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Spielend heilen. Kinder- und Jugendtherapeutin Simone Wasmer bringt die kleinen Patienten aus Tschetschenien, Afghanistan, Syrien, dem Kosovo, dem Iran, Somalia und Guinea wieder zum Lachen und Reden.

© Thilo Rückeis

Spendenserie: Mit dem Plastikdrachen die Erinnerungen bekämpfen

Bei der Spendenaktion „Menschen helfen!“ unterstützt der Tagesspiegel Vereine und Projekte – einige stellen wir in unserer Serie stellvertretend vor: Im Behandlungszentrum für Folteropfer in Moabit werden traumatisierte Kinder aus Krisengebieten behandelt. Doch das Budget reicht gerade fürs Nötigste.

Es sieht aus wie ein Schlachtfeld. Als hätte der große Drache gewütet und alles zerstört. Zwei Türme stehen aber noch, ein runder und ein eckiger. Das Schlachtfeld und die Türme sind aus Delta-Sand, den man formen kann wie Knetmasse. Wie die Drachenfigur wird er als Therapiespielzeug eingesetzt – im Therapieraum der Kinder und Jugendabteilung des Behandlungszentrums für Folteropfer in Moabit. Kinder aus Tschetschenien, Afghanistan, Syrien, dem Kosovo, dem Iran, Somalia und Guinea werden hier behandelt. Demnächst wird eine Sechsjährige eine Therapie beginnen. Die ältesten Patienten sind 21.

Simone Wasmer beugt sich zu der Sandkiste hinunter und nimmt die Drachenfigur in die Hand: „Zuletzt hat hier ein Junge gespielt, der gar nichts sagen wollte“, sagt die Kinder- und Jugendtherapeutin. Kleinere Kinder reagieren oft, indem sie nicht mehr sprechen, erklärt sie, während sie etwas Sand knetet. „Gerade bei Kindern ist es oft so, dass sie das Erlebte nicht in Worte fassen können. Manche Kinder haben gar keine Worte mehr. Sie sind verstummt, weil das, was sie erlebt haben, zu unaussprechlich war.“

Alin (Name geändert) aus Syrien war schon 16, als sie vor zwei Jahren nach Berlin kam und Patientin im Behandlungszentrum für Folteropfer wurde. Jetzt ist ihre Therapie vorbei. Über das, was sie mit Simone Wasmer im Behandlungszentrum erlebt hat, möchte sie ein bisschen sprechen. Aber auf keinen Fall, über das, was sie in Syrien erlebt hat und wie sie sich danach fühlte.

Ihr Deutsch ist schon ganz gut, aber bei den meisten Fragen flüchtet sie sich in ein unsicheres, entschuldigendes Lachen. Also erklärt die Therapeutin, dass sie geübt hätten, dass Gefühle kommen und gehen – auch die schlechten: „Sie ziehen vorbei wie Wolken.“ Alin nickt und macht eine wellenartige Handbewegung: „Das mit dem Vorbeiziehen hat besonders geholfen“, sagt sie. Ebenso die Sache mit dem sicheren Ort: „Ich habe mir einen Wald vorgestellt. Das hat am Anfang geholfen, als es noch schlimmer war.“ An diesen Ort, der nur in ihrer Vorstellung existiert, konnte sie sich zurückziehen – und war dort ganz sicher vor Verfolgung.

„Bei kleineren Kindern klappt das aber oft noch nicht in der Vorstellung“, sagt Simone Wasmer. „Mit ihnen würde ich oft gern einen realen sicheren Ort bauen – aus Schaffellen, einem Zelt, gemütlichen Lampen. Auch bei den Achtsamkeitsübungen mit Alin, bei denen sie üben sollte, sich klarzumachen, dass die Bedrohung in der Vergangenheit liegt, wäre es schön gewesen, eine gemütliche Ecke zu haben – ohne Neonlicht und dafür mit Kissen und Decken.“ Doch für so eine Ecke fehlen noch die Materialien. Dabei will der Tagesspiegel mit der Spendenaktion helfen. Im Budget des Behandlungszentrums gibt es kein Geld für solche zusätzlichen Dinge.

Dringend gebraucht wird auch eine Schallschutztür: „Es ist manchmal wahnsinnig laut hier im Therapieraum. Auf dem Flur rufen, laufen und reden Leute“, sagt Simone Wasmer. Manchmal schreie sogar jemand. „Vor allem bei Entspannungsübungen ist das doof. Gerade die Kleinen schaffen es dann nicht, sich nicht ablenken zu lassen.“

Auch einen Kickertisch wünscht sie sich für ihre Arbeit: „Ich weiß, das klingt seltsam. Aber wir haben einige Jugendliche, die kommen so depressiv, antriebsarm und zurückgezogen zur Therapie – die muss man erst mal aktivieren, zum Lachen und Reden bringen. Das Auftauen spielt bei Jugendlichen eine viel größere Rolle als bei Erwachsenen.“ Und auch der weitere Verlauf der Therapie gestaltet sich ganz anders: „Kinder sagen nicht: Da drückt’s. Sie reagieren oft mit Einnässen, Albträumen, Aggressionen. Wenn die Erinnerungen kommen, fühlt es sich taub und steif an. Ihre Wut kippt gegen sie selbst und viele fügen sich dann absichtlich selbst Verletzungen zu.“ Um diese Aggressionen und andere intensive, angestaute Gefühle zu kanalisieren, möchte Wasmer einen Sandsack zum Boxen anschaffen.

Die kleineren Patienten brauchen vor allem Spielzeug, damit aus der Therapie etwas wird: Im Spiel damit drücken sie aus, was sie nicht sagen können. In den Regalen stehen vor allem viele kleine Soldaten und Panzer. „Das ist ihre Lebenswelt“, sagt die Therapeutin. Das Playmobil-Gefängnis sieht ziemlich ramponiert aus, weil es gerade den Wutanfall eines Kindes erlebt hat.

Insgesamt 53 Projekte und Initiativen unterstützt der Tagesspiegel 2012/13 - bei der Jubiläums-Spendenaktion „Menschen helfen!“. Unsere Leserinnen und Leser rufen wir auf, für diese als gemeinnützig anerkannten Vereine und Träger zu spenden, die besonders innovativ sind oder deren Arbeit durch Kürzungen gefährdet ist. Unser Konto: Spendenaktion Der Tagesspiegel e. V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse (BLZ 100 500 00), Konto 250 030 942. Bitte notieren Sie Namen und Anschrift für den Spendenbeleg. Onlinebanking ist möglich.

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