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Bilkay Öney, Integrationsministerin in Baden-Württemberg, fordert ein Umdenken in der Asyl- und Flüchtlingspolitik.

© Mike Wolff

Neue Wege in der Flüchtlingspolitik: "Hürden beim Zugang zum Arbeitsmarkt müssen abgebaut werden"

Angesichts immer steigender Flüchtlingszahlen fordert die Integrationsministerin von Baden-Württemberg, Bilkay Öney, Änderungen im Asylrecht. Es dürfe aber nicht ausgehöhlt werden. Ein Kommentar.

Weltweit sind 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Nur ein kleiner Teil dieser Frauen, Männer und Kinder, die vor Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Armut und Hunger flüchten, erreicht Europa. Im vergangenen Jahr registrierten die EU-Länder 435 000 neue Asylanträge. In Deutschland waren es rund 110 000 Erstanträge - in diesem Jahr könnten es bis zu 200 000 werden. Auch wenn diese Zahlen im Verhältnis zu den weltweiten Flüchtlingsströmen gering erscheinen, stellen sie Europa und Deutschland vor große Herausforderungen.

Im Grunde ist es ein Dilemma. Einerseits kann Deutschland nicht alle Flüchtlinge dieser Welt aufnehmen. Andererseits steht Deutschland zu seiner humanitären Verpflichtung, Menschen in existenzieller Not zu helfen. Deutschland will und kann sich hier nicht abschotten, weder praktisch, noch rechtlich, noch moralisch. Die Diskussion über die Flüchtlingsproblematik kann aber nicht ausschließlich unter der Überschrift „Asylrecht“ geführt werden. Nach Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Dieses Recht ist also grundsätzlich auf den Schutz vor staatlicher Verfolgung ausgerichtet. Dabei sollte es bleiben, auch um die Akzeptanz des Asylrechts in der Bevölkerung nicht zu gefährden.

Daneben wird Deutschland seiner humanitären Verpflichtung dadurch gerecht, dass es außerhalb des Asylverfahrens - durch Aufnahmeanordnungen des Bundes oder der Länder - Flüchtlinge im Kontingent aus Krisengebieten aufnimmt. Jüngste Beispiele sind die Aufnahmen von Flüchtlingen aus dem Irak und aus Syrien; über weitere Aufnahmeaktionen wird derzeit beraten. Im Rahmen des Asylsystems ist Deutschland Teil einer internationalen und europäischen Verantwortungsgemeinschaft. Richtet man den Blick auf die deutsche Landkarte, so stellen wir stark steigende Asylbewerberzahlen fest; mit einem weiteren Anstieg müssen wir rechnen. Dies macht es dem Bund, den Ländern und den Kommunen zunehmend schwieriger, die Asylsuchenden angemessen aufzunehmen, unterzubringen und zu betreuen. Alle Ebenen sind in der Pflicht, ihrer Verantwortung in diesem Bereich gerecht zu werden und auf neue Herausforderungen Antworten zu entwickeln.

Möglichkeiten legaler Einwanderung müssen ausgeweitet werden

Auf Bundesebene geht es beispielsweise um die Frage, ob die Möglichkeiten zu legaler, auch befristeter Einwanderung unter Einschluss der (temporären oder zirkulären) Arbeitsmigration ausgeweitet werden sollten. Ein Teil der Asylsuchenden bringt berufliche Erfahrungen oder gar berufliche Qualifikationen mit. Diese Menschen müssten nicht den mit vielen Folgeproblemen verbundenen, unsicheren Weg der Asylantragstellung einschlagen; das Asylsystem würde entlastet und auf seinen eigentlichen Zweck zurückgeführt. Es wäre auch im Sinne der Fachkräftesicherung, die Potenziale der Menschen zu nutzen, die schon hier sind. Davon unabhängig ist ein weiterer Abbau der Hürden für Asylbewerber beim Zugang zum Arbeitsmarkt unerlässlich. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung, mit dem das Arbeitsverbot von neun auf drei Monate verkürzt werden soll, ist ein Schritt in die richtige Richtung zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Damit das aber tatsächlich gelingt, sollte über den vorliegenden Gesetzentwurf hinaus ins Auge gefasst werden, die so genannte Vorrangprüfung, bei der die Arbeitsverwaltung prüft, ob ein Deutscher oder EU-Angehöriger den Arbeitsplatz beanspruchen kann, abzuschaffen oder zumindest einzuschränken.

Meines Erachtens ist es ferner vertretbar, über eine Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten nachzudenken, wie dies für Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina im entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen ist. Bislang betrugen die Schutzquoten bei Asylbewerbern aus diesen Ländern zwischen 0,2 und 0,5 Prozent. Zudem bringt die Regelung über sichere Herkunftsstaaten lediglich die widerlegbare Vermutung zum Ausdruck, dass keine staatliche Verfolgung vorliegt, die eine Anerkennung als Flüchtling rechtfertigt. Es wird weiterhin jeder Einzelfall geprüft. Ablehnungen können gerichtlich überprüft werden. Selbst wenn eine Anerkennung als Flüchtling verneint wird, ist ein Schutz aus anderen Gründen möglich, etwa wegen konkreter Gefahr für Leib oder Leben.

