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Willkommen? In Westend sind die ersten Flüchtlinge eingezogen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nach Protest in Berlin-Westend gegen Asylbewerberheim: Anwohner solidarisieren sich mit Flüchtlingen

Zunächst gab es eine Unterschriftenaktion der Anwohner gegen das Asylbewerberheim in Westend. Nun formiert sich Gegenprotest: Freiwillige melden sich, um den Flüchtlingen an der Soorstraße zu helfen.

„Kreuzberger Flüchtlingscamp außer Kontrolle“ steht an dem Zeitungsaufsteller vor dem Tagescafé. Drinnen liegen karierte Deckchen mit der eingestickten Schrift „Home Sweet Home“. Bis vor kurzem lag in dieser Kiez-Station an der Haeselerstraße auch eine Unterschriftensammlung aus zu der Forderung „Keine Unterkunft für Asylbewerber und Flüchtlinge in der Soorstraße!“ Anwohner des Westend-Quartiers hatten per Aushang aufgerufen, die Umwidmung einer leerstehenden Kaserne in ihrer Nachbarschaft zur Notunterkunft zu verhindern.

Ihre Aktion richtete sich angesichts der avisierten Anzahl von 250 Einquartierungen gegen das erwartete „psychische Bedrohungspotenzial“, die „Einschnitte im Immobilienwert“, „Schädigung der Geschäftslage“, „Sicherheitsprobleme“, „Störung des sozialen Friedens“ und den „Verlust der Lebensqualität“. Mangels Beschäftigungsangeboten sei zu befürchten, dass sich viele der in der Soorstraße 83 Untergebrachten „Tag und Nacht!“ hier herumtreiben würden. 200 Bürger sollen schon die Protestnote an das Landesamt für Gesundheit und Soziales unterschrieben haben. Auf den „Home Sweet Home“-Decken liegt die Liste allerdings nicht mehr aus, der Effekt war fürs Café unerfreulich: „Die meisten kamen nur herein, um zu unterschreiben.“

39 Westend-Berliner unterzeichnen einen Leserbrief

Während mittlerweile das erste Drittel der Flüchtlinge in der Soorstraße 83 eingezogen ist, artikulieren sich aber auch positive Reaktionen auf ihre Beherbergung in einem bürgerlichen Viertel. Den Tagesspiegel erreichte ein von 39 Westend-Berlinern unterzeichneter Leserbrief, der gegen die Heim-Verhinderer Stellung bezieht.

Heim auf kurze Zeit: 250 Flüchtlinge sollen in der Soorstraße untergebracht werden. Die Einrichtung ist zweckmässig.
Heim auf kurze Zeit: 250 Flüchtlinge sollen in der Soorstraße untergebracht werden. Die Einrichtung ist zweckmässig.

© Kitty Kleist-Heinrich

Barbara Burckhardt von der Zeitschrift „Theater heute“, die den Brief übermittelte, gibt zu, dass sie über eigene Erfahrung aus der Nachbarschaft großer Flüchtlings-Unterkünfte nicht verfügt. Es sei aber für sie der humane Impuls gewesen, so zu reagieren; der „widerliche Wortlaut“ des Gegen-Aufrufs habe sie dazu gebracht.

Außerdem melden sich, in der Folge eines vom Bezirksamt organisierten Info-Abends, Freiwillige aus der Nachbarschaft des Kasernenkomplexes: um Unterstützung anzubieten.

Das neue Flüchtlingsheim in der Soorstraße 83 in Berlin-Charlottenburg, in dem vor allem Asylanten aus Syrien und Afghanistan untergebracht werden sollen.
Das neue Flüchtlingsheim in der Soorstraße 83 in Berlin-Charlottenburg, in dem vor allem Asylanten aus Syrien und Afghanistan untergebracht werden sollen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Am Eingang des Geländes ist ein Dankesbrief des Leitungsteams angebracht, der die Freude die Zusammenkunft deutlich macht. Suada Dolovac, die Leiterin der Unterkunft, ist immer noch überrascht vom Verlauf: Ungefähr 20 der 250 Anwesenden hätten klar ihre Befürchtungen ausgesprochen; ihre Aggression hätte sich eher gegen die behördliche „Überrumpelung“ gerichtet. Doch geprägt worden sei die Stimmung durch positive Stellungnahmen von rund 80 Befürwortern.

Die Sorge der Bewohner: Die neuen Nachbarn könnten zur Belastung werden

Der ernstzunehmenden Sorge, dass die neuen Nachbarn sich aus Langeweile doch zur Belastung ihrer Umgebung entwickeln könnten, werden jetzt Bürger-Aktivitäten entgegengesetzt. 15 Einsatzbereite, sagt Suada Dolovac, hätten sich gemeldet.

Auch eine Frau, die sich kürzlich noch negativ geäußert habe, mache mit. Eine Dozentin und Studenten bieten Deutschunterricht an. Tennis Borussia hat zwölf Flüchtlinge zum Zuschauen beim Spiel abgeholt und stellt wöchentlich seinen Trainingsplatz zur Verfügung.

Individual-Begleiter zur Berlin-Erkundung melden sich. Ein Klavierbauer wird um die Stiftung eines Instruments gebeten, Unterricht soll stattfinden. Ein von Übersee Anreisender kam, angespitzt durch Zeitungslektüre, direkt zur Soorstraße gefahren und bietet an, einen Chor zu gründen.

Fürs erste zeigt sich Suada Dolovac, eine Bosniakin aus Serbien, „dankbar und überwältigt“. Die Bewohner kommen bislang aus Syrien, Afghanistan, Pakistan, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Irak, Moldavien, Turkmenistan, der Türkei und Tschetschenien.

Der Leserbrief im Wortlaut ist hier zu finden.

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