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Im Wahlkampf haben sich die drei Spitzenkandidaten Pop, Müller und Lederer (v.l.n.r.) nur selten persönlich getroffen. Jetzt werden sie sich wohl öfter sehen.

© Jörg Carstensen/dpa

Nach der Wahl in Berlin: Rot-Rot-Grün: Wer verhandelt, was die Tabus sind

Rot-Rot-Grün ist die wahrscheinlichste Koalition für eine neue Berliner Regierung. Wie bereiten sich die drei Parteien darauf vor?

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Wie bereitet sich die SPD auf ein rot-rot-grünes Bündnis vor?

Es ist klar, wohin der Hase läuft. „Ich wünsche mir nach den Sondierungsgesprächen gute und verlässliche Koalitionsverhandlungen zwischen Rot-Rot-Grün und eine stabile Regierungskoalition.“ Die Sprecherin der Berliner SPD-Landesgruppe im Bundestag, Mechthild Rawert, formulierte damit am Montag die Erwartung ihrer Kollegen im Bundesparlament, aber auch der breiten Mehrheit in der Berliner SPD. Nach fünf Jahren Rot-Schwarz ist die Sehnsucht nach einem linken Regierungsbündnis in Berlin groß.

Auch die Parteirechte plädiert für Rot-Rot-Grün, wenn die Bedingungen stimmen. Mit den Linken und dessen Landeschef Klaus Lederer könne man gut und verlässlich zusammenarbeiten, schildert der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Felgentreu seine Erfahrungen aus der rot-roten Ära (2002 bis 2011) in Berlin. Größere Fragezeichen sieht er bei den Grünen. „Die mussten in Berlin noch nie unter schwierigen Bedingungen Regierungsfähigkeit beweisen.“ Doch zunächst einmal wird der SPD-Landesvorstand, der am Montagnachmittag tagte, neben Grünen und Linken auch CDU und FDP zu Sondierungsgesprächen einladen, die zügig beginnen werden.

Wer sind die Protagonisten der SPD?

Die SPD wird eine vierköpfige Verhandlungsgruppe bilden. Dazu gehören der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller, der Fraktionschef Raed Saleh, die Bezirksbürgermeisterin und Parteikassiererin Angelika Schöttler sowie die Staatssekretärin und Vize-Landeschefin der SPD, Barbara Loth. Mit Saleh und Loth sind zwei Parteilinke mit an Bord, gegen sie können Müller und seine enge Vertraute Schöttler nichts durchsetzen. Der SPD-Vorstand wird den Verhandlungsprozess eng begleiten.

Müller wird noch merken, dass ihn das Wahlergebnis innerparteilich schwächt, er ist nicht die unangefochtene Führungsfigur. In einigen SPD-Kreisverbänden grummelt es gewaltig, nicht zuletzt in jenen Ostbezirken, die besonders hohe Stimmenverluste verkraften müssen. Dem Parteichef und SPD-Spitzenkandidaten wird vorgeworfen, sich im Wahlkampf zu sehr auf den Westen Berlins konzentriert zu haben. Insbesondere von Parteilinken wird die Frage gestellt, ob Müller weiterhin SPD-Landesvorsitzender bleiben sollte. Das höchste Parteiamt hat er erst im Mai handstreichartig an sich gerissen. Als Nachfolger käme nur SPD-Fraktionschef Saleh infrage.

Gibt es Themen, die Rot-Rot-Grün gefährden könnten?

Nicht wirklich. Vor fünf Jahren hatte der damalige Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) die von den Grünen abgelehnte Verlängerung der Stadtautobahn A100 zum Anlass genommen, Rot-Grün in letzter Minute platzen zu lassen. Ein vergleichbares Tabuthema ist nicht in Sicht. Doch in den Bereichen der Stadtentwicklung und des Klimaschutzes, aber auch in der Bildungspolitik und dem Umgang mit den öffentlichen Finanzen gibt es viele Klippen zu umschiffen. Erfahrungsgemäß steckt bei Koalitionsverhandlungen der Teufel im Detail. Mit langwierigen Gesprächen ist zu rechnen, die sich im schlimmsten Fall bis in den Dezember hinziehen könnten.

Was ist der SPD besonders wichtig?

