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Berlin: Knud Wollenberger (Geb. 1952)

Lebenslang wird er am Verrat gemessen

In der Traueranzeige ein Satz wie eine kryptische Lebensbilanz: „Und eine schwarze Sonne leckt die letzten Strahlen!“ Die Beisetzung im engsten Kreis auf dem Naturfriedhof Woodbrook in Irland, dem finalen Fluchtpunkt. Hier hatte er die letzten Lebensjahre verbracht, ein Pflegefall, abgeschottet vom Licht der Öffentlichkeit, für die er nur der Stasi-Verräter war und nicht der Dichter, der er sein wollte. Es bleibt ein schmales Büchlein, „Azurazur“, zwei Gedichte in einer Anthologie, Tonaufnahmen von Lesungen und wenige Text-Spuren im Netz.

Geboren wurde Knud Wollenberger in Dänemark. Sein Vater war 1933 aus Deutschland nach Amerika emigriert und Mitte der Fünfziger in die DDR zurückgekehrt. Er war vom Kommunismus überzeugt, arbeitete als Herzspezialist, war international anerkannt und hoch dekoriert. Seinen Sohn Knud ließ er bis zu seinem Tod 2000 nie fallen, egal was der auch tat.

Als Knud 20 war und Mathematik studierte, ließ er sich von der Stasi anwerben. Es sei eine „Drucksituation“ gewesen, sagte er später. Sein dänischer Pass, die Reisefreiheit und die Kontaktmöglichkeiten machten ihn als Spitzel interessant. Nach dem Studium arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin. Wohl fühlte er sich nicht, ein Unbehagen am System wuchs, er ließ sich Haare und Bart wachsen, wirkte wie ein Dissident. Camouflage oder Positionierung, das bleibt verschwommen.

Seit Ende der Siebziger schreibt er Gedichte, knüpft Kontakte zwischen Ausländern und Ost-Berliner Untergrundliteraten und Dissidenten. Und verfasst Berichte für die Staatssicherheit. Er versteht sich als „kritischer IM“, hofft, dass seine Informationen auf den richtigen Schreibtischen landen, etwas bewegen, einen Dialog herstellen: Selbstrechtfertigung oder Naivität? Irgendwann wird auch die Frau, die er liebt und heiratet, zur Zielperson. Er bekommt einen neuen Führungsoffizier, einen guten Menschenkenner, zeigt Schwäche, steigt nicht aus, will sie angeblich schützen und wird lebenslang an dem Verrat gemessen.

Vera hat er 1980 auf einer Ferienfreizeitzeit der Akademie kennengelernt. Sie ist Philosophin, geschieden mit Sohn. Knud und sie verbindet vieles, in vielem ist sie ihm voraus. Mit 18 hat sie ihr Elternhaus verlassen, die Konflikte mit dem linientreuen Vater waren ein Grund. Sie ist SED-Mitglied und glaubt an die Reformierbarkeit der DDR.

Die beiden heiraten 1981 und bekommen zwei Söhne. Vera engagiert sich politisch, beim „Pankower Friedenskreis“ in der „Kirche von unten“. Knut versucht zu bremsen, er hat operative Vorgaben. Nach außen wirken sie wie eine Idealfamilie, liebevoll und harmonisch, in guten wie in schlechten Zeiten. Vera wird zu einer Protagonistin der Opposition, Parteiausschluss, Berufsverbot, Reiseverbot und andere Schikanen nimmt sie in Kauf. Knud hat viel zu berichten.

Die Eltern der beiden helfen mit Geld, Knud züchtet Bienenvölker, um Einkommen zu erwirtschaften, es wird enger. Im Januar 1988 will sich Vera an der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration beteiligen, wird verhaftet, verurteilt und einen Monat später des Landes verwiesen. Sie geht nach England, kehrt am 9. November 1989 zurück und engagiert sich in der Politik.

1991 erfährt sie, wer dieser „IM Donald“ ist, der in ihrer Stasi-Akte auftaucht. Knud, der auf die Vernichtung der Akten gehofft hat, bestreitet alles, bis er nichts mehr bestreiten kann. Sein ehemaliger Führungsoffizier ist auskunftswillig. Die Medien stürzen sich auf den Fall, nichts ist mehr privat. Vera lässt sich scheiden und nimmt ihren Mädchennamen wieder an. Das Einzige, was sie ihrem Ex-Mann positiv anrechnet ist, dass er ein liebevoller Vater war.

Knud verschwindet über Jahre aus dem Fokus. Er schlägt sich als Schnitttechniker beim Fernsehen durch, erhält Ende der Neunziger eine Festanstellung in Berlin. Von seinem Vorleben wissen die meisten Kollegen nichts. Genauso wie in der jungen Literaturszene: Ob Poetry-Slams oder „lauter niemand“, ein hochkarätiges Sammelbecken für junge Talente, er hat Erfolg mit seiner leisen, eindringlichen Vortragskunst, mit Texten, die geprägt sind von Kapitalismuskritik, genauer Personenbeobachtung und Experimentellem. Den wenigen, die ihn zur Rede stellen, als er Texte Wolf Biermann und Vaclav Havel widmet, begegnet er mit Rechtfertigungsfloskeln. In seiner Wohnung hängen Stalinbilder, ironiefrei.

Dann die schwere Erkrankung, Multisystematrophie. Er zieht sich zurück, er bittet Vera um Verzeihung, die sie ihm gewährt. Die letzten Jahre verbringt Knud Wollenberger in Irland, er heiratet 2010 seine Lebensgefährtin, die ihn auch pflegt. Am Ende kann er kaum noch sprechen, sich nicht mehr bewegen. Sein jüngster Sohn besucht und pflegt ihn. Er sagt in einem Interview: „Ich habe ihm verziehen. Und ich bin heilfroh, dass ich so was nicht ausgesetzt war, sondern in Freiheit aufgewachsen bin.“ Erik Steffen

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