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Der Aufmarsch der Neonazis geriet zeitweise völlig außer Kontrolle. Die Rechtsextremen gingen äußerst aggressiv gegen Migranten und Gegendemonstranten vor.

© Johannes Radke

Kreuzberg: Neonazis gehen in U-Bahnhof auf Migranten los

Bei einem rechtsextremen Aufmarsch in Kreuzberg haben Neonazis Passanten und Gegendemonstranten attackiert. Am U-Bahnhof Mehringdamm geriet die Lage außer Kontrolle.

Ein junger Mann mit dunkler Hautfarbe rennt in Panik die Treppenstufen des U-Bahnhofs hinauf, verfolgt von einer Gruppe grölender Neonazis, die auf ihn einschlagen. Plötzlich erscheinen zwei Polizisten in Kampfmontur, die den Angegriffenen zügig beiseite schieben.

Gespenstische Szenen spielten sich am Samstagmittag auf dem Mehringdamm ab, mitten in Kreuzberg. Rund 120 Rechtsextremisten wollten von dort zum Polizeipräsidium nach Tempelhof marschieren. Mehr als 400 Gegendemonstranten verhinderten den Aufmarsch. Politiker und Initiativen gegen Rechts kritisierten die Taktik der Polizei, die den Aufzug bis zuletzt geheim gehalten hatte.

„Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“, skandieren die fast ausschließlich in Schwarz gekleideten Rechtsextremisten. „Was wollt ihr hier?“, ruft ein sichtlich schockierter türkischer Imbissbesitzer. „Komm doch her“, schreit ihm ein vermummter Rechter, der mit beiden Händen drohend eine Fahnenstange hält, entgegen. „Das ist unglaublich, die machen hier Jagd auf Ausländer“, spricht eine Frau in ihr Handy.

Gegen 12 Uhr sah es noch so aus, als habe die Polizei die Situation unter Kontrolle. Die Rechtsextremen sammelten sich auf dem Mehringdamm in Höhe der Baruther Straße, darunter viele bekannte Funktionäre aus Westdeutschland. Innerhalb von einer halben Stunde strömten hunderte Gegendemonstranten auf die Straße und blockierten die Fahrbahn. Die Polizei begann einen Kessel um die Nazigegner zu bilden, die mit Pfiffen und Sprechchören friedlich protestierten.

Doch mit einem simplen Trick überrumpelten die Rechten die Polizei. Auf ein Kommando rannten sie in die nördlichen Eingänge des U-Bahnhofs Mehringdamm, zündeten dort „Polenböller“ und stürmten aus den südlichen Eingängen direkt in die Menge der Gegendemonstranten. Minutenlang hatte die Polizei die Lage nicht unter Kontrolle. Die Rechten gingen mit Fahnenstangen und Fäusten auf Migranten, Journalisten und Gegendemonstranten los. Flaschen flogen von beiden Seiten.

Nur langsam schafften es die Beamten, die aggressive Nazigruppe einzukesseln. Gegen 13 Uhr löste Anmelder Sebastian Schmidtke den Aufzug plötzlich auf, ohne dass die Rechten auch nur einen Meter der Strecke gelaufen waren. Als die Neonazis nach einer weiteren halben Stunde in die U-Bahn eskortiert wurden, kam es zu Rangeleien mit Gegendemonstranten. Tomaten und Flaschen flogen auf die Rechten, die Polizei setzte Pfefferspray ein. Anschließend fuhren die Neonazis nach Alt-Rudow und versuchten in kleineren Gruppen Spontanaufmärsche, was von den Einsatzkräften aber unterbunden wurde. Dabei kam es offenbar auch zu Angriffen auf die Polizei. Zahlen zu Festnahmen und Verletzten, konnte die Polizei am Nachmittag noch nicht nennen. Angefangen hatte alles am Freitagmittag. Ein Neonazi hatte den bevorstehenden Aufmarsch ausgerechnet auf Facebook ausgeplaudert, obwohl die Szene bewusst heimlich mobilisiert hatte. Nachfragen bei der Polizei ergaben, dass tatsächlich ein Aufzug angemeldet worden war. Doch die Polizei weigerte sich, den genauen Ort oder die Route zu nennen. Selbst während des Aufmarsches hieß es von der Pressestelle, dass die konkrete Route nicht bekannt gegeben werde.

Die SPD kündigte an, die Geschehnisse im nächsten Verfassungsschutzausschuss zu thematisieren. „Der NPD-Politiker Sebastian Schmidtke trägt als Anmelder persönlich die Verantwortung für die Gewalttaten“, sagte der SPD-Sicherheitsexperte Tom Schreiber. Er forderte für zukünftige von Schmidtke angemeldete Aufmärsche ein Verbot im Vorfeld. Zudem müsse mit dem Einsatzleiter geklärt werden, wie es dazu kommen konnte, dass die Rechten durchbrachen. Auch sei aus polizeilicher Sicht zwar verständlich, dass die Polizei die Route geheim hielt, „aber Proteste in Sicht- und Hörweite der Rechten müssen weiterhin möglich sein.“

„Es ist ein katastrophales Zeichen an die Zivilgesellschaft, dass die Polizei am Tag selbst den Rechtsextremisten das Feld bereitete“, sagte die Leiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, Bianca Klose. „Ich habe da kein Verständnis für“, sagte der Grünen-Abgeordnete Christian Ströbele, der selbst an den Protesten teilnahm. Mit einer solchen Geheimhaltungstaktik werde nicht nur zivilgesellschaftlicher Protest erschwert, sondern auch ein Misstrauen der Bürger gegenüber der Polizei geschürt. Nicht einmal der Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) sei informiert worden, heißt es vom Bezirksverband der Grünen. Gleichzeitig verurteile die Partei „den Einsatz von Pfefferspray gegen friedliche Gegendemonstranten“.

Auch die Gewerkschaft Verdi kritisierte den Einsatz. „Die Informationspolitik des rot-roten Senats sowie der Polizei ist ein Skandal. Antifaschistischer Protest wird somit verunmöglicht“, sagte Ringo Bischoff, Bundesjugendsekretär der Verdi-Jugend. Der Übergriff von Neonazis auf Migranten zeige erneut, wie notwendig zivilgesellschaftlicher Widerstand gegen Rechts sei.

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