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Es wächst und gedeiht. Die Beete auf dem Tempelhofer Feld müssen erstmal nicht neuen Wohnungsbauten weichen. Aber da die Stadt für immer mehr Menschen attraktiv ist, wird sie sich Veränderungen stellen müssen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nach der Tempelhof-Entscheidung: SPD-Landeschef: Die besten Jahre für Berlin kommen noch

Das Tempelhof-Votum war ein Rückschlag für die Wohnungspolitik, meint der SPD-Landesvorsitzende. In einem Text für den Tagesspiegel - Auftakt einer Serie mit Beiträgen zu Berlins Zukunft - fordert er mehr Offenheit für Neues.

Fast 740 000 Berlinerinnen und Berliner haben gegen eine Bebauung an den Rändern des Tempelhofer Feldes gestimmt. Das ist ein Schlag ins Kontor für unsere Wohnungspolitik und den dringend erforderlichen Wohnungsbau in Berlin. Natürlich respektieren wir die Entscheidung, dass das Feld nun einfach so bleiben soll, wie es ist. Aber Tempelhof ist nicht das Ende, sondern steht am Anfang der Diskussion darüber, was jetzt in der Stadt eigentlich passieren muss. Wie wir das Wachstum der Stadt so gestalten, dass es nicht nur wenige Gewinner und viele Verlierer gibt. Diese Diskussion geht jetzt erst richtig los.

Berlin wächst. Vor unseren Augen vollzieht sich eine dynamische, ja dramatische Veränderung der Stadt. In den vergangenen drei Jahren sind fast 150 000 Menschen nach Berlin gezogen. Damit werden alle offiziellen Prognosen bei Weitem übertroffen, die von 250 000 zusätzlichen Einwohnern bis 2030 ausgehen. Statt rechnerisch eines zusätzlichen Bezirks können es also leicht auch zwei werden. Der demografische Wandel führt eben nicht dazu, dass die Städte schrumpfen, sondern dass viele Menschen vom Land in die Großstädte ziehen.

Im Schatten des Turms. Der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß ist für Mehrausgaben, um das Wachstum in Berlin zu fördern.
Im Schatten des Turms. Der SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß ist für Mehrausgaben, um das Wachstum in Berlin zu fördern.

© dpa

Gerade unsere Stadt wächst, weil sie attraktiv ist. Weil sie ein Versprechen von Freiheit, von Kultur und sozialem Aufstieg bietet. Die Wirtschaft wächst, Arbeitsplätze entstehen, es gibt mehr Kaufkraft und Nachfrage. Andererseits führt diese Entwicklung dazu, dass es enger, voller, lauter und vieles teurer wird. Viele empfinden das Wachstum deshalb als Bedrohung. Wer verspricht, Veränderung abwehren zu können, hat derzeit gute Karten. Veränderungen wird es aber in einer wachsenden Stadt ohnehin geben. Die Frage ist, ob sie über uns kommen. Oder ob wir sie gestalten.

Wir wollen sie gestalten. Darum werben wir für eine neue Einstellung, für ein neues Bewusstsein, für ein Ja zu Neuem. Derzeit wird oft ein „Neubauklima“ gefordert, aber es geht über das Bauen hinaus. Es geht um Fortschritt. Das wird mühsam sein, oft auch konfliktbeladen, und es wird Zeit brauchen. Aber Berlin soll aufgeschlossen bleiben für alle, die zu uns kommen, und für die, die schon hier sind.

Dazu gehört, im Dialog mit den Bürgern und unter den Parteien in Land und Bezirken einen Konsens darüber anzustreben, wo sich die Stadt auf Entwicklung und Neubau verständigen kann, und für eine Planungssicherheit zu sorgen. Wir brauchen dafür ein stärkeres Miteinander von Landes- und Bezirksebene. Mehr Verlässlichkeit macht das Bauen billiger und die Mieten niedriger. Nach der mit harten Bandagen geführten Auseinandersetzung über Tempelhof brauchen wir wohl auch eine größere, zeitgemäße Offenheit für Beteiligung. Viele Bürger und Initiativen sind nicht nur Neinsager, sondern haben ein kreatives Potenzial, das der Entwicklung der Stadt auch nützen kann. Etwa am Gleisdreieckpark und der dortigen Bebauung haben wir gezeigt, wie das gehen kann.

Gerangel um Liegenschaftspolitik beenden

Die Politik muss hierfür an einem Strang ziehen – und dies in eine gemeinsame Richtung. Die neue Liegenschaftspolitik darf nicht länger im Gerangel stecken bleiben. Die geeigneten landeseigenen Grundstücke müssen zügig als Bauland für städtische Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und soziale Infrastruktur mobilisiert werden. Auch der Bund muss für seine vielen Grundstücke in Berlin eine andere, nicht nur am Profit, sondern am Gemeinwohl orientierte Liegenschaftspolitik entwickeln.

Berlin muss auch selbst in sein Wachstum investieren, um es zu verstetigen. Neben mehr neuen und bezahlbaren Wohnungen müssen mehr Kitas und Schulen gebaut und Sportflächen geschaffen werden. Die Wohnungsbauförderung muss dauerhaft einen Beitrag zu bezahlbarem Wohnraum leisten. Die wachsende Stadt braucht neue Arbeitsplätze und Flächen zur Ansiedlung. Unsere Verkehrsinfrastruktur muss ausgebaut und leistungsfähiger werden. Eine wachsende Stadt bedeutet auch wachsende Aufgaben der Verwaltung, vor allem in den Bezirken. Mit einer starren Begrenzung auf 100 000 Beschäftigte können wir diese Aufgaben nicht mehr bewältigen.

Das bedeutet Mehrausgaben, doch das sind notwendige Investitionen in das Wachstum unserer Stadt. Wachstum schafft auch wieder Wachstum, bedeutet neue Jobs, mehr Einkommen, neue Unternehmen, höhere Steuereinnahmen. Ohne Investitionen in das Wachstum kann es bald verkümmern. Wenn Berlin sein Wachstumspotenzial nicht versteht und Zuzug nicht aufnehmen kann, dann wird das Wachstum ausweichen, nach Hamburg, Frankfurt am Main, in die Ruhrregion.

Mehreinnahmen für Investitionen verwenden

Für eine gestaltende Politik sind finanzielle Spielräume vorhanden, ohne dass wir die Haushaltskonsolidierung aufgeben müssten. 2012 haben wir einen Überschuss von 671 Millionen Euro erzielt, 2013 waren es 476 Millionen Euro. Die Berliner Steuereinnahmen steigen. Dafür gibt es viele Gründe. Neben der guten Wirtschaftslage, dem niedrigen Zinsniveau und dem Immobilienboom ist das vor allem die steigende Einwohnerzahl. Diese wachstumsbedingten Mehreinnahmen müssen Investitionen in weiteres Wachstum finanzieren. Wenn wir die Kraft zur Veränderung haben, dann stehen Berlin die besten Jahre noch bevor.

Jan Stöß

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