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An vorderster Front. Viele Berliner Polizisten - hier drei Beamte bei einem Einsatz wegen eines herrenlosen Koffers in der Friedrichstraße - wünschen sich mehr Rückhalt von Vorgesetzten und Öffentlichkeit.

© dpa

Neptunbrunnen und Leserbrief: Polizei: Stimmung in Berlin ist angespannt

Ein tödlicher Einsatz am Neptunbrunnen, ein Leserbrief gegen die Chefs: Polizisten berichten von einer angespannten Stimmung in Stadt und Behörde.

Berlin spricht über die Polizei – und die Polizei spricht über die Berliner. Erst war es der tödliche Schuss eines Streifenpolizisten auf einen mit einem Messer bewaffneten Verwirrten im Neptunbrunnen. Zwei Tage später dann erschien ein Leserbrief im Tagesspiegel, in dem sich ein Bereitschaftspolizist mit der Gesellschaft, aber auch der Behördenleitung auseinandersetzt - viel Stoff für Diskussionen.

Dass sich ein Polizist traut, mit voller Namensnennung in der Zeitung den Vorgesetzten mangelnden Rückhalt vorwirft, hat das Präsidium regelrecht aufgescheucht. Wenige Tage später rief Polizeipräsident Klaus Kandt die komplette Führungsriege der Bereitschaftspolizei zur Diskussion zusammen. Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) kam am Freitag in die Unterkunft nach Schulzendorf, um sich dort im Reinickendorfer Ortsteil die Klagen der Beamten anzuhören. Mit dabei war auch der Truppführer der 22. Hundertschaft, der geschrieben hatte: „Ich kenne keine Polizei in Deutschland, die durch politische und polizeiliche Führung derart hart an die Leine genommen wird wie die Berliner Polizei.“ Das Polizeipräsidium teilte anschließend mit, dass es ein „offenes Gespräch“ gewesen sei, bei dem beide Seiten Fragen stellen konnten.

In der Vergangenheit war Kritik immer anonym geäußert worden – weil Polizisten Angst vor Konsequenzen hatten. Und noch etwas: Früher konnten Journalisten Polizisten fragen und diese namentlich zitieren. Dies hat das Präsidium in den vergangenen Jahren unterbunden – mit schriftlichen Ermahnungen an die Mitarbeiter. Selbst hochrangige Beamte wollen ihren Namen nicht mehr in der Zeitung lesen. Wer mit ihnen spricht, kennt die Differenzen in der Führung. In den Direktionen wird die Stimmung gänzlich anders dargestellt als in der sogenannten Teppichetage am Platz der Luftbrücke, also im Polizeipräsidium.

Auch einfache Streifenpolizisten wollen unerkannt bleiben. Ein Beamter berichtet, dass der Vorfall am Neptunbrunnen noch immer das Thema sei in den Polizeiabschnitten. „Das wird kontrovers diskutiert.“ Viele hätten zwar Verständnis dafür, wie der Kollege letztlich reagiert habe.

Allerdings sei unklar, wie er sich vorher überhaupt in diese Situation bringen konnte. „Warum ging er bloß in den Brunnen?“, heißt es. Man hätte dem verwirrten Mann eine Polizeidecke überwerfen können. Oder der Polizist hätte ein Schutzschild benutzen müssen, das ja ebenfalls im Polizeiauto liegt – auf keinen Fall jedoch hätte er einfach so in den Brunnen steigen sollen, in dem er schließlich von dem verwirrten Mann in die Enge getrieben wurde. Der Kollege sei eher ruhig, „überhaupt kein Rambo-Typ“. Seitdem berichten Polizisten von viel Kritik. Teilweise erschienen Leute an der mobilen Polizeiwache am Alexanderplatz und „sagen uns dann, was sie bei dem Einsatz anders und besser gemacht hätten“. Es sei erstaunlich, „was Außenstehende glauben, beurteilen zu können“. Auch würden sie beschimpft.

Auch über Feindseligkeit im Flüchtlingscamp am Oranienplatz wird in der Polizei geredet. Vor einigen Wochen hatten Beamte einen Senegalesen, der im Camp wohnt, beim Fahren ohne BVG-Ticket erwischt. Die Polizisten fragten nach den Papieren – da er keinen Ausweis bei sich gehabt habe, wollte man mit ihm zum Camp fahren. Schon am Alexanderplatz hätten Passanten sie nach den Gründen der Festnahme gefragt.

Auch eine Bundestagsabgeordnete habe sich eingemischt und dem Mann Hilfe angeboten, „ohne aber die Hintergründe der vorläufigen Festnahme zu kennen“, heißt es. Vor dem Camp schließlich seien die Polizisten bedrängt worden. „Dabei wollten die Kollegen doch nur den Pass sehen.“ Einer der Bewohner brachte den Beamten schließlich den italienischen Ausweis, den die zuvor in Lampedusa gestrandeten Flüchtlinge besitzen. Der Mann erhielt eine Anzeige wegen Schwarzfahrens – nicht mehr, nicht weniger.

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