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Jugendliche wurden in den 1970er Jahren mit Unterstützung der Senatsjugendverwaltung zu pädophilen Männern geschickt.

© dpa

Pädophilie in Berlin: "Dieses Experiment war und bleibt ein Skandal"

In den 1970er Jahren wurden Kinder zu Päderasten geschickt – mit Unterstützung des Senats. Es war ein Experiment. Wie konnte es dazu kommen?

Helmut Kentler galt als Experte für Sexualwissenschaft. Er redete in einer Anhörung des Bundestags, er schrieb Bücher, er war Gutachter in Missbrauchsprozessen, und 1994 verkündete er: „Kinder sind zum Orgasmus fähig.“ Eine These, an der sich damals öffentlich niemand groß störte. „Er war ein Guru“, sagt Thomas Birk. Und dann schiebt der Mann, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt, nach: „Er hat sein Renommee dazu benutzt, Pädophilen Opfer zuzuschieben.“ Der angebliche Guru starb 2008.

Drei Opfer waren 15 bis 17 Jahre alt, sie wurden in den 1970er Jahren mit Unterstützung der Senatsjugendverwaltung zu pädophilen Männern geschickt. Ein Experiment. Kentler wollte offiziell prüfen, ob Päderasten als Pflegepersonen infrage kommen. Das teilte er in einem Gutachten für den Senat auch stolz mit: „Es gelang mir, die zuständige Senatsbeamtin dafür zu gewinnen.“

Dieses Experiment „war und bleibt ein Skandal“, sagt Birk. Er hat maßgeblich am Zwischenbericht zur Verstrickung des Berliner Landesverbands der Grünen im Pädophilenmilieu mitgearbeitet (und reumütig eingestanden, dass er einen Missbrauchsfall, den er kannte, der Polizei nicht gemeldet habe).

Birk will den Zeitgeist auf keinen Fall verteidigen

Wie konnte so ein Experiment passieren? Der Zeitgeist, erwidert Birk, die „damals fehlgeleitete wissenschaftliche These“. Dieser These fehlte völlig das Leid, das Kinder und Jugendliche durch den Missbrauch erleben. Birk will diesen Zeitgeist auf keinen Fall verteidigen.

Zudem, sagt der Grünen-Politiker, seien missbrauchte Kinder erneut zum Opfer gemacht worden, wenn sie vor Gericht auftreten mussten. „Die wurden unglaublich eingeschüchtert oder ins Heim eingewiesen. Da sagten sie dann lieber gar nicht mehr aus.“ Aus heutiger Sicht „ist die damalige wissenschaftliche Sicht natürlich unglaublich“. Die Senatsjugendverwaltung will jetzt nach den Ursachen dieses Vorfalls forschen.

Aber es gibt ja noch einen anderen Vorfall, knapp 20 Jahre später. Eine bundesweite Liste von Gruppen, die sich für Homosexuelle einsetzen, vermutlich ab 1990 oder 1991, erstellt vom Schwulen-Zentrum Mann-O–Meter, im Auftrag des Referats für gleichgeschlechtliche Lebensweisen der Senatsjugendverwaltung. Auf dieser Liste landeten auch Adressen von Pädophilengruppen.

Im Referat der Jugendverwaltung fielen Pädophilen-Gruppen nicht auf

Birk kümmert sich derzeit intensiv um diesen Vorgang, schon weil das Referat im November 1989 gegründet wurde; damals kam Anne Klein von der Alternativen Liste ins Amt der Jugendsenatorin. Aber als die Liste mutmaßlich erstellt worden sei, da sei Klein vermutlich nicht mehr im Amt gewesen, sagt Birk. Thomas Krüger (SPD) wurde Nachfolger.

Birk beschreibt die Entstehung dieser Liste als zunächst normalen Vorgang. „Es gab keine geordnete bundesweite Übersicht über Lesben- und Schwulen-Gruppen. Deshalb wurde sie erstellt.“

Erledigt habe diese Aufgabe ein Mitarbeiter von Mann-O-Meter. Der notierte auch Pädophilengruppen. Damals, sagt Birk, sei das nicht ungewöhnlich gewesen. „Die Pädophilen hatten mit den Schwulen getagt“, die gehörten zur Szene. Im Schwulen-Magazin „Siegessäule“ hat Birk noch bis Mitte der 1990er Jahre Anzeigen der Pädophilengruppen entdeckt.

Aber auch im Referat der Jugendverwaltung sind die Pädophilen-Gruppen nicht aufgefallen, jedenfalls ist dort niemand eingeschritten. Birk freilich nimmt die Referatsmitarbeiter in Schutz. „Dort war bestimmt niemand, der mit Pädophilen sympathisierte“, das Kernthema sei die Arbeit mit Homosexuellen gewesen.

Birk sagt, er habe in seinem Büro alle Unterlagen des Referats durchgearbeitet, „da ist nicht ein Blatt Papier dabei, das auch nur einen Hauch von pädophilem Ansatz hat.“ Die Jugendverwaltung hat sich bisher zur Arbeit des Referats nicht geäußert.

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