, sagt er, „darfste dich quälen, in der Sauna geißeln, aber wenn ich das für Gott tue, soll es pervers sein?“ Viel schwieriger als die körperliche Geißelung sei es, freundlich zu bleiben, wenn man zum hundertsten Mal nach dem Bußgürtel gefragt wird.

Innerkirchlich gilt das Opus Dei als reaktionäres Schreckgespenst. Kardinäle berichten, dass das Werk unter ihrem Förderer Papst Johannes Paul II. im Vatikan zahlreiche Schaltstellen besetzte, die zuvor Jesuiten innehatten. Seitdem andere Gruppierungen wie die Piusbruderschaft das Opus Dei an Radikalität übertreffen, verblasst das Feindbild. Gleichzeitig beobachten Kirchenexperten, dass sich das Opus Dei öffnet, seine Verbindungen zu Schulen, Studentenwohnheimen und Universitäten transparenter macht. Mit Funktionären zu sprechen ist heute kein Problem mehr. Gesellschaftlicher Einfluss wird dem Werk in Spanien und Lateinamerika zugemessen, dort leben die meisten Anhänger.

In Deutschland hat das Opus Dei 600 Mitglieder, davon sind 25 Priester. Kernland ist das katholische Rheinland. Hier sitzt die Deutschland-Zentrale, hier gab und gibt es mit den Kölner Bischöfen mächtige Unterstützer und etliche Tagungshäuser, Studentenwohnheime und Ausbildungsstätten, die der Gemeinschaft nahestehen, sowie ein Mädchengymnasium.

Aussteiger Georg Döller: "Es geht darum, dass man gefügig ist."

Kein Wunder also, dass Georg Döller vor 41 Jahren ausgerechnet hier der Organisation begegnete. Seine Eltern suchten was Katholisches, so landete er in einem Jugendklub des Opus Dei. Ausflüge, Abenteuer, alles nur für Jungs – toll sei das gewesen. Ob er mal zur Messe kommen wolle, zur Besinnungsstunde, fragte ihn ein Student beiläufig. Er sei für Religion empfänglich, sagt Döller, Opus Dei hatte es leicht bei ihm. Auch das Gefühl, bei etwas Besonderem mitzumachen, tat ihm gut, in der Schule war er ein Einzelgänger. Auf einer Rom-Fahrt sei er gedrängt worden, den Aufnahmebrief zu schreiben. Er war 15.

„Gehorcht, wie ein Werkzeug in der Hand des Künstlers gehorcht, das nicht danach fragt, warum es dies oder jenes tut“, heißt es im „Weg“, Nr. 617.

„Es geht darum“, sagt Döller heute, „dass man gefügig ist, dass man alles tut, was von oben vorgegeben wird, und das kritiklos.“ Damals fand er das nicht schlimm, war stolz dazuzugehören.

Döller vermisste auch nichts, Partys, Alkohol, Mädchen waren eh nicht so sein Ding. Mit 21 legte er das ewige Gelübde als Numerarier ab. Er studierte noch, da holten sie ihn in die Führungsriege.

Er hatte jetzt Kontakte in alle Welt und war beeindruckt. „Wissen Sie, ich komme aus relativ schlichten Verhältnissen.“ Er organisierte die Ausbildung der Numerarier, verwaltete die Spendengelder, dazu das tägliche Gebetsprogramm und das Studium. Nach einem Jahr war er „total erschöpft und erledigt“.

Dahinter stecke Methode, vermutet Döller: „Du bist permanent unausgeschlafen und wirst ständig auf Trab gehalten, damit keine Zeit zum Nachdenken bleibt.“

Nach dem Zusammenbruch fing er an, die Dinge zu hinterfragen, vieles nervte ihn auf einmal. Er spricht von permanenter Kontrolle, von wöchentlichen Aussprachen beim „Geistlichen Leiter“, von wöchentlichen Beichten beim Priester, Schuldbekenntnissen im Kreis der Mitbrüder. Nach einem weiteren Jahr ging er.

Lange plagten ihn Schuldgefühle, sagt Döller. Er fragte sich, ob er Gott verraten habe. Im Nachhinein habe er gemerkt, wie sehr er „in seiner Persönlichkeitsentwicklung gesteuert“ worden sei.

Jetzt ist Döller 50 und Lehrer an einem Gymnasium. Wenn etwas schieflaufe im Leben, frage er sich manchmal heute noch, ob das Gottes Strafe sei.

Veronika Hannes kam über ein Studentenwohnheim zu Opus-Dei.

Was Georg Döller zu viel und zu eng wurde, ist für Veronika Hannes, 25, Überlebenstechnik in einem anstrengenden Alltag mit zwei kleinen Kindern. Sie ist „Supernumerarierin“, gehört zur Mehrheit der Mitglieder, die Familie haben. An diesem Dienstag läuft die junge Frau in einem Reihenhaus in Düren durchs Wohnzimmer und beruhigt den elf Wochen alten Linus auf ihrem Arm. Sie trägt Jeansrock, hat die Fingernägel lackiert, an einer Hand steckt der Ehering, an der anderen funkelt ein Strassklunker. Sie wirkt kein bisschen graumäusig oder unterdrückt, wie man sich Opus-Dei-Frauen vielleicht vorstellt. Veronika Hannes erzählt offen und selbstbewusst. Nur als sie über die „Frömmigkeitsübungen“ zu sprechen beginnt, wird sie rot. „Die Leute sind immer geschockt, wenn ich das aufzähle“, sagt sie und lacht den kurzen Anflug von Scham einfach weg.

