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Brauner Auftritt. Im Internet ist es wesentlich schwieriger, gegen Neonazis vorzugehen als auf der Straße.

© dpa

Neonazis im Netz: Behörden fast machtlos gegen virtuellen Aufmarsch

Die rechtsextreme Szene breitet sich im Netz aus und bedroht ihre Gegner. Auch Berliner Journalisten und Politiker werden Ziel des Hasses. Die Ermittler haben wenige Möglichkeiten, gegen die rechten Umtriebe vorzugehen.

Was kann man gegen Drohungen im Internet tun? Die Neonazi-Szene betreibt mehrere Websites, auf denen Fotos und persönliche Daten ihrer vermeintlichen politischen Gegner publiziert werden. Der drohende Unterton ist unverkennbar – von einem „guten Anschlagsziel“ ist da unter anderem die Rede.

Auf der Internetseite des „Nationalen Widerstands Berlin“ laden die unbekannten Betreiber zu „Stadtrundgängen“ durch Bezirke ein. Zu Neukölln etwa findet man ausführliche Informationen über die Betreiber verschiedener kleiner Läden, die dem linken Milieu zugeordnet werden, unter anderem die Galerie Olga Benario oder das Café Tristeza. Die Polizei und die Ermittlungsbehörden können nach eigenen Angaben gegen derartige Websites, solange sie nicht in Deutschland gehostet werden, kaum etwas ausrichten. Die deutsche Rechtsprechung greift eben nicht immer im Ausland.

Der Trend ist seit zwei Jahrzehnten eindeutig: Deutsche Neonazis schlüpfen unter die Fittiche großer amerikanischer Neonazi-Portale. Dort bleiben sie unerkannt und unbehelligt. Stormfront.org, die älteste Nazi-Seite im Netz, wurde 1995 vom Ku-Klux-Klan-Mitglied Don Black gegründet und war damals nur eine Sammlung einschlägiger Bilddateien, unter anderem von Hakenkreuzen sowie primitiver antisemitischer und rassistischer Propaganda. Heute besteht Stormfront.org aus einem internationalen Diskussionsforum mit zahllosen – zum Teil nicht öffentlich zugänglichen – Unterseiten.

In den USA wird das Gewaltmonopol des Staates nicht dazu benutzt, um politische Meinungen zu zensieren. Der erste Zusatz der Verfassung der USA, das berühmte „First Amendment“, bestimmt, dass die Regierung keine Gesetze zur Zensur erlassen dürfe.

Internetprovider in Deutschland sperren Websites mit fragwürdigen Inhalten sofort, wenn sie darüber informiert werden. Das geschieht oft sogar dann, wenn die Strafverfolger ohne richterlichen Beschluss bei den Internetprovidern anrufen. Viele Verträge mit ihren Kunden enthalten den rechtlich nicht ganz unbedenklichen Passus, dass eine Website auch dann abgeschaltet werden kann, wenn nur der Verdacht besteht, es könne sich um ein Angebot handeln, das sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt.

Im August 2011 wurde zum Beispiel Altermedia, eine der größten ultrarechten und internationalen Portale im Internet, gesperrt. Gehostet wurde das Angebot bei einem US-amerikanischen Provider. Schon nach wenigen Tagen waren auf einschlägigen Websites die neuen Adressen zu finden, unter denen man eine neue Version erreichen konnte, darunter auch der deutsche Ableger. Damals führten nicht die politischen Inhalte zur Sperrung, sondern ein Verstoß der Betreiber gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Firma, auf deren Server Altermedia abgerufen werden konnte. Auch das berüchtigte Mobbingportal Isharegossip wurde aus dem Index der Suchmaschinen entfernt, ging aber erst im Sommer letzten Jahres offline, als die Domain an einen Pornoanbieter verkauft wurde.

Der Versuch, auf technischem Weg ausländische Inhalte zu sperren, ist bislang jedoch immer gescheitert. Bestimmte Firmen in den USA – wie etwa GoDaddy – bieten sogar an, die Kontaktdaten ihrer Kunden auf Wunsch geheim zu halten. Die Nachfrage regelt das Angebot.

In Nordrhein-Westfalen werden die einheimischen Provider gezwungen, Stormfront.org zu zensieren: Anfragen werden umgeleitet, indem das „Telefonbuch“ für die IP-Adressen – der Domain-Name-Server – manipuliert wird. Statt der Website erscheint eine Fehlermeldung. Diese Art von Zensur lässt sich aber durch wenige Mausklicks austricksen.

Die Suchmaschine Google erfüllt nicht nur jeden Wunsch von Diktaturen, weil nationale Gesetze respektiert werden, sondern tilgt sogar manche Angebote aus ihrem Index, wenn Jugendschützer oder bestimmte Ministerien aus Deutschland das beantragen. Der jährliche „Transparency Report“ von Google belegt, dass Deutschland, neben China und Brasilien, der Staat mit der schärfsten Internetzensur ist – Tendenz steigend. Google verrät jedoch nicht, wer genau den Wunsch äußern darf, Websites aus dem Index entfernen zu lassen. Auch diese Art von Zensur ist leicht zu umgehen, indem man etwa eine andere Google-Version als die deutsche benutzt.

Aufrufe, gegen politische Gegner vorzugehen – wie im aktuellen Fall –, gab es auch ohne das Internet. Dabei vermeiden es die Autoren, „zur Gewalt im Sinne von Körperverletzungen, Tötungen usw. aufzurufen“. So stand es 1993 in einer Broschüre mit dem Titel „Der Einblick“, die im militanten Neonazi-Milieu kursierte. Als Verfasser war die sogenannte „Anti-Antifa“ genannt. Auf Dutzenden Seiten wurden Namen, Adressen, Fotos und persönliche Angaben über Gegner der rechten Szene und von Journalisten (unter anderem vom Autor) veröffentlicht. Die Leser sollten den aufgeführten Personen „unruhige Nächte“ bereiten.

Das Berliner Landeskriminalamt versandte damals an die Betroffenen ein Formschreiben: die „Möglichkeit einer Gefährdung“ könne nicht ausgeschlossen werden, „konkrete Anhaltspunkte“ seien aber „derzeit nicht bekannt“.

Burkhard Schröder

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