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Berlin: Richard Pladeck (Geb. 1928)

Abstieg nach ganz unten? Für Richie macht das keinen Unterschied

Was für ein Handy hast du?, fragt Facebook, und Richard, den alle Richie nennen, schreibt: Samsuuuuung. Eine Huldigung, denn der mobile Kleincomputer aus Korea verschafft ihm Zugang zu allen Spielergebnissen und Tabellenplätzen der Mannschaften von Tennis Borussia, seinem Verein, TeBe. Richie ist immer auf dem Laufenden, wischt zielsicher über das Display, postet Artikel und Bilder auf seiner Facebook-Seite. In der Altersgruppe der ÜberAchtzigjährigen ist er einer der profiliertesten Internetnutzer. Richie weiß das und freut sich, wenn auch andere das mitbekommen.

Meistens steht er auf dem kleinen Parkplatz direkt am Vereinshaus am Mommsenstadion. Dort dürfen nur Berechtigungsscheininhaber parken, also Spieler, Vorstände und Sponsoren. Richie ist Ordner, schon immer gewesen, jedenfalls kann sich kaum jemand an eine Zeit ohne ihn erinnern. Wenn er nicht an der Schranke zum Parkplatz steht, dann vor’m Vereinshaus. Dort geht es darum, die Spreu der Fans, die den Ticketerwerb scheuen, vom Weizen der Vereinsmitarbeiter zu trennen. Richie kennt ja praktisch jeden, da ist die Fehlerquote gering. Er nimmt seinen Job ernst.

Wenn das Spiel um 14 Uhr beginnt, ist Richie spätestens um 12 da, könnte ja sein, dass sich jemand ohne Berechtigungsschein auf den Parkplatz verirrt und später nicht mehr auffindbar ist. Meistens erkundigt sich Richie vorher telefonisch beim Verein, ob er auch wirklich zum Spiel eingeteilt ist und ob das Spiel auch wirklich um 14 Uhr beginnt. Undenkbar, dass Richie seinen Ordnerdienst mal verpassen könnte. Unvorstellbar, das jemanden das Gefühl beschleichen könnte, Richie lasse die ihm übertragenen Aufgaben schleifen, ist ja nicht mehr der Jüngste, und immer draußen, bei Wind und Regen … Papperlapapp!

Im Februar 2011 ändert Richie sein Profilbild auf Facebook. Auf dem neuen Foto hält er ein Ticket in die Kamera: Berliner Pilsner Pokal, Endspiel 2009. Damals verlor Tennis Borussia gegen FC Union, was zeigt, dass Richie Niederlagen seines Vereins problemlos wegsteckt. Überhaupt gibt es Stimmen, die sagen, es sei ihm gar nicht in erster Linie um Fußball gegangen, sondern ums Dabeisein. Richie trägt immer den aktuellen Trainingsanzug des Vereins, dazu eine passende Schirmmütze. Er wirkte „fit wie ein Turnschuh“, heißt es auf den Vereinsseiten von TeBe. Ob er jemals selber Fußball gespielt hat oder sich irgendwie sportlich betätigte, ist nicht bekannt. Richie spricht nicht viel über Persönliches, genau genommen auch nicht viel über Fußball, Bundesliga, Spielertransfers, Trainerkarussells und den ganzen Schmus, eigentlich interessiert ihn vor allem TeBe.

Da gab es in den vergangenen Jahren nicht viel Anlass zur Freude. In den neunziger Jahren noch zweitklassig, mit einem Millionen-Sponsor auf dem Weg in die Bundesliga, ähnlich wie Hoffenheim, kam in den nuller Jahren der Absturz in die Bedeutungslosigkeit, Insolvenz, nach unten durchgereicht bis in die sechste Spielklasse, von den Medien kaum noch wahrgenommen. Für Richie macht das keinen Unterschied. Gute Ordner werden immer gebracht, fünf Euro gibt es in der Stunde, plus Kaffee, halbe Brötchen und viel Schulterklopfen.

Richie war ein Fan, sicher, aber kein typischer TeBe-Fan. Die graumelierten Herren aus dem Grunewald, zum Verein gestoßen in der unvergessenen Zeit als Erstligist in den Siebzigern, geblieben in Treue und der Einsicht, dass Vereinswechsel für mittlere Semester immer frustrierend verlaufen, sie passten nicht zu Richie. Eher schon die Enddreißiger, die zu TeBe kamen, weil der Verein als linksalternativ galt, unverdächtig eines latenten Rassismus, mit dem sich viele Fußballklubs herumschlagen müssen.

Und eines Tages verpasste Richie doch seinen Ordnerdienst. Sie schickten jemanden zu ihm nach Hause. Dort lag er dann. Thomas Loy

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