Also, die Übungen. Der Tag beginnt damit, dass sie ihn Gott widmet mit einem kurzem „Serviam“, „ich diene“. Über den Tag folgen: zweimal eine halbe Stunde im Gebet mit Gott Zwiesprache halten über alles, was sie beschäftigt; den Rosenkranz beten und um zwölf Uhr den „Engel des Herrn“, in die Messe gehen, in einem geistlichen Buch lesen und im Evangelium, abends „Gewissenserforschung“, also überlegen, wie der Tag war, wo die Baustellen sind. Dazwischen kurze „Stoßgebete“.

Der Tag mit den Kindern ist chaotisch, die Messe besucht sie, wenn’s grade passt, beten geht auch beim Stillen. Der Draht zu Gott hilft ihr, innezuhalten, Kraft zu schöpfen. Der Gedanke, dass sie die tägliche Arbeit nicht nur für sich macht, sondern auch für den Herrn, lässt sie ruhiger und geduldiger sein.

Einmal die Woche geht sie zur Beichte. Alle Fehler vor Gott bringen und neu beginnen, das sei eine „super Sache“, sagt Veronika Hannes. Auch die regelmäßigen Gespräche mit dem „geistlichen Leiter“, die Georg Döller am Ende so verhasst waren, sind für die junge Mutter eine Hilfe.

Veronika Hannes spricht freilich lieber von ihrer „Begleiterin“ statt von einer „Leiterin“. Sie betont, dass es dabei um rein geistliche Themen gehe, also um ihr Verhältnis zu Gott.

Ihr Mann, zwei Jahre älter, Arzt, hat mit Kirche nicht viel am Hut. Er unterstütze sie aber auf ihrem Weg, sagt sie. Sie hat Spanisch und Religion studiert auf Lehramt, kurz vor dem Referendariat wurde sie schwanger. Es drängt sie nicht, in den Beruf einzusteigen, mit den Kindern zu Hause zu sein macht ihr Spaß. Auch das ist eine gute Voraussetzung, um Supernumerarierin beim Opus Dei zu sein.

Ehe und Familie werden hier nicht nur verbal hochgehalten, sondern strikt nach der katholischen Sexualmoral gelebt. Verhütungsmittel sind ebenso tabu wie Sex vor der Ehe.

In ihrer Studienzeit hat Veronika Hannes im Opus-Dei-nahen Studentinnenwohnheim in Köln gewohnt. „Ist schön dort. Fahren Sie doch mal hin“, sagt sie.

Opus-Dei-Frau Hilde Müller: "Partygirls ziehen bei uns eher nicht ein."

Es sind 30 Minuten mit dem Auto. Das siebenstöckige Haus steht an der Müngersdorfer Straße, die hier sechs Spuren hat. 30 Studentinnen wohnen in funktionalen, hellen Zimmern. Manche sind im ersten Semester, andere schreiben ihre Doktorarbeit. Hilde Müller, Opus-Dei-Numerarierin, führt das Wohnheim mütterlich-burschikos und möchte, dass sich die Frauen hier wie in einer Familie fühlen.

Dazu gehört, dass Fremde nicht ohne Weiteres reinkommen. Die Bewohnerinnen haben keinen Schlüssel, sondern klingeln an der Rezeption. Bis Mitternacht sitzt dort im Wechsel eine der Studentinnen. Wer später kommt, mutet der Mitstudentin zu, dass sie Überstunden machen muss. Wer kommt oder geht, steckt sein Kärtchen an einer Tafel am Eingang um. So kann man sehen, wer da ist. „Partygirls ziehen bei uns eher nicht ein“, sagt Hilde Müller.

Auf jeder Etage gibt es Bibliotheken, in der schon mal ein Kalender gegen Abtreibung polemisiert. Spät am Abend sitzt in einer noch eine Sportstudentin über Büchern. Sie sei eingezogen, weil sie nichts anderes gefunden habe, sagt sie. Das Katholische habe sie abgeschreckt. Doch jetzt ist sie überrascht: Ihr werde nichts aufgezwungen, keinen störe es, dass sie nicht zu den Messen in der Hauskapelle geht, auch nicht zu den Besinnungsabenden. Als sie mal Liebeskummer hatte, haben sich alle um sie gekümmert. „Hier ist eine andere Atmosphäre als in der Sporthochschule, wo alle nur an sich denken“, sagt sie.

Ob aus der Begegnung mit Opus Dei eine lebenslange Bindung wird, ein kurzer Flirt oder eine schmerzhafte Erfahrung, hängt auch von der Persönlichkeit des Einzelnen ab, von seinen Prägungen und Erwartungen ans Leben. Wo es dem einen zu eng ist, fühlt sich der andere geborgen. Einige Studentinnen im Wohnheim kommen aus Ägypten, Asien oder Lateinamerika. Sie fühlen sich hier so frei wie nie zuvor.

Der Text ist auf der Reportage-Seite erschienen.

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