Es geht um eine Verkürzung der Verfahren

Im Kern geht es um eine Verkürzung der Verfahren. Vom Bund sollten außerdem Maßnahmen ergriffen werden, um Asylverfahren generell schneller abschließen zu können. Im Bereich des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist mehr Personal für die Prüfung von Asylanträgen dringend erforderlich. Es stellt sich auch die Frage, ob weitere Außenstellen des BAMF einzurichten sind. Eine grundlegende Reform oder gar Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und ein frühzeitiger Wechsel der Betroffenen in die Leistungssysteme nach SGB II und SGB XII, insbesondere in die gesetzliche Krankenversicherung, sind ebenfalls dringend erforderlich und eröffnen den Ländern und Kommunen notwendige Spielräume.

Ferner sollten die Integrationskurse möglichst rasch auch für Flüchtlinge und Geduldete entsprechend dem vom Bundesrat am 19. Dezember 2013 mit den Stimmen Baden-Württembergs beschlossenen Gesetzentwurf geöffnet werden. Dem Beschluss der Integrationsministerkonferenz vom 19./20. März 2014 folgend, sollten zudem die Rahmenbedingungen geschaffen werden, „damit alle berechtigten Zugewanderten einen Integrationskurs tatsächlich besuchen können“.

Das ist in Baden-Württemberg noch zu tun

Nicht zuletzt geht es auf Bundesebene auch darum, bauplanungsrechtliche Hürden für die Errichtung und den Betrieb von Flüchtlingsunterkünften (z.B. Standortbeschränkungen) abzubauen. Mit diesem Problem kämpfen viele Kommunen in der Praxis. Auf Ebene des Landes Baden-Württemberg wurden mit dem neuen Flüchtlingsaufnahmegesetz bereits einige grundlegende Verbesserungen bei der Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen auf den Weg gebracht, beispielsweise hinsichtlich der sozialen Beratung und Betreuung sowie der Wohnfläche für Flüchtlinge oder hinsichtlich der (deutlich erhöhten) Leistungen an die Kreise für die Unterbringung der Flüchtlinge.

Damit ist es aber noch nicht getan. Von den anstehenden Aufgaben seien beispielhaft genannt: In Anbetracht der hohen Flüchtlingszahlen muss das Land Engpässe in der Aufnahmeverwaltung durch die Inbetriebnahme weiterer Erstaufnahmeeinrichtungen abbauen. In diesem Zusammenhang sind die Erstaufnahmeeinrichtungen mit dem erforderlichen Personal auszustatten; gleiches gilt für die betroffenen Gesundheitsämter. Asylsuchende minderjährige Flüchtlinge, kurz UMF, sind quotengerecht auf die Stadt- und Landkreise zu verteilen.

Die Kommunen müssen die Kosten ausreichend erstattet bekommen

Zu prüfen ist auch die Möglichkeit personeller Umschichtungen bei den Verwaltungsgerichten, beispielsweise durch eine Aufstockung der Zahl der Einzelrichter, um asylrechtliche Klageverfahren schneller abschließen zu können. Die Kommunen machen zu Recht geltend, dass die Kostenerstattung des Landes für die Unterbringung der Flüchtlinge auskömmlich sein muss. Deshalb hat das Land den Kommunen eine Überprüfung und ggf. eine Anpassung der Kostenerstattung des Landes zugesagt. Die Überprüfung der Pauschalen auf der Zahlengrundlage des Jahres 2013 läuft bereits. Es geht um den Abbau bauordnungsrechtlicher Hindernisse bei der Errichtung und der Inbetriebnahme von Flüchtlingsunterkünften. Beim Brandschutz und bei sicherheitstechnischen Auflagen können allerdings keine Abstriche gemacht werden.

Ohne die Gemeinden geht nichts

Schließlich zur kommunalen Ebene. Dort steht der Ausbau der Aufnahmekapazitäten bei den Stadt- und Landkreisen derzeit stark im Vordergrund. Es geht aber auch um eine konsequente Verlegung der Flüchtlinge in die kreisangehörigen Städte und Gemeinden nach dem Ende der vorläufigen Unterbringung. Ohne die Kommunen geht es bei der Unterbringung von Flüchtlingen nicht. Die Kommunen, aber auch viele ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger leisten hervorragende Arbeit, um den Flüchtlingen das Ankommen und das Leben in Deutschland zu erleichtern. Nicht nur deshalb legt die Landesregierung großen Wert auf eine enge Kooperation mit den Kommunen und auf eine gerechte Lastenverteilung zwischen Land und Kommunen.

Die Autorin und SPD-Politikerin ist Ministerin für Integration in Baden-Württemberg. Zuvor war sie Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

Bilkay Öney

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