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Felix Freiherr von Caldenhoff (1982 - 2014)

© privat

Nachruf auf Felix von Caldenhoff (Geb. 1982): "Ich darf mich nicht verlieben"

In Berlin lief er mit Walter barfuß durch die Straßen und ließ sich von ihm aus dem "Zauberberg" vorlesen. Der Nachruf auf einen, der sich in seiner Heimat verstecken musste

Ein nicht eben einfacher junger Mann reiste, wie fast jeden Freitag des vergangenen Jahres, mit dem Zug von Münster nach Berlin. Die dreieinhalbstündige Fahrt verlief, von außen besehen, friedlich, keine Abgründe taten sich rechts und links der Strecke auf, es ging nicht Felsenstraßen entlang, sondern nur, über Hamm und Hannover, ins Flachland. Und trotzdem überschritt der junge Mann, Felix, eine Grenze, reiste von einer Welt in eine andere.

In der Welt, aus der er kam, konnte er nicht der sein, der er war. Diese Welt bestand aus einem Adelstitel und einem Gutshof mit 80 Pferden, die er ausbildete, aus einem Vater, dem Homosexualität eine Widerwärtigkeit war, einer Mutter, sanfter als der Vater, die unter dessen Dominanz aber verstummte. Kinder hatten Felix einmal im Stall beobachtet, mit einem Mann verborgen bei ein bisschen Zärtlichkeit, waren sofort zu den Eltern gerannt, die ihn vor ein Ultimatum stellten: Sollte ihnen eine so ekelhafte Geschichte noch einmal zu Ohren kommen, fliege er vom Hof. Auf dem Internat bei Hamburg war es nicht besser, die Mitschüler quälten ihn, physisch und psychisch, niemand griff ein, nicht die Lehrer, nicht die Eltern, nur ein Junge versuchte, ihm beizustehen.

„Ich mag es, die Geschichten von Thomas Mann zu lesen, aber mehr noch mag ich es, wenn du sie mir vorliest“, schrieb Felix an Walter. Das war die andere Welt, jenseits von Zwängen, in der er er selbst sein konnte. In der es Walter gab, der ihn freitags vom Bahnhof abholte; mit dem er auf die Spree schaute, dabei Berliner Pilsener trank und Pall Mall rauchte; mit dem er über den Kollwitzplatz zum Wasserturm lief; im Bett frühstückte; aus dem Fenster in den Hof sah, auf den Ginkgobaum, der zart im Frühling blühte und zäh dem Winter widerstand; mit dem er nach Rheinsberg fuhr; im Sommer barfuß durch die Straßen spazierte; und der ihm aus dem „Zauberberg“ vorlas. Felix, auf dem Bett liegend, die Augen geschlossen, tauchte ein in die Davoser Hochgebirgswelt, vergaß Raum und Zeit, herausgelöst aus den alten Beziehungen, versetzt in einen freien und ursprünglichen Zustand. „Erzähl mir noch, wie der Roman endet“, bat Felix Walter an einem Tag, an dem sie einander verlassen wollten, an dem ihre Liebe ihnen zu heftig erschien, und Walter sagte: „Das Ende ist offen.“

Sie lebten von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag, ohne Pläne und sonntags, in der Nacht, nahm Felix ein Taxi und fuhr zurück zum Bahnhof, zurück in die Welt, in der er Freiherr von Caldenhoff war.

„Ich darf mich nicht verlieben“, hatte Felix an Walter am Anfang geschrieben, und dann war er doch geblieben, oft bedrückt, weil er ihm diese andere Welt nicht zeigen durfte, die Familie hatte es ausdrücklich untersagt. Und dann wagte er sich doch ein wenig hervor, nahm eine Wohnung in Berlin, nah bei Walter. Er kaufte einen Druck seines Lieblingsbildes, „Der Turm der blauen Pferde“ von Franz Marc. Darauf wölbt sich über Pferden und Felsen ein orangefarbener Regenbogen auf gelbem Grund. Er wollte das Bild in der Wohnung aufhängen, das nächste Mal, wenn er in Berlin sein würde. Aber er kam nicht. Es ging ihm schlecht. Seine Familie wusste nicht, dass er krank war, dass er im Krankenhaus lag. Am 30. Oktober schrieb er eine letzte Nachricht an Walter: „Hinter den Wolken scheint immer die Sonne.“ Am 5. November starb er. Auf der Beerdigung war Walter nicht erwünscht.

Bestattet wurde Felix, der Glückliche, das Sorgenkind des Lebens, anonym neben dem Familiengrab. Er wird keinen eigenen Grabstein erhalten, sein Name wird nicht auf dem der Familie erscheinen.

Nach seinem Tod fand man den Roman „Der Zauberberg“ in seinem Krankenzimmer.

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