Die Mietenpolitik und der Wohnungsbau, die Reform der öffentlichen Verwaltung, die Sanierung der Schulen, aber auch solche scheinbaren Nebensächlichkeiten wie der religiös neutrale Staat sind Themen, die den Sozialdemokraten für die nächste Wahlperiode besonders wichtig sind.

Wie ist die Linkspartei auf Rot-Rot-Grün vorbereitet?

Die Bundesvorsitzenden der Partei Die Linke, Katja Kipping (l) und Bernd Riexinger (M) mit ihrem Berliner Spitzenkandidaten Klaus Lederer.
Die Bundesvorsitzenden der Partei Die Linke, Katja Kipping (l) und Bernd Riexinger (M) mit ihrem Berliner Spitzenkandidaten Klaus Lederer.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Nach den internen Debatten, bei denen sich seit Jahren die Koalitionsbefürworter durchsetzen, steht die Berliner Linke grundsätzlich für Rot-Rot-Grün. Landeschef Klaus Lederer wird sich aber hüten, das eine Drittel seiner Partei, das einen Kotau vor SPD und Grünen fürchtet, zu provozieren. Weil Lederer die vom ihm selbst zum Ziel gemachten 15 Prozent mehr als erreicht hat, kann er entspannt und selbstbewusst in die Koalitionsgespräche gehen. Tipps gibt es von Bodo Ramelow, dem linken Chef der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen. Am Montag beließ es Lederer in Berlin dabei zu sagen, man sei auch „zu Regierungspolitik bereit“.

Wer sind ihre Protagonisten?

Lederer kann sich in jedem Fall der Unterstützung seiner Bundesführung sicher sein, hat er doch den Niederlagentrend bei den Landtagswahlen in diesem Jahr gestoppt. Noch am Sonntag plädierte Dietmar Bartsch, Linken-Chef im Bundestag, indirekt für Rot-Rot-Grün im Bund: Nach dem Erfolg in Berlin brauche die zentrale „Industriemacht Europas einen Politikwechsel“. In Berlin sind die Brüder Harald und Udo Wolf wichtig: Harald war unter Rot-Rot bis 2011 Wirtschaftssenator, Udo ist langjähriger Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Harald Wolf könnte unbestätigten Informationen zufolge wieder Wirtschaftssenator werden wollen, sein Bruder bleibt wohl Fraktionschef. Auch Ex-Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher ist als potenzielles Regierungsmitglied im Gespräch. In der Partei könnten Evrim Sommer, mit der die Linke in Lichtenberg stärkste Partei wurde, und Pascal Meiser, der sie in Friedrichshain-Kreuzberg auf mehr als 20 Prozent führte, bald größere Rollen spielen.

Was sind die wichtigsten Anliegen der Linken?

Kurz: massive Investitionen in Nahverkehr, Kitas, Schulen und Ämter – die Linke hatte sich im Wahlkampf als Partei der Daseinsvorsorge präsentiert. Lederer verwies am Montag darauf, selbst Bürgermeister Michael Müller (SPD) habe von einer nötigen „Investitionsoffensive“ gesprochen. Weil der SPD-CDU-Senat schlecht gearbeitet und die Infrastruktur vernachlässigt habe, wäre jede Koalition jedoch erst mal „ein Reparaturbetrieb“ – und: „Machen wir uns keine Illusionen, in einem halben Jahr sind die Probleme dieser Stadt nicht zu lösen.“ Lederer forderte zunächst ganz allgemein ein Ende der Basta-Politik – von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble, aber auch der SPD von Sigmar Gabriel und Michael Müller.

Welche Tabus hat die Partei?

Dazu blieben Lederer und die Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger vage. In der Bundespolitik wird an dieser Stelle gern gesagt, die Linke bleibe die einzige Friedenspartei, etwaige Auslandseinsätze seien also ein „No-go“. Auf Landesebene gibt es das nicht. Aber die Linke wird sicher Privatisierungen oder Stellenabbau bei Behörden, Kliniken, Schulen ablehnen.

Wie sind die Grünen auf Rot-Rot-Grün vorbereitet?

Die vier Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Daniel Wesener, Ramona Pop, Bettina Jarasch und Antje Kapek, stoßen auf das Wahlergebnis an.
Die vier Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Daniel Wesener, Ramona Pop, Bettina Jarasch und Antje Kapek, stoßen auf das Wahlergebnis an.

© Gregor Fischer/dpa

Die Grünen hätten zwar lieber eine Zweierkonstellation mit der SPD, aber eine Dreierkonstellation ist mit der Partei auch zu machen. Sie sind zwar noch hinter SPD, CDU und den Linken nur viertstärkste Kraft mit ihren 15,2 Prozent. Aber es gibt in der Partei keine Stimmen in der Parteilinken, die deshalb den Gang in die Opposition statt Regierungsverantwortung fordern würden. Auffallend ist, dass die Grünen am Montag nach der Wahl nicht mit klaren Forderungen auftraten, sondern Demut anklingen ließen. Ja, man sei zufrieden mit dem Wahlergebnis, sagte die Landesvorsitzende Bettina Jarasch. „Wir sind bereit für einen tatsächlichen Neustart“, ergänzte Fraktionschefin Ramona Pop. Die Aufgabe der nächsten Regierung werde sein, das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen. Es gibt keinen Zweifel, dass der Kurs der Grünen auf Mitregieren ausgerichtet ist – in einer Dreierkonstellation, und ohne die CDU, wie sie erneut betonten.

Wer sind die Protagonisten der Grünen?

Die Sondierungsverhandlungen werden von den Fraktionschefinnen Ramona Pop und Antje Kapek sowie den Landesvorsitzenden Daniel Wesener und Bettina Jarasch geführt. Als sicher gilt, dass Spitzenkandidatin Ramona Pop in den Senat geht. Im Gespräch dafür ist auch der Pankower Stadtrat Jens-Holger Kirchner. Eine weitere Grünen-Politikerin könnte von außen kommen. Die Fraktion wird wohl weiter von einer Doppelspitze geführt.

Was sind ihre wichtigsten Anliegen?

Die Grünen wollen Berlin zur Fahrradstadt ausbauen: Sie unterstützen die Forderungen des Volksbegehrens. Zu den vielen geforderten Verbesserungen für den Fahrradverkehr gehört die Eröffnung von zwei Fahrradschnellstraßen (Nord-Süd und Ost-West). Die Integration der Flüchtlinge soll vorangetrieben und der soziale Wohnungsbau gefördert werden. Den 5,5 Milliarden Euro hohen Sanierungsstau bei Schulen wollen die Grünen abbauen und das Gebäudemanagement mit einem regionalen Schul- und Bezirks-Immobilienmanagement umstellen. Die Partei will eine Investitionsoffensive für Berlin auflegen. Das Wachstum soll ökologisch, nachhaltig und sozial gestaltet werden. In den nächsten zehn Jahren sollen dafür rund 25 Milliarden Euro Landesmittel aufgebracht werden, davon 22 Milliarden Euro aus dem Landeshaushalt, der Rest aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt (SIWA).

Die Grünen wollen eine klimaverträgliche Infrastruktur aufbauen. Sie plädieren für ein Klima-Stadtwerk und ein Stromnetz in Bürgerhand. Investitionen in Windräder, Blockheizkraftwerke und die schnellere energetische Sanierung öffentlicher Gebäude sollen den Kohlendioxid-Ausstoß reduzieren. Außerdem planen die Grünen 1000 grüne Dächer für Berlin, die das Regenwasser zurückhalten und das Stadtklima schützen sollen.

Haben die Grünen Tabus für ihre Regierungsbeteiligung?

Bewusst ziehen die Grünen vor Beginn der Sondierungsgespräche mit der SPD wohl noch in dieser Woche gar nicht erst rote Linien. Weder inhaltlich, noch „in Stilfragen“, wie Parteichefin Jarasch betonte: „Wir müssen uns verständigen.“

Der Knackpunkt, der 2011 die rot-grünen Verhandlungen zum Scheitern brachte, die Verlängerung der Stadtautobahn A 100, ist für die Grünen für die neue Legislaturperiode nicht zwingend ein Thema. Denn der Ausbau des 16. Bauabschnitts soll ohnehin erst 2021/2022 beendet sein. Auch zusätzliches Geld in den Flughafen BER wollen die Grünen – außer der schon vereinbarten sechs Milliarden schweren EU-Finanzspritze – nicht mehr investieren